Stadtmagazin Witten: Kunst und Kultur

›Recommended by your Professional Wakeup Artist‹

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Im Gespräch mit der Künstlerin Lisa Golze

›Recommended by your Professional Wakeup Artist‹ steht in druckfrischer Schrift auf dem braunen Kaffeefilter, der oben aus der Schreibmaschine ragt. Spätestens beim zweiten Blick wirft das Werk die Frage auf: Ist das jetzt Poesie oder Kunst oder vielleicht sogar beides?

Visuelle Poesie aus der Schreibmaschine

»Diese Frage wurde mir schon häufiger gestellt«, lächelt Lisa Golze. »Es ist definitiv beides. Visuelle Poesie mit der Schreibmaschine trifft es vielleicht am ehesten.« Seit den Lockdowns hat sich die ehemalige Wittenerin und heutige Wahlhamburgerin mit ihrer Schreibmaschinenkunst einen Namen in der internationalen Textkunstszene gemacht. »Es gibt unterschiedliche Arten, wie man die Schreibmaschine als künstlerisches Instrument einsetzen kann. Manche Künstler zeichnen zum Beispiel mit ihren Maschinen Portraits von bekannten Persönlichkeiten oder ganze Landschaften. Das ist sehr cool, aber nicht mein Ansatz. Ich gestalte auch Bilder, aber bei mir steht das Spiel mit den Worten und Zeichen im Mittelpunkt.«

»Klopapier zu betippen, war für mich schon vor Corona ein Thema«

Nach dem Abitur am Wittener Ruhrgymnasium studierte Lisa Golze zunächst Musik in Hannover und später Literaturwissenschaften an der Universität Konstanz und am Trinity College Dublin. Danach lebte sie in München und Würzburg, wo sie als Kinderbuchautorin und Lektorin für verschiedene Verlage tätig war. 2017 bekam sie ihre erste Schreibmaschine von ihrem damaligen Freund zu Weihnachten geschenkt. »Er behauptete, ich hätte den Wunsch im Schlaf geäußert«, erzählt sie. »Ob das stimmt, weiß ich nicht, aber er hat damit voll ins Schwarze getroffen. Es war die erste von insgesamt zwölf Schreibmaschinen, die ich heute besitze, und ich fing sofort an, mit unterschiedlichen Materialien zu experimentieren.« Sie lacht. »Klopapier zu betippen, war für mich auch schon vor Corona ein Thema. Ich bezeichne es gerne als ›Po-esie‹. Die Arbeit ›Keep in touch‹ ist aber tatsächlich im ersten Lockdown entstanden.«

Kreatives auf Kaffeefiltern

Ihre Liebe zur intensiven Auseinandersetzung mit Texten hatte Lisa Golze schon während der Schulzeit entdeckt. Im Studium kam dann noch das Interesse an literaturtheoretischen Themen hinzu. »Das Wort ›Text‹ stammt ja von ›Textura‹, also ›Gewebe‹. Mich interessiert das Gemachte, die Formbarkeit. Dazu passt das Tippen auf der Schreibmaschine als physischer Vorgang. Durch die eingeschränkten Möglichkeiten konzentriere ich mich noch mehr auf das Wesentliche – das regt meine Kreativität an. Manchmal sind es Fehler oder technische Defekte, die mich auf neue Ideen bringen. Oder auch das Zusammenspiel des Textes mit einer besonderen Textur, wie bei meinen Arbeiten auf Klopapier oder Kaffeefilter.«

Ausstellungen in London, Hamburg und Kentucky

Im ersten Pandemiejahr kam der Schneeball ins Rollen: Lisa Golze startete einen Insta­gram-Account (newgoldblatt), auf den auch internationale Künstlerkolleg*innen aufmerksam wurden. Es folgten Online-Ausstellungen in Kentucky und London und eine Einladung zur Veröffentlichung im ToCall Magazine, der führenden Zeitschrift für zeitgenössische konkrete und visuelle Poesie. Als es wieder möglich war, kamen schließlich eine Präsenzveranstaltung in einer Londoner Buchhandlung für Künstlerbücher sowie Ausstellungen in verschiedenen Hamburger Ateliers und bei dem Altonale Festival hinzu. »Die positive Resonanz hat mich selbst total überrascht!«

»Ein einziger Buchstabe kann die ganze Sichtweise verändern«

Lisa Golze will wachrütteln und wachgerüttelt werden, neue Perspektiven finden und Interpretationsspielräume eröffnen. »Ein einziger Buchstabe kann die ganze Sichtweise verändern, ein winziges Zeichen eine große Wirkung erzielen. Das hat für mich etwas sehr Befreiendes und auch Tröstendes.«

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