Stadtmagazin Witten: Dies und Das

Zuversicht

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Waren Sie in der letzten Zeit mal in einer Buchhandlung? Vielleicht in einer von denen, die wir in Witten haben? Dann hatten Sie dort die große Wahrscheinlichkeit, gut gefüllte Regalböden zum Thema ›Positiv‹ zu finden. Positiv sein ist das neue große Ding im Bereich der Breitenpsychologie, aber auch im Bereich der akademischen Psychologie wird dieses Thema immer aktueller. ›Flow‹, ›Resilienz‹, Happiness. All das sind Begriffe, die im Zuge der Positivitä̈tswelle zu uns vordringen. Völlig ungefiltert kö̈nnte man meinen: Endlich! Die Lö̈sung. Da ist sie. Ich muss einfach nur positiv sein, positiv auf die Welt schauen. Mich positiv ausrichten. Und dann wird alles positiv..

Negativ.

So einfach ist es nicht. Wem es schlecht geht, der kann nicht einfach positiv aufs große Ganze schauen. Schon das kleine Fragment des eigenen Lebens positiv zu beleuchten, scheint unmöglich. Und dann bauen diese Regalbretter voll günstigem Lebensfrohsinn auch noch zusä̈tzlichen Druck auf.

Hinderlich.

Es darf nicht schlecht sein, denn es gibt ja eine Lö̈sung – fü̈r jeden zugä̈nglich. Und wer es nicht schafft, ist selber schuld. Mach halt!

Und ja, das stimmt: bei Pille-Palle-Problemen. Da hilft die rigorose Ausrichtung am positiven Gedankengut gut. Tatsächlich kann man sich (die Psychologie nennt es) primen und gezielt Gedankeninhalte zulassen, oder auch nicht. Auf dem Weg zum Elternabend, auf den man keinen Bock hat, hilft das wunderbar. Ebenso bei vielen Alltagssituationen, bei denen es einfach schö̈ner ist, positiv zu sein.
Während ich diese Zeilen schreibe, spielen meine Kinder Ball im Garten. Eines der Kinder tritt mit dem Schuh in die Vogelträ̈nke. Schuh und Fuß nass. »Egal, Wasser macht lustig«, ist seine Reaktion. Und weiter geht es.

Positiv gedacht, weil negatives Denken auch nichts gebracht hätte. So einfach kann es sein. Ist es aber nicht.
Geht es um Krieg, Krankheit und Exis-tenzä̈ngste, Themen, die rä̈umlich und zeitlich mehr ausufern als ein nasser Fuß oder die nä̈chsten paar Stunden, sieht die Welt schon anders aus. Manche Themen sind so grenzenlos, dass wir gar nicht verstehen, in Bezug auf welchen Aspekt des Ganzen wir positiv bleiben sollen.

Alles ist diffus, irgendwie unverstä̈ndlich.

Wenn wir uns auch in schwierigen, angstvollen Situationen in ausschließlich positives Denken zwingen, spricht man mittlerweile von toxischer Positivitä̈t. Also giftiger Positivitä̈t, die alle Herausforderungen und Fallstricke leugnet. ›Leugnen‹ stammt vom Wort ›verbergen‹ ab. Und wer etwas vor sich selbst verbirgt, lä̈uft Gefahr, sich selbst zu belü̈gen.

Mist.

Aber was kö̈nnen wir tun? Jetzt, wo die Herausforderungen sich zu stapeln drohen?
Wir stehen vor einem Winter, der definitiv Hü̈rden bereithalten wird. Und manche von uns werden an diesen Hürden stolpern oder sie gar nicht ü̈berwinden können. Menschen, denen es vor einiger Zeit noch gut ging, drohen sozial abzusteigen. Und auch, wenn dies nicht geschieht: Die Sorge davor ist da. Da kannst du so positiv denken, wie du willst.

Was hilft?

