Wir sind da!
Aktiv und gelassen durch schwere, schräge Zeiten
Beginnender Sommer 2022. Viel los. Pandemie ist noch da. Ein Krieg in Europa auch. Dazu sind die Biergärten geöffnet und die Masken vielfach abgesetzt. Es herrscht eine wirr scheinende Melange aus dem, was bis 2020 als normal galt, und ganz viel Neuem.
Wir, als Gemeinschaft, leisten gerade viel. Wir schaffen Wohnräume für geflüchtete Menschen und spenden Geld, wir schaