Stadtmagazin Witten: Soziales

Sternenkinder

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Wertvolle Hilfe bei viel zu frühen Abschieden

Sternenkinder. Dieser Begriff steht seit einigen Jahren für Kinder, die nicht lebend zur Welt gekommen  bzw. kurz nach ihrer Geburt verstorben sind. Bis vor nicht allzu langer Zeit hatten Eltern wenig Möglichkeiten, ihre Sternenkinder adäquat zu beerdigen oder um sie zu trauern. Ein fehl- oder totgeborenes Kind hatte keinen Stellenwert. Die Wahrnehmung dieser Kinder und ihrer trauernden Eltern ändert sich nun. Dazu trägt auch ein Wittener Projekt bei, das in den letzten Monaten gegründet wurde. Resultierend aus einer Kooperation zwischen dem Ambulanten Hospizdienst Witten-Hattingen e. V. und dem Marien-Hospital Witten der St. Elisabeth Gruppe gibt es nun ein Angebot für Eltern von Sternenkindern.

Wir haben Susanne Gramatke und Christoph Palmert, zwei der drei Initiator*innen des Projekts, zum Gespräch getroffen.

Wenn wir uns von Großeltern oder Eltern verabschieden müssen, sind das natürlich traurige Momente. Aber oftmals war das Lebensende schon abzusehen, der ›Abschied‹ beginnt häufig schon zu Lebenszeiten. Wie aber ist es, wenn ein Kind verstirbt? Was bedeutet das für die Eltern, was macht es mit ihnen?

Susanne Gramatke: Wenn ein Kind stirbt, stirbt für die Eltern immer ein Stück Zukunft. Völlig unabhängig von Schwangerschaftswoche, Größe und so weiter kann der Tod eines Kindes immer eine Vollkatastrophe bedeuten. Es löst die komplette Gefühlspalette aus, von Sprachlosigkeit, Fassungslosigkeit, Wut, Enttäuschung bis hin zu Selbstzweifeln und Schuldgefühlen. Das ist erstmal normal. Normal im Sinne des Erlebens und Reagierens. Alles kann da sein, und es ist notwendig, um das Unfassbare fassbar zu machen. Mit einem Kind wird auch immer ein Stück Liebe begraben, die ihren Platz sucht und finden will. Es ist immer schwer, wenn Kinder vor ihren Eltern sterben, weil das gefühlt nicht die richtige Reihenfolge im Leben ist.

Christoph Palmert: Je früher ein Kind stirbt, desto schwieriger ist es oft für Eltern, den Verlust greifbar zu machen. In einem sehr frühen Stadium der Schwangerschaft ist vielleicht noch nicht einmal das Geschlecht klar bestimmt. Vieles bleibt auf der Ebene der Fantasie, muss dort bleiben. Diese Ungewissheit ist manchmal schwierig. Man hatte ein Kind, aber keine tatsächliche Interaktion mit ihm, die eine Beziehung möglich gemacht hätte.

Nun empfinden und spüren Väter ja nicht wie Mütter schon das Leben des Kindes im eigenen Körper. Inwiefern spielt dies eine Rolle hinsichtlich der Verlust-Verarbeitung?  

Christoph Palmert: Das Thema Beziehung ist auch im Kontakt mit verwaisten Vätern relevant, weil sie zum Beispiel nicht gespürt haben, wie das Kind in ihnen wächst oder sich der eigene Körper verändert. Das ist Fluch und Segen gleichermaßen. Väter trauern im Durchschnitt versetzt, später als Mütter. Ich halte wenig davon, die Trauer zwischen Frauen und Männern zu differenzieren, im Falle von Sternenkindern gucke ich da aber differenziert drauf. Im Projekt werden wir gemeinsame Angebote schaffen, aber auch für Männer und Frauen getrennt.

Susanne Gramatke: Auch die Reaktionen des Umfelds beeinflussen den Trauerprozess. Eltern von Sternenkindern hören oft Sachen, die andere Trauernde wahrscheinlich nicht hören werden. Sowas wie ›Ihr könnt ja noch andere Kinder kriegen‹ oder ›Sei froh, wäre ja vielleicht krank gewesen‹. Sowas ist gut gemeint, tut aber extrem weh. Weil für die Eltern ein unersetzbarer Mensch gestorben ist – ein Mensch, der so nie wiederkommen wird.

Ist das Thema ein Tabuthema? Immer noch?

