Neue Bahn, neue Möglichkeiten
Der Boule Pétanque Club Witten am Hohenstein macht den Kugelsport für alle populär
Die Metallkugel liegt schwer in meiner Hand. Gute sieben Zentimeter im Durchmesser, genau 700 Gramm an Masse. Damit soll ich gleich auf ein Schwein werfen. Das erfordert das richtige Maß an Kraft und extreme Präzision. Doch keine Sorge, Tiere kommen nicht zu Schaden. Ich spiele bloß, dank des PBC Witten e. V. zum ersten Mal professionell angeleitet, Boule. Ziel dieses Spiels, das viele aus Frankreichurlauben oder aus Souvenirläden und Kinderspielzeugabteilungen kennen, ist es, seine großen Metallkugeln möglichst nah an eine kleine rote Zielkugel zu werfen. Und diese Zielkugel heißt Cochonnet, französisch für Schweinchen. Oder eben – typisch Ruhrpott – einfach Sau.
Präzision und viel taktisches Geschick
»Du legst die Kugel in deine Hand und spreizt leicht den Daumen ab. Dann drehst du die Hand um und wirfst«, erklärt mir Walter Krenner, Schatzmeister des Boule Pétanque Clubs (PBC) Witten. »Aber nein, lass den Daumen ruhig dran«, mischt sich Jürgen Richter, 2. Vorsitzender des Vereins ein. Es entbrennt eine kleine Diskussion zwischen den beiden Männern. Man argumentiert mit Trainer-Koryphäen und mit jahrelangen Erfahrungswerten. Und ich sehe: Wie bei jedem Sport steckt auch beim Boule mehr hinter, als es auf den ersten Blick scheint. Und bin gespannt. Natürlich kann man einfach drauflos werfen und Spaß am Wettbewerb haben. Doch wenn man wie die 1. Mannschaft des PBC Witten in der Bezirksliga erfolgreich sein will oder gar in der Bundesliga, vielleicht auch an internationalen Meisterschaften teilnehmen möchte, dann braucht es mehr als das. Dann braucht es Präzision und viel taktisches Geschick. »Und weil man nach jedem Wurf zu den Kugeln läuft und die Situation bewertet, ist es auch ein bisschen ein Laufsport«, sagt Walter Krenner mit einem halb ernst gemeinten Augenzwinkern.
Spannende Premiere auf der ›Schotterpiste‹
Ich werfe also meine Kugel – ob ich meinen Daumen nun angelegt habe oder nicht, weiß ich nicht mehr – und nähere mich dem Schwein halbwegs ordentlich an. Die Kugel bleibt einen knappen Meter davor liegen, aber dafür auch direkt davor. »Nicht schlecht«, sagt Walter Krenner, »so kann man das Schweinchen für den Gegner blockieren.» Meine beiden ›Trainer‹ an diesem Freitagnachmittag beurteilen jeden Wurf direkt nach ihren taktischen Möglichkeiten. Je mehr Kugeln sich bereits um das Ziel ballen, umso mehr Möglichkeiten zum weiteren Vorgehen lassen sich diskutieren. Ich bin beeindruckt, was sich alles aus einer ›Schotterpiste‹ und ein paar Wurfobjekten herauslesen lässt.
Neues Boulodrom auf dem Hohenstein
Die ›Schotterpiste‹, auf der wir spielen, ist brandneu. Erst im Mai wurde das zweite Boulodrom (so nennt man eine Boule-Spielanlage) auf dem Hohenstein eingeweiht. Theoretisch kann man Kugelsportarten wie Boule auf jedem Untergrund spielen. »In Frankreich, da spielen sie übers ganze Dorf hinweg, auf Gehwegen, auf dem Parkplatz, in den Parks«, erklärt Jürgen Richter, der vor 15 Jahren eben in einem Frankreichurlaub seine Liebe zum Sport entdeckt hat. Aber ein Boulodrom, eine klar abgegrenzte Spielfläche mit ebenem Untergrund verleiht den Treffen des PBC – zu denen übrigens jede und jeder jederzeit willkommen ist – einen offizielleren Anstrich. Doch nicht nur das: Mit den nun zwei Mal acht Bahnen kann der PBC auch Liga-Spieltage ausrichten. Und noch mehr.
