Stadtmagazin Witten: Menschen

Was macht eigentlich Klaus Lohmann?

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Kaffeekränzchen mit dem Altbürgermeister

Er ist Wittener Urgestein und Weltenbürger. Sein Handschlag mit dem schwedischen König ist ebenso legendär wie sein spontaner ›Köpper‹ vom Dreimeterturm mit Anzug und Krawatte bei der Wiedereröffnung des Freibads Annen. Er spielt leidenschaftlich Schach und engagiert sich mit stolzen 87 Jahren in über 30 Vereinen und Verbänden. Bestimmt können Sie es sich schon denken: Die Rede ist vom ehemaligen Bürgermeister Klaus Lohmann.

In Witten zählt der umtriebige Pensionär bis heute zu den prägenden Persönlichkeiten. Wenn Sie jetzt aber glauben, damit wäre die Frage aus der Überschrift beantwortet, könnten Sie noch eine Überraschung erleben. Wir haben den Ex-Chef des Wittener Rathauses zum Kaffeekränzchen getroffen, und schnell dämmerte uns: Mit seinen Geschichten und Anekdoten ließen sich Romane füllen! Die nächsten Seiten liefern einen kleinen Einblick in sein abenteuerliches Leben. Und wer weiß: Vielleicht wird dabei auch noch das ein oder andere Geheimnis gelüftet …

Sie wurden 1936 in Witten geboren – keine einfache Zeit. Wie haben Sie Ihre Kindheit erlebt?

Trotz der ernsten Hintergründe war es doch eine relativ glückliche Kindheit. Wir hatten nicht viel, haben aus der Situation das Beste gemacht. 1937 zog ich mit meiner Familie in das Haus an der Straße ›In den Dornen‹ in Witten-Annen, hier bin ich aufgewachsen und war Mitglied der Egge-Bande, die sich – spielerisch – mit der Marktweg-Bande bekriegte. Die Kinder vom Marktweg hatten Respekt vor uns, weil wir näher am Wald lebten und als ›Buschklöpper‹ galten. Außerdem war ich schon als kleiner Junge ziemlich sportverrückt. Nahe unserem Haus gab es einen freien Platz, der Egge heißt. Wir haben vom Sägewerk Grosch an der Kreisstraße Holz stibitzt und uns Tore gebaut. Mit sechs Jahren bekam ich von meinem Vater zudem Schachunterricht. Natürlich habe ich aber auch die unschönen Seiten der Nazi-Zeit mitbekommen: Meine sozialdemokratisch engagierte Familie mütterlicherseits war von Bücherverbrennungen betroffen. Drüben im Salinger Feld, wo heute die Firma Ostermann ihr Zentrum hat, schlugen vor meinen Augen Bomben ein. Im Zuge der Kinderlandverschickung wurde ich schließlich mit meiner damaligen Schulklasse für ein Jahr in Schopfheim bei Lörrach in Baden untergebracht.

Es heißt, Sie hätten das Gymnasium geschmissen, um Bergmann zu werden. Als Mitbegründer und Ehrenvorsitzender des Fördervereins bergbauhistorischer Stätten Ruhrrevier e. V. halten Sie das Erbe der Ruhrgebietszechen bis heute wach. Woher kommt diese Faszination für den Bergbau?

Das Thema hat mich schon als kleiner Knirps begeistert: 3.640 Bergwerke gab es  im Ruhrgebiet, allein 660 davon in Witten – ist das nicht der helle Wahnsinn? Die Flöze traten im südlichen Revier an der Ruhr an die Oberfläche. Wenn man die Kohlen aus den zutage tretenden Flözen abgebaut hatte, blieben Abbaukuhlen über, die man Pingen nennt. Dazu gibt es eine lustige Anekdote: Mein damaliger Klassenlehrer an der Hüllbergschule, den wir liebevoll ›Oppa Haarmann‹ nannten, weil ihm ab und zu sein Gebiss verrutschte – er wohnte in der Straße im Ledderken –, hatte keine Kohlen mehr. Ich wusste, wo es welche gab. Also lief ich mit zwei Klassenkameraden los, besorgte Kohlen direkt aus der Pinge und transportierte sie mit einem Leiterwagen zu ›Oppa Haarmann‹ ins Ledderken bis in den zweiten Stock. Einige Jahre später war ich in der Oberschule für Jungen, dem heutigen Ruhr-Gymnasium. Der Lateinlehrer war ein Altnazi, der mich als jungen Falken auf dem Kieker hatte. Ich nahm an einer Lehrfahrt mit Stollenführung auf der Zeche Mansfeld in Bochum-Langendreer teil, um die Arbeit unter Tage kennenzulernen. Meine Klassenkameraden waren danach erleichtert: ›Gut, dass wir wieder oben sind.‹ Ich erwiderte: ›Ja, gut, aber ich werde bald wieder unten sein.‹ Ich hatte nämlich beschlossen: Ich lass das mit dem Gymnasium und fange  auf der Zeche Mansfeld unter Tage an.

