Stadtmagazin Witten: Kunst und Kultur

»Ich habe viele Sehnsüchte«

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René Sydow präsentiert seinen neuen Roman

Er ist Regisseur, Filmemacher, Schauspieler und preisgekrönter Kabarettist: René Sydow hat viele Talente. Ab sofort kommt auch noch ›Schriftsteller‹ obendrauf: Im Oktober 2024 erschien sein Roman ›Die große Sehnsucht‹, eine Hommage an die Freundschaft und die 90er-Jahre, im Lübbe Verlag. Wir sprachen mit dem kreativen Wittener über seine Jugend, Zeitreisen, Hollywood und geheime Sehnsüchte.

Hallo und herzlichen Glückwunsch erst mal! Deine Aktivitäten sind wirklich beeindruckend: Du spielst am Theater Hagen, tourst als Kabarettist durch das Land … Wie in aller Welt hast du es geschafft, nebenher noch ein Buch zu schreiben?

Am liebsten würde ich nichts anderes tun – wenn es nur nicht so zeitaufwendig wäre! Die Idee zu dem Stoff trage ich allerdings auch schon seit 2005 mit mir herum. Ich war Filmstudent, und ›Die große Sehnsucht‹ hätte meine Abschlussarbeit werden können. Uns ist dann aber aufgefallen, dass ein Film, der komplett im Winter im Schnee spielt, schwer umsetzbar wäre. Die Story hat dann 15 Jahre vor sich hin metamorphosiert, bis ich in der Coronapandemie endlich Gelegenheit hatte, sie zu Papier zu bringen.

Haben dir deine Erfahrungen als Drehbuchschreiber beim Plotten geholfen?

Auf jeden Fall. Ich hatte die Dramaturgie fertig im Kopf und habe meine Protagonisten wie Filmfiguren angelegt. Das reichte so weit, dass ich mir vorstellte, welche Schauspieler die Rollen übernehmen könnten.

In ›Die große Sehnsucht‹ geht es um drei Abiturienten, die 1996 in einer Kleinstadt am Bodensee von ihrer Zukunft träumen. Rabe möchte Film studieren und ist mit Herz und Kopf mehr bei seinen Drehbuchentwürfen als bei der Schule. Herzensbrecher Thomas lässt keine Party aus. Und Michi will vor allem eines: sich an seinem Mathelehrer rächen. Du stammst selbst vom Bodensee, daher sind wir neugierig: Wie viel René steckt in Rabe und seinen Freunden?

Kurioserweise gibt es Personen aus meiner Vergangenheit, die sich an Szenen aus dem Roman zu erinnern glauben, obwohl es sich um eine rein fiktive Geschichte handelt. Ich habe zwar reale Schauplätze wie das alte Kino oder die damalige Schuldisco in die Handlung eingebaut, doch alle Figuren sind frei erfunden. Sicher liegt mir Rabe mit seiner Filmleidenschaft am nächsten. Man darf aber nicht denken, dass das autobiografisch ist – so spannend war meine Jugend nicht.

Der Klappentext beschreibt das Werk als ›heiter-melancholisch‹. Welche Stimmung dominiert? Willst du die Leute zum Lachen bringen oder könnte man beim Lesen auch mal eine Träne verdrücken?

Es war mir wichtig, jedem Kapitel eine humorvolle Komponente zu geben. Das Leben hat bei all seiner Tragik schließlich immer auch etwas Komisches. Natürlich handelt es sich nicht um Comedy – es wird niemals albern. Ich würde aber schon sagen, dass der heitere Tonfall überwiegt und es insgesamt ein sehr positives Buch mit freundlichen Charakteren geworden ist. Die Jungs träumen naiv von ihren großen Karrieren. Dabei treten nach und nach die kleinen, privaten Sehnsüchte zu Tage, die eigentlich viel wichtiger sind, wie Liebe, Freundschaft und Vertrauen.

Das Coming-of-Age-Thema wird bei dir in einem sympathischen Retro-Setting präsentiert. Für uns LeserInnen ist die Geschichte somit auch eine Zeitreise. Was verbindest du mit der Epoche der 90-er? Was macht dich nostalgisch?

