Stadtmagazin Witten: In der Stadt

»Wir müssen menschlich sein«

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Was macht eigentlich die Wirtschaftsförderung? Gut, an sich erklärt sich der Begriff von selbst – aber was steckt konkret dahinter? Als Laie denkt man an Zahlen und Bilanzen, an ellenlange Förderanträge und graue Bürokratie. Dann trifft man Anja Reinken. Die 53-jährige Diplom-Ingenieurin leitet bei der Stadt Witten das Amt für Bodenmanagement und Wirtschaftsförderung und wirkt alles andere als bürokratisch. Im Gegenteil: Sie versprüht eine Tatkraft und Begeisterung, die selbst auf Fachfremde ansteckend wirkt.

Im Gespräch mit Anja Reinken von der Wirtschaftsförderung Witten

Hallo Frau Reinken, vielen Dank für die Einladung ins Technische Rathaus. Können Sie sich kurz vorstellen?    

Ich stamme gebürtig aus Ostwestfalen und habe in Hannover Vermessungswesen mit Schwerpunkt Geoinformation studiert. Danach habe ich mein 2. Staatsexamen in diesem Bereich mit Schwerpunkt Städtebau abgeschlossen. Seit über 20 Jahren wohne und arbeite ich aber nun schon in Witten. Zunächst war ich bei der Stadt Witten für die Aufgabengebiete Vermessung/Geoinformation zuständig und war Vorsitzende des Gutachterausschusses für Grundstückswerte bis 2014. Da ich fachlich breit aufgestellt bin, kamen schnell Themenfelder dazu: Ankauf/Verkauf von Grundstücken/Gebäuden, Vermietung und Verpachtung städtischer Liegenschaften … – und schließlich 2016 die Wirtschaftsförderung.

Es scheint, als hätten Sie sich in der Wirtschaftsförderung gut eingelebt. Erinnern Sie sich noch an die Anfänge?    

Mein anfänglicher Schwerpunkt lag darin, den Bereich – in Abstimmung mit den politischen Gremien – komplett neu aufzubauen. Meine erste Amtshandlung als neue Leiterin war somit eine Bestandsaufnahme: Wo stehen wir, und wo wollen wir hin? Was sind die Aufgaben? Wie viel Personal brauchen wir dafür? Um diese Fragen zu beantworten und Handlungsfelder zu bestimmen, haben wir zunächst eine Analyse des Standortes mit seinen Stärken und Schwächen sowie eine Befragung der ansässigen Unternehmen durchgeführt. Mit überraschenden Ergebnissen.    

Spannen Sie uns nicht auf die Folter – was kam dabei heraus?

Wir haben erkannt, dass Witten gar nicht schlecht dasteht. Dies verdanken wir insbesondere der hohen Zahl an mittelständischen, familiengeführten Unternehmen, die sich mit der Stadt verbunden fühlen und ihr viel Geld einbringen – das ist ein wertvolles Pfund. Auf den Gewerbeflächen herrscht kaum Leerstand. Wenn jemand geht, steht in der Regel schon ein Nachfolger bereit, der den frei gewordenen Platz einnehmen will. Die Unternehmer haben aber auch Erwartungen. Sie sagen: ›Wir bringen euch Geld durch die Gewerbesteuer, ihr müsst auch etwas für uns tun.‹ Dabei unterscheiden sie nicht zwischen den verschiedenen Abteilungen der Stadtverwaltung wie Wirtschaftsförderung oder Bauordnungsamt oder anderen Behörden wie Finanzamt. Wir mussten uns also fragen: Wie können wir die Unternehmen aktiv unterstützen und deren beruflichen Alltag erleichtern? Ich kann mir keine freien Flächen oder Fachkräfte aus den Rippen schneiden. Aber ich kann informieren, vermitteln und die Menschen zusammenbringen.    

Erzählen Sie mal: Wie bringen Sie die Leute an einen Tisch?    

Eine gute Gelegenheit zum Kennenlernen, Vernetzen und Austauschen bieten natürlich die Wittener Netzwerktreffen. Neben dem gängigen Format haben wir außerdem 2017 in Kooperation mit der Gleichstellungsstelle den Unternehmerinnentreff als Netzwerkveranstaltung für Frauen ins Leben gerufen. Ob Immobilienmaklerin oder Friseurin, Steuerberaterin oder Cafébesitzerin – hier machen die Frauen, was Männer schon immer tun: Kontakte knüpfen und sich gegenseitig voranbringen. Wir freuen uns sehr darüber, dass die Veranstaltung von den Unternehmerinnen so positiv geschätzt wird. Ein weiteres Werkzeug, um Unternehmen und Verwaltung einander näher zu bringen und konstruktiv nach gemeinsamen Lösungen zu suchen, ist unser neuer Investorenservice, der bei Bauvorhaben als Mittler zwischen Unternehmen und Baubehörde in Aktion tritt. Außenstehenden fehlt natürlicherweise oft der Einblick, wer im Hause für welche Angelegenheit zuständig ist. Hier können wir sehr gut unterstützen. Um unsere Unternehmen optimal betreuen zu können, hat die Wirtschaftsförderung den Bestandskundenservice etabliert. Ein regelmäßiger Austausch ermöglicht uns, auf Veränderungen zu reagieren und Bedarfe in den Unternehmen frühzeitig zu erkennen. Wir gehen proaktiv auf die Unternehmen zu, suchen den Kontakt, lernen die Unternehmen mit ihren Produkten bei persönlichen Besuchen kennen, nehmen ihre Bedarfe mit und versuchen, diese unbürokratisch zu klären. Wir sind direkte und persönliche Ansprechpersonen und lotsen die Investoren – nicht nur Investoren, alle Unternehmen – durch den Behördendschungel, damit ihre Projekte zufriedenstellend und fristgemäß umgesetzt werden. Wofür die Wirtschaftsförderung im Grunde zusammengefasst steht: Wir sind kompetent, persönlich und menschlich und handeln transparent, echt und zeitgemäß.