Christoph Palmert: Ja. Das merken Sie vor allem daran, dass sehr viele Eltern berichten, wie überrascht sie waren, als sie erfahren haben, wie viele Menschen in ihrem Umfeld auch betroffen sind. Gesprochen wird aber erst darüber, wenn man andere Betroffene trifft. Wir sprechen von mehr als 3.000 Kindern mit einem Geburtsgewicht von 500 g und mehr pro Jahr in Deutschland, die tot geboren werden. Dazu kommen alle Kinder, die weniger wiegen. Anhand dieser Zahlen können Sie sich ausrechnen, wie viele Menschen binnen weniger Jahre betroffen sind. Das ist Motivation für uns, ein Umfeld zu schaffen, in dem offen geredet werden kann. Denn das ist der erste und wichtigste Schritt zu einer gelungenen Trauerbewältigung.

Was können andere Menschen tun, um zu helfen?

Susanne Gramatke: Die Antwort ist einfach und schwierig. Da sein! Manchmal ist das ein Brief, den man einwirft. Anrufen ja, aber nicht hinterhertelefonieren. Oder einfach mal ungefragt vor der Tür stehen, mit einem Topf Suppe. Man braucht keine Angst zu haben, jemanden zu überfallen. Viele Trauernde berichten, dass sich das Umfeld eher zu stark zurückzieht. Daher ist es gut, da zu sein, aber auch zu merken, wenn die Trauernden wieder alleine sein wollen.
Bei Eltern ist es oft super, wenn es andere Kinder im Haushalt gibt, diese abzuholen und mit ihnen etwas zu unternehmen. Das entlastet die Eltern und die Kinder gleichermaßen. Letztlich ist es abhängig vom Typ, und man sollte da individuell vorgehen. Man kann aber sagen, dass jedes Angebot wahrgenommen wird und positiv ankommt. Im Zweifelsfall aber erst Wochen oder Monate später. Ein Rezept kann es allerdings nicht geben. Wichtig ist auch, dass die trauernden Eltern klar kommunizieren, was sie brauchen und was nicht.

Was hilft bei der Trauerarbeit und bei der Trauerbewältigung?

Christoph Palmert: Nach der Geburt eines Sternenkindes belasten manche Sachen, die zum normalen Alltag dazugehören. Die Eltern sehen andere Eltern mit Kinderwagen, sie müssen auf ihrer Arbeit mitteilen, dass sie nicht mehr schwanger sind. Sie müssen recht schnell wieder arbeiten gehen, obwohl das gar nicht vorgesehen war. All das kann zutiefst belastend sein. Da ist es wichtig, ein Umfeld zu schaffen, in dem all diese Ängste und Sorgen ihren Platz finden können. Das Alltagsumfeld ist dafür manchmal nicht geeignet, aus guten Gründen. Daher setzt unser Angebot genau dort an und schafft diesen Raum.

Auch die Geschwister sind vom Tod des Bruders oder der Schwester extrem betroffen. Gleichzeitig werden sie vermutlich deutlich spüren, dass die Eltern sich verändert haben, dass Mama und Papa es nicht schaffen, so für sie da zu sein wie früher. Stimmt das? Und was kann man tun, um den Kindern zu helfen?

Susanne Gramatke: Das stimmt, ja. Wie Kinder trauern, hängt vom Alter ab und von ihrem individuellen Verständnis vom Tod. Unabhängig vom Alter bemerken Kinder aber fast immer, dass irgendwas nicht stimmt. Kinder sollte man daher mit einbeziehen – soweit sie das möchten. Offenheit ist immer zielführender, als das Kind außen vor zu lassen. Oft wollen Eltern ihre Kinder dadurch schützen, dann entstehen aber Fantasien bei den Kleinen oder die Frage, ob sie etwas falsch gemacht haben. Der Schutz kehrt sich also um in etwas Belastendes. Als Richtlinie kann man sagen: Kinder können überall dabei sein, solange es die Symptomatik zulässt. Sie können durchaus auch verstorbene Geschwister sehen. Wenn es in einem altersgerechten Rahmen möglich ist.
Christoph Palmert: In diesen Fällen werden wir, so gewünscht, zukünftig Eltern auch beraten. Richtig und falsch gibt es nicht, aber hilfreiche Erfahrungswerte und Ansätze aus der Trauerforschung. Kategorisch ausschließen sollte man jedoch nichts, in keine Richtung.

Susanne Gramatke: Eltern sollten auch darüber nachdenken, wie ihre eigenen Trauerrituale sich auf das Geschwisterkind auswirken. Stichwort: Traueraltar für das verstorbene Kind, Geburtstagsfeiern für das Sternenkind, etc. Sowas hat einen potenziellen Nutzen, ja, sollte aber nicht unreflektiert bleiben. Und noch ein Gedanke: Individualität des Kindes. Jedes Kind, jeder Mensch ist einzigartig. Ich kenne Fälle, in denen bekam das nachgeborere Kind den gleichen Namen wie das verstorbene. Die Last, die man dem lebenden Kind dadurch aufbürdet, ist kaum zu tragen. All so etwas kann professionelle Trauerarbeit reflektieren und auffangen.

Was ist gelingende Trauerarbeit?

Christoph Palmert: Für mich ist es die Integration des Verlustes in das weitere Leben. Der Tod muss nicht verarbeitet oder weggeschafft werden, er muss integriert werden. Dann kann das weitere Leben glücklich und zufrieden sein. Der Verlust bleibt, auch die Trauer, aber nicht die Belastung.

Zur Trauerhilfe: Wie schwer ist es, diese so wichtige Hilfe zu leisten? Da sind ja wahnsinnige Emotionen zu spüren, die sich wohl auch auf die ehrenamtlichen Helfer übertragen. Wie schafft man das? Was macht das mit einem? Ändert die Trauerarbeit das eigene Leben?

Christoph Palmert: Es ist ein Segen, diese Rolle professionell ausführen zu können. Man hat eine professionelle Distanz, bedingt durch die Rolle. Aber natürlich finden Übertragungen statt, die wir im Kontext von Intervision und Supervision ansprechen und auflösen.

Susanne Gramatke: Wir alle haben Respekt vor der Aufgabe. Anders geht es nicht. Es braucht eine fundierte Qualifikation in den wesentlichen Bereichen. Trauerarbeit unterscheidet sich von anderen Kontexten. Trauer ist eine notwendige Kraft. Sie hilft, ins Leben zurückzufinden. Wenn sie nicht beachtet wird, kann sie krank machen.

Christoph Palmert: Ja, auch weil wir in einem Kontext leben, in dem Trauer immer weniger eine Rolle spielt. Vieles ist entritualisiert, Sterben findet im professionellen Rahmen einer Klinik statt. Das alles ist für die Bewältigung von Trauer schädlich. Sterben darf nicht mehr sein. Das war vor 100 Jahren, und in der gesamten Menschheitsgeschichte zuvor, völlig anders. Es wurde ständig gestorben. Nicht, dass das gut war, aber ich vermute, die Menschen hatten besser funktionierende Bewältigungsmechanismen. Individuell und auch als Gesellschaft.

Susanne Gramatke: Mich hat ein Satz geprägt: ›Hospiz- und Trauerarbeit bietet mir einen Blick in meine Zukunft.‹ Und dann ist die Trauer, der ich professionell begegne, nicht meine Trauer! Ich kenne diese Trauer, aber es ist nicht meine. Das entlastet. Der selbstverständliche Umgang mit Trauernden gibt Halt, Energie, Kraft und Kreativität. Wichtig ist, dass man mit sich im Reinen ist. Dann kann man auch überschattenden Gefühlen anderer begegnen.

Welche Angebote bietet Ihr Sternenkinder-Projekt konkret?

Christoph Palmert: Das Angebot ist dreigliedrig. Wir sind über die Telefonnummer 0176 62 66 16 89 dauerhaft erreichbar und gewährleisten ein persönliches Gespräch binnen maximal 24 Stunden – telefonisch oder im Vier-Augen-Gespräch. Dazu haben wir ab April ein Trauercafé, das monatlich stattfindet und perspektivisch Trauergruppen. Alle Angebote sind kostenlos!

Wer sollte sich bei Ihnen melden?

Christoph Palmert: Alle Eltern von Sternenkindern. Denn Trauer ist zwar hoch-individuell. Gleich ist aber fast allen Trauernden, dass sie in der Akutsituation gar nicht die Not sehen, ihrer Trauer zu begegnen. Das liegt in der Natur der Sache, denn akut trauert man nicht, sondern ist belastet. Die Trauer kommt erst später, und dann ist es gut, einen Partner an der Seite zu haben. Dieser Partner werden wir sein.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Kontakt
Tel. 01 76 / 62 66 16 89 · c [at] christophpalmert.de · 24 Stunden erreichbar

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