Die Abwesenheit digitaler Medien! Wenn man mit seiner Angebeteten sprechen wollte, konnte man nicht eben schnell texten, sondern man musste bis zum nächsten Schultag warten. Filme wurden nicht gestreamt, sondern in der Videothek ausgeliehen. Viele Dinge hatten dadurch eine andere Wertigkeit. Daran denke ich gerne zurück, und es hat mir auch beim Schreiben geholfen, weil es für einen schönen, entschleunigten Erzählsound sorgt.

Stichwort ›Sound‹: Neuerdings liefern viele Autoren zu ihrem Buch auch gleich die passende Playlist mit. Hattest du beim Schreiben bestimmte Songs im Kopf?

Es sind eher die Filme der Zeit, die bei mir Erwähnung finden – insbesondere die Werke des Regisseurs John Carpenter, der im Jahr 1996 seinen schlechtesten Spielfilm veröffentlicht hat, was meiner Hauptfigur sehr weh tut. Seine Freunde empfehlen ihm, sich ›Twister‹ anzuschauen, er aber wählt ›Flucht aus L.A.‹ – und dann auch noch bei einem Date!«

Das Freundschaftsthema zieht sich als roter Faden durch den Roman. Wie wichtig sind dir Freundschaften? Hast du noch Kontakt zu deinen Freunden von einst?

In der Kulturszene ist man ja dauernd von einem Riesenzirkus aus Künstlerkollegen und Fernsehleuten umgeben. Klar ergeben sich hier Freundschaften, doch diese sind nicht so stark mit gemeinsamen Erfahrungen aufgeladen, wie es bei alten, gewachsenen Freundschaften der Fall ist. Zum Glück habe ich noch zwei gute Freunde, die mich seit meiner Kindheit begleiten. Das sind diejenigen, zu denen ich gehen würde, falls mir die Familie abhanden käme. Es kann passieren, dass wir uns zwei, drei Jahre nicht sehen. Aber wenn man sich dann wiedertrifft, ist es, als wäre man nie weg gewesen.

Wenn du in einer Zeitmaschine zurückreisen und dein 16-Jähriges Ich treffen könntest – was würdest du ihm sagen?

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Wie hätte der junge René in den 90-ern wohl reagiert, hätte man ihm eine erfolgreiche Bühnenkarriere prophezeit?

Vermutlich wäre er gar nicht mal so beeindruckt gewesen. Ich hatte damals große Pläne. Mit 40 wollte ich in Hollywood sein. Dann wacht man auf und stellt fest: Es ist Witten. Aber hey, das ist auch okay. Ich gehöre zu der kleinen Gruppe von Menschen, die von ihrer Kunst leben können, und bin sehr dankbar, dass dieser Traum in Erfüllung gegangen ist. Das bedeutet natürlich nicht, dass ich nicht weiter träume.

Verrate uns: Was ist deine geheimste Sehnsucht?

Ich habe viele Sehnsüchte! Erschreckenderweise haben die alle mit meiner Arbeit zu tun: Ich denke quasi ständig an die Bücher und Filme, die ich noch schreiben und drehen möchte.

Hollywood kann also noch kommen … Dürfen wir uns bald auf den Film zum Buch freuen? Wenn ja, welche Schauspieler würden dir in den Rollen von Rabe, Thomas und Michi gefallen?

Tatsächlich habe ich den Text schon an Bekannte aus der Filmbranche weitergereicht. Mal schauen, was passiert. Meine Wunsch-Besetzung werde ich wohl nicht mehr bekommen: Der Cast von ›Stand by me‹ ist ja mittlerweile zu alt oder tot. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass sich tolle Jungdarsteller finden werden, wenn es irgendwann so weit ist.

René Sydow: ›Die große Sehnsucht‹
Lübbe
Gebundene Ausgabe 22 Euro
Kindle 14,99 Euro

Alle Termine & Infos

www.rene-sydow.de

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