Ich glaube, dass wir einen alten Begriff und somit eine alte Denkweise wieder aus der Schublade holen dürfen: die Zuversicht.
Zuversicht ist zukunftsorientiert. Sie findet nicht jetzt statt, bzw. muss es nicht. Zuversicht hat weniger Scheiter-Potenzial, denn sie lässt Angst und Sorgen zu. Sie dü̈rfen sein. Aber von ihnen aus schaue ich in die Zukunft und bin zuversichtlich. Zuversicht bedeutet, daran zu glauben, dass etwas Positives geschehen wird. Es wird nicht alles positiv, aber es wird definitiv etwas Erfreuliches passieren. Zuversicht bedeutet, in positiver Erwartung zu sein und zu hoffen. Darin steckt, dass es auch Faktoren gibt, die wir nicht beeinflussen kö̈nnen.

›Es wird schon irgendwie weitergehen‹, ist keine vor Positivitä̈t strahlende Aussage. Fast kann sie matt und müde wirken. Aber sie ist von Zuversicht geprä̈gt. In ihr steckt die Erwartung daran, dass auch gute Dinge geschehen werden. Das entlastet, denn es muss nicht einfach alles gut sein. Beide Seiten, das Gute und das Schlechte, finden Wertschä̈tzung.

Zuversicht ist nicht egoistisch – spannend dass es kein direktes Gegenteilwort dafü̈r gibt! –, sondern kann die Menschen um uns herum mit einbeziehen. ›Jetzt sei mal positiv‹ ist immer ein Appell und ein Imperativ, fü̈r den man meistens kein Mandat besitzt. Und solche Appelle lö̈sen beim Gegenü̈ber Ablehnung aus.
Zuversicht dagegen können wir teilen, durch Gesten, Hilfen und Taten. Wir kö̈nnen der Grund sein, auf den andere Menschen hoffen, weil wir aufgrund unserer Mö̈glichkeiten in der Lage sind, etwas zu tun, was unser Gegenü̈ber vielleicht nicht kann. Im Gegenzug schenken mir andere Menschen Zuversicht.
Zuversicht weckt Vertrauen. Nicht weil alles gut werden wird, das wird es vielleicht gar nicht. Aber darin, dass gute Dinge geschehen werden, dass ich in Krisen und bei Problemen aufgefangen werde.
Das ist Zuversicht. Sie entsteht, wenn wir bereit sind, miteinander und fü̈reinander da zu sein. Nicht im ›Heile-Welt-und-alles-ist-zuckersü̈ß-Modus‹, sondern im Glauben daran, dass gute Dinge in Sicht sind. Und die Scheiße auf dem Weg dorthin rä̈umen wir zusammen weg.

Mir hilft Zuversicht dabei, meinen Fokus so zu verschieben, indem ich gezielt nach Dingen forsche, die positiv sind oder sich positiv ergeben kö̈nnten. Ich erweitere meinen Fokus, um die Perspektive der Zukunft zu erweitern, in der alles Kacke sein könnte, was aber unwahrscheinlich ist. Ich stifte Zuversicht, indem ich die Lebenswelt der mich umgebenden Menschen wertschä̈tze – auch wenn die gerade negativ besetzt ist – durch Zuhö̈ren und Da-sein. Mehr kann man manchmal nicht machen. Fü̈rs Gegenü̈ber ist das aber oftmals eine große Menge.

Ich bin zuversichtlich, dass wir die Aufgaben der kommenden Monate gut bestehen werden, wenn wir zuversichtlich bleiben. Dabei sollten wir, genauso wie die toxische Positivitä̈t, auch die vergiftende Negativitä̈t weglassen und manchmal einfach feststellen, dass es gerade so ist, wie es ist, sich das aber wieder ä̈ndern wird. Wenn auch nur langsam oder in Nuancen.
Krieg und Energiekrise sind alte Hüte, die auch in der Mottenkiste hä̈tten bleiben kö̈nnen. Sind sie aber nicht.
Daher ist es gut, wenn wir die andere Kiste, die mit den alten Werten und Ideen auch wieder ö̈ffnen und die Zuversicht herausholen.
Ganz egoistisch und im Sinne von uns allen.

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