Bewegung für große und kleine Menschen – auch mit Handicap
»Pétanque ist ein Sport für alle. Da kann die Zehnjährige mit dem Achtzigjährigen spielen«, sagt Jürgen Richter. Pétanque ist übrigens eine Variante des Sports, die zusammen mit Boccia unter dem Oberbegriff Boule zusammengefasst werden kann. »Und es ist einfach zu lernen. Das kann wirklich jeder spielen.« Aus diesem Grund kooperiert der Verein seit Neuestem auch mit dem Inklusiven Sport Club ISC, der der Lebenshilfe e. V. angeschlossen ist. Mit dieser Kooperation sollen Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen einen Sport erlernen, Selbstwirksamkeit erfahren und Selbstbewusstsein finden. Mein nächster Wurf beschreibt keine so schön gerade Bahn wie der erste. Die Kugel rollt nach der Landung direkt nach links. Ich habe das Handgelenk beim Werfen gedreht. Das passiert mir beim Bowling auch ständig – ja nun, Bowling und Boule haben nicht nur sprachgeschichtlich viele Gemeinsamkeiten. »Den Drall hast du schon in der Luft gesehen«, erklärt Jürgen Richter. Und Walter Krenner zeigt mir direkt darauf, wie man diesen Drall – Effet genannt – auch ausnutzen kann. Er wirft seine Kugel so, dass sie eine gegnerische dank des Dralls umgeht, und holt so den Punkt.
›Kommen und mitspielen‹
Auch bei Veranstaltungen wie dem beliebten ›Sport im Park‹ ist der PBC vertreten, wo Boule viele Neugierige und Interessierte anlockt. Die kommen aber auch so. Die Lage an Haus Hohenstein und dem Wildgehege führt zu viel ›Laufkundschaft‹. Immer wieder fragen Spaziergänger, ob sie nicht auch mal mitspielen könnten. Diese Gäste sind herzlich willkommen, erklären die beiden Vorstandsmitglieder. Voraussetzung ist, dass auch ein Satz Kugeln zur Verfügung steht. Denn jeder Spieler hat seine eigenen Sportgeräte, die sogar jeweils eine weltweit einzigartige Prägung aufweisen. Zusätzlich findet jeden letzten Samstag im Monat ein offenes Pétanque-Turnier statt, das nach dem Prinzip ›Kommen und mitspielen‹ funktioniert. Rechtzeitig da sein sollte man allerdings schon und einen eigenen Satz Kugeln mitbringen. Im August jedoch fällt das offene Turnier zugunsten einer größeren Veranstaltung aus. Das Nachtigall-Turnier an der gleichnamigen ehemaligen Wittener Zeche lockt auch dieses Jahr bis zu 120 Doubletten – also Zweier-Teams – aus Deutschland und Nachbarländern an. Das nunmehr 19. Turnier findet heuer am 28. August statt.
Freude am Spiel und Zeit für Spässken
Der PBC Witten e. V. hat derzeit 57 Mitglieder. Der Vorstand bemüht sich, sowohl den Spitzensport als auch den Breitensport zu fördern. Neben den genannten Kooperationen ist der Verein auch beim Sportkarussell des KreisSportBunds Ennepe-Ruhr vertreten, bei dem Schulkindern unterschiedliche Sportarten nähergebracht werden sollen. Damit soll auch die junge Generation Zugang zu diesem stetig beliebter werdenden Sport finden. Die Vorstandsmitglieder selbst sind Vollblut-Spieler, das merkt man direkt. Der 1. Vorsitzende des Vereins, Johannes Artmann, sorgt sich während eines Krankenhausaufenthalts noch vor allem darum, ob im Verein alles rund läuft und wie es um seine Spieltauglichkeit steht. Auch die anderen Menschen um uns herum, Männer und Frauen jeden Alters, widmen sich mit sichtlicher Konzentration und Freude dem Spiel, haben aber auch genug Zeit für Spässken auf den Bahnen links und rechts.
Voll motiviert
So langsam bekomme ich ein Gefühl für die Kugeln, für ihr Gewicht, für ihr Flugverhalten. Wie ich meinen Daumen gehalten habe? Das weiß ich nicht mehr. Ich habe mich darauf konzentriert, die Kugeln des Gegners wegzuschießen. Das ist viel spannender. Anpeilen … Schwung holen … Handgelenk gerade lassen … Wurf! Voll daneben. Die beste Planung bringt nichts, wenn es an Präzision mangelt. Auf der Bahn neben mir wirft jemand aus 12 Metern Entfernung zielgenau voll aufs Schwein. Und motiviert mich dazu zu üben. Auf dem Hohenstein oder an irgendeinem anderen Ort.
Informationen und Termine finden sich unter www.pbc-witten.de