Haben Sie Ihre Entscheidung je bereut?

Niemals! Für mich war das ein Abenteuer. Und meine Eltern haben mich voll unterstützt. Ich weiß noch, dass mein Vater, der Konrektor an Volksschulen in Witten war, zu mir sagte: ›Ich hätte nie gedacht, dass du einmal Bergmann wirst, aber wenn es das ist, was du willst, mach es!‹ So kam ich 1954 als Bergjungmann auf die Zeche Mansfeld in Bochum-Langendreer. Mein dortiger Rutschenmeister bzw. Vorarbeiter, Püttmann Schröder, hatte sogleich einen Spitznamen für mich: ›Schepp’, schepp’, du Knochen!‹, rief er mir zu, weil es meine Aufgabe war, mit der Pannschüppe Kohlen zu schaufeln. Später besuchte ich die Bergvorschule in Witten und die Bergschule in Dortmund und wurde als Bergingenieur auf der Zeche Minister Achenbach in Lünen-Brambauer angestellt. Der Ton war rau unter Tage, und für die Betriebsleitung war ich als aktiver Gewerkschaftler ein rotes Tuch. Aber ich war sehr zufrieden und habe mit meinen Kumpels erfolgreich und solidarisch zusammengearbeitet.

Was umso mehr die Frage aufwirft: Wie wird man vom Bergmann zum Bürgermeister?

In meiner Familie gehörte Politik zur Tagesordnung. Mein neun Jahre älterer Bruder – Karl Garbe, dessen Vater war preußischer  SPD-Landtagsabgeordneter für Bochum und mit 29 Jahren verstorben – konnte einfach nicht verstehen, was ich unter Tage zu suchen hatte. 1964 empfahl er mich beim SPD-Parteivorstand für ein Nachwuchskräfteseminar. Der Initiator Herbert Wehner, Stellvertretender SPD-Vorsitzender, meinte nur: ›Der Bruder kommt vom Pütt? Ist doch gut. Dann haben wir hier wenigstens einen dabei, der arbeiten kann.‹ Dieses Seminar bereitete den Weg für meine politische Karriere. 1966 wurde ich Geschäftsführer der SPD für die Unterbezirke Bochum und Ennepe-Ruhr, was irgendwie schicksalhaft war: Das Wittener SPD-Haus an der Annenstraße 8, in dem ab 1975 mein Schreibtisch stand, hatten wir nach dem Krieg als junge Falken aus den Trümmern mit aufgebaut – wir haben damals Unmengen Ziegelsteine per Schubkarren aus der zerbombten Innenstadt in die Annenstraße 8 gekarrt.

Was ist Ihnen aus Ihrer aktiven Zeit als Lokal- und Bundespolitiker besonders in Erinnerung geblieben? Woran denken Sie gerne zurück?

Da gibt es einiges. 1983 wurde ich in den Deutschen Bundestag gewählt, gehörte ihm vier Legislaturperioden an. Als Mitglied des Bundestags-Sportausschusses war ich bei vier Olympischen Spielen dabei: Calgary, Barcelona, Atlanta und Nagano. Für mich als Sportfan natürlich ein absolutes Highlight. So kam es auch, dass ich mit dem schwedischen König in Nagano ein Gespräch führte.

Und Carl XVI. Gustaf war nicht der einzige ›Promi‹ in Ihrem Bekanntenkreis …

Das stimmt, ich habe viele große Persönlichkeiten getroffen, von Politikern der ersten Garde wie Johannes Rau, Roman Herzog und Willy Brandt bis hin zum Komiker Karl Dall, mit dem ich bei uns auf dem Kahlen Plack aufgetreten bin. Toll war auch meine Begegnung mit Len Collins, damaliger Bürgermeister des Londoner Bezirks Barking and Dagenham, den ich für das Pressefoto spontan auf die Schultern genommen habe.

Wo wir gerade bei dem Thema spontaner Verrücktheiten sind – wie kam es eigentlich 1976 zu dem berühmt-berüchtigten Kopfsprung im Freibad Annen?

Ich verrate Ihnen mal was: Eigentlich sollte der damalige Oberbürgermeister Friedhelm Ottlinger ins Becken fallen und durch die DLRG gerettet werden. Ich war nur als Ratsherr anwesend. Friedhelm meldete sich jedoch zu Beginn der Eröffnungsfeier bei mir und meinte, er sei erkältet. Ich fragte: ›Na, und jetzt?‹ Er entgegnete: ›Wie jetzt?‹ Ich sagte: ›Das neue Bad wird heute eingeweiht, irgendwas muss passieren.‹ Also habe ich kurzerhand das Portemonnaie aus der Tasche genommen, den Dreimeterturm erklommen und mich in voller Montur ins Wasser gestürzt. Meine Frau war darüber nicht besonders erfreut. Aber sie kannte das ja schon, dass ich oft zu Späßen aufgelegt war. Bei Feten konnte es auch schon mal passieren, dass ich im Haus verschwand, um mich anschließend in Kleid und Pelzmantel unter die Gäste zu mischen. Die Leute sind oft überrascht, wenn sie erfahren, dass ich seit einigen Jahren kaum noch Alkohol trinke.

Welche Themen beschäftigen Sie momentan? Wie verbringen Sie Ihren wohlverdienten Ruhestand?

Zur Ruhe komme ich eher selten. Als Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Annen-Hüllberg bin ich ja weiterhin auf mehreren politischen Ebenen aktiv. Und natürlich bleibe ich als Ehrenpräsident des Stadtsportverbandes und Vorsitzender der Sportunion Annen auch dem Sport in Witten weiter eng verbunden. Derzeit sind wir dabei, verschiedene Aktivitäten zum 100. Jubiläum des Boxvereins BS 23 zu organisieren, unter anderem einen Wettkampf im Gedenken an Erich Schöppner, unseren Europameister. Da wir bei der SUA eine Boulebahn gebaut haben, werde ich in Zukunft Boule spielen. Außerdem spiele ich nach wie vor Schach, wann immer in einer Mannschaft noch ein Mitspieler gesucht wird. Als Präsident des Wittener Partnerschaftsvereins und Vorsitzender der deutsch-israelischen Gesellschaft beschäftige ich mich darüber hinaus mit allen Anliegen rund um Städtefreundschaft und Völkerverständigung. Das liegt mir sehr am Herzen. Ich bin deshalb viel auf Reisen: Frankreich, England, Lev Hasharon und, für den Förderverein ›Wittener Hütten‹, besonders häufig in Mallnitz in Österreich. Hier steht dann natürlich auch das Wandern auf dem Programm. Momentan laufe ich mit Stock, aber nach Ansicht meines Physiotherapeuten ist es nur eine Frage der Zeit, bis ich wieder topfit sein werde. Wenn dann noch Zeit bleibt, kümmere ich mich hier zu Hause um den Garten.

Erzählen Sie uns zum Abschluss noch etwas über sich, das keiner weiß?

Obwohl ich mehrere tausend Bücher besitze, bin ich auch ein absoluter Fernseh-Fritze. Tour de France, Frauenfußball-WM, Maybrit Illner oder ›Bares für Rares‹: Ich darf nichts verpassen und gucke mir oft nachts die Wiederholungen an. Wenn möglich, schaue ich mir auf dem Sender Phönix jede Debatte aus dem Bundestag und dem Europaparlament an. Zudem habe ich ein heimliches Faible für Mineralien. Allerdings besitze ich keine Sammlung, sondern vielmehr eine Ansammlung, da ich die Steine nicht alle sortiert und benannt habe.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

In der ›Universitätsstadt Witten an der Ruhr‹ darf es kein Grundschulkind geben, das nicht schwimmen kann. Darüber hinaus, wie bisher: Sport für alle in allen Sportarten. Eine weitere Aufgabe wird sein, die Städtepartnerschaften zu stabilisieren, zu erhalten, zu pflegen und weiterzuentwickeln. Denn, um es mit den Worten unseres ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau zu sagen: Städtepartnerschaften sind kommunale Friedens- und Freiheitspolitik.

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