Das Thema ist nicht neu – aber nach wie vor aktuell, daher müssen wir es einfach ansprechen: Der Fachkräftemangel ist ein Schreckgespenst, das vielen Betrieben zu schaffen macht. Wie schätzen Sie die Lage in Witten ein?    

Es ist generell schwierig geworden, zu­verlässige Mitarbeiter zu finden, insbesondere im Feld der produzierenden Industrie, die in Witten stark vertreten ist. Hier fehlen Fachkräfte genauso wie ungelernte Arbeitskräfte. Auszubildende sind ebenfalls rar gesät, wobei der Zulauf je nach Sektor stark variiert. Im Jahr 2022/2023 kamen insgesamt 956 Bewerberinnen und Bewerber auf 997 gemeldete Ausbildungsstellen. Dennoch blieben am Ende 131 Stellen unbesetzt. Vor allem die Handwerksbetriebe gingen leer aus. Vielen jungen Menschen scheint nicht klar zu sein, dass man im Handwerk sehr gut verdienen kann.     

Was tun Sie, um das Image unbeliebter Berufe zu verbessern und die potenziellen Fachkräfte von morgen zu erreichen?    

Die jährliche Ausbildungsmesse auf dem Gelände der Edelstahlwerke ist ein guter Start. Zusätzlich wollen wir vermehrt in die Schulen gehen. Aktuell steht die Idee im Raum, mehrere ausgewählte Betriebe mit der Abschlussstufe einer Wittener Gesamtschule zusammenzubringen. Außerdem bemühen wir uns um eine bessere Vernetzung mit den umliegenden Fachhochschulen und Universitäten. Junge Talente, die aus entfernten Städten angeworben werden, machen in Witten allenfalls ein Praktikum. Wenn wir dagegen Studierende aus Bochum oder Dortmund gewinnen, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie bleiben. Eine weitere Strategie ist es, die sozialen Medien zu nutzen. Es gibt hier in Witten so coole Unternehmen, mit tollen Persönlichkeiten und einer großartigen Unternehmenskultur. Aber man muss das auch nach außen tragen, ein Kennenlernen ermöglichen. Ein persönliches Gespräch mit dem Chef oder Erfahrungsberichte von zufriedenen Mitarbeitenden sind oft mehr wert als die professionellste Stellenausschreibung.     

Wo sehen Sie die Wittener Wirtschaft in acht Jahren?    

Witten hat ein hohes Maß an Chancen, gerade weil wir nicht so riesig sind. Man kennt sich. Dadurch besteht eine enge Vernetzung mit der Wirtschaft. Vieles läuft über Kontakte. Wenn man mir vor 20 Jahren gesagt hätte, wir sind eine Studentenstadt – ich hätte laut gelacht. Aber seitdem hat sich so viel bewegt. Auch in Sachen Nachhaltigkeit oder Innenstadtbelebung passiert viel Spannendes. Nicht zu vergessen: der solide Mittelstand, der eine Menge investiert und den Standort weiter nach vorne bringt. Das sind Arbeitsplätze, die so gut bezahlt sind, dass die Beschäftigten Geld haben, um es in Witten auszugeben. Wir haben bezahlbaren Wohnraum, sind urban und dennoch mit viel wundervoller Natur. Unsere Stadt hat ein unglaubliches Potenzial. Wir erleben erst die Anfänge.    

Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Wie schalten Sie bei Ihrem anspruchsvollen Job abends ab?    

Ich bin ein Gartenfan und mache seit zehn Jahren Yoga. Das ist für mich ein wichtiger Ausgleich. Außerdem gehe ich ins Fitnessstudio Active-Club Drexelius – die Inhaberin habe ich übrigens 2017 beim Unternehmerinnentreff kennengelernt.   

Amt für Bodenmanagement und Wirtschaftsförderung

Annenstraße 111 b · 58452 Witten
Tel. 0 23 02 / 5 81 62 02
Bodenwirtschaft [at] stadt-witten.de

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