Jimmy Carter in den Ohren
Vor kurzem erschien eine äußerst lesenswerte Biographie über Jimmy Carter – aus Wittener Federn. Die erste Biographie dieses ungewöhnlichen US-Präsidenten im deutschen Sprachraum und eine leidenschaftliche Würdigung des Gewissens Amerikas. Wir sprachen mit dem Wittener Autor Harald Kiczka über seine Inspiration zu seinem Werk.
Einen nachhaltigen Eindruck hinterließ die Stimme Jimmy Carters bei Harald Kiczka, als sie 1976 in dessen Ohren drang. Während eines Besuchs in New York war sie in einem Radiobeitrag zu hören. Der damalige Präsidentschaftskandidat habe geklungen wie ein ernsthafter Mensch, berichtet er. Und ab da habe er den weiteren Werdegang des von 1977 bis 1981 amtierenden US-Präsidenten genau verfolgt.
Bei einer Tasse Kaffee und Sonnenschein sitzen wir im beschaulichen Garten hinter dem Haus der Eheleute Kiczka, um über das neu herausgegebene Buch ›Jimmy Carter und das andere Amerika‹ zu sprechen. Mit der Anekdote, die sich vor annähernd fünf Jahrzehnten auf der anderen Seite des Atlantiks zugetragen hat, beginnt der Autor zu erzählen. Hinter seiner rahmenlosen Brille und dem über das gesamte Gespräch hinweg ernst erscheinenden Gesichtsausdruck lässt sich jedoch nicht die Begeisterung verbergen, die die erste Begegnung mit dem amerikanischen Politiker bei ihm entfachte. Es scheint definitiv etwas zu leuchten in seinen Augen.
Harald Kiczka berichtet weiter von insgesamt elf Aufenthalten in den USA, die weniger mit Zufällen zu tun haben dürften, als damit, dass er neben Philosophie und Anglistik auch Amerikanistik studierte. Vielmehr ein Zufall sei es gewesen, dass er über eine Begegnung mit einem jungen reisenden Amerikaner Nachfahren des amerikanischen Philosophen Ralph Waldo Emerson kennenlernte. Diese konnte er schließlich aufsuchen und dort u. a. in privaten Archiven forschen. Es seien teilweise Vortragsreisen gewesen, so berichtet der ehemalige Oberstufenlehrer, bei denen er das Land und die Menschen auf vielfältige Weise kennenlernen durfte. Er entdeckte dabei, wie er sagt, ein in Deutschland weniger bekanntes Amerika. Eines, das sich zwar auch auf den Grundwert des Individualismus stütze, in diesem Sinne aber mehr auf das Gemeinwohl als auf egoistisches Handeln ausgerichtet sei. Den Menschen Jimmy Carter betrachtet Kiczka als einen Vertreter dieses Amerikas mit Überzeugungen, denen er stets und vor allem während der vierjährigen Präsidentschaft treu geblieben sei.
Irgendwann, noch während der aktiven Zeit an der Wittener Rudolf-Steiner-Schule, begann er über Jimmy Carter zu schreiben, veröffentlichte Artikel auch in der Schweiz und Großbritannien. Eine Kopie des in englischer Sprache erschienenen Artikels sandte er Jimmy Carter zu und erhielt prompt eine Antwort. ›Ich werde versuchen, Ihren Beschreibungen gerecht zu werden‹, hieß es darin. Sogar zu einem persönlichen Treffen mit Handschlag sei es gekommen. Vor etwa zehn Jahren begegneten die beiden sich, als Carter im Rahmen eines Zukunftskongresses an einem Gottesdienst in Wattenscheid und einer anschließenden Podiumsdiskussion in der Jahrhunderthalle Bochum teilnahm. Es folgte ein Austausch von Briefen, die Carter stets umgehend und handschriftlich beantwortete.
Im Grünen zu sitzen und über die Entstehung der Biographie zu sprechen, sei auch irgendwie passend, merkt Harald Kiczka zwischendurch an, sei Grün doch die Lieblingsfarbe Jimmy Carters. Dass aus diesem intensiven Interesse für die Person tatsächlich einmal ein Buch werden würde, war für den Wittener Autor lange nicht selbstverständlich. Vielmehr berichtet er von Zweifeln an der Sinnhaftigkeit, über einen ehemaligen US-Präsidenten zu veröffentlichen, der in weiten Kreisen als unpopulär gilt und den heutzutage viele Menschen gar nicht mehr zu kennen scheinen. Demgegenüber standen jedoch, wie der Wittener erläutert, Carters langjähriger Einsatz für Minderheiten, Frauenrechte und das Klima, gesellschaftliche Themen unserer heutigen Zeit.
Nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben intensivierte Harald Kiczka seine Forschung über den Sohn eines Erdnussfarmers. Er las die meisten der 34 Bücher des Amerikaners, studierte Dokumente und Werke wie das ›White House Diary‹ und trug weiteres Wissen am heimischen Schreibtisch zusammen. Es seien Manuskripte entstanden, in denen er seine Erkenntnisse und sein Wissen über Carter niederschrieb. Mit der rechten Hand deutet Harald Kiczka an, dass die ersten Entwürfe zentimeterdick gewesen seien, was glaubwürdig erscheint, angesichts der Detailfülle und Genauigkeit, mit der er auf seiner Terrasse sitzend erzählt. Im ständigen Austausch mit seiner Ehefrau, mit Freunden und einem befreundeten Schriftsteller fand er nach und nach heraus, auf was er verzichten könnte, welche Aspekte und Hintergründe nicht in allen Einzelheiten erklärt werden müssten, wenn er die Texte über Carter und ›das andere Amerika‹ neu schreiben würde.
Dabei wollte er bewusst nicht ›für den befreundeten Geschichtslehrer‹ schreiben, sondern möchte gerade Jugendliche mit seinem Buch erreichen. Menschen, die er jahrelang unterrichten durfte. Aus diesem Grund verzichteten Autor und Verlag in der Erstausgabe etwa auf ein Sachwortverzeichnis, obwohl das Werk den Anspruch hat, ein Sachbuch zu sein. Stattdessen ist der Inhalt in 47 kürzere oder längere thematisch fokussierte Kapitel strukturiert, die neben der Person Carter und ihrem Wirken auch die Geschichte der Vereinigten Staaten und dortige gesellschaftliche Zusammenhänge erklären. So ist beispielsweise im Kapitel 29 auf zwei Seiten eine gut lesbare Zusammenfassung enthalten, die Carters Wirken in Bezug auf das SALT II-Abkommen zur nuklearen Rüstungsbegrenzung Ende der 1970er-Jahre erörtert.
Am Schluss des Gespräches gibt Harald Kiczka einen Ausblick auf das, was noch kommen soll. Wenn er einmal nicht mit seinen beiden Hunden, den Enkelkindern im Garten oder mit dem Umbau seines alten Wohnmobils beschäftigt ist, dann arbeitet er bereits an seinem neuen Buch mit dem Arbeitstitel ›Leuchtsterne‹. Das seien, wie er sagt, herausragende oder bedeutende Personen der jüngeren Geschichte, die er in einzelnen Kapiteln porträtieren wird. Wir sind gespannt
Harald Kiczka
Jimmy Carter und das andere Amerika
1. Auflage 2022, 224 Seiten
18,90 Euro · Info3 Verlag
ISBN 978-3-95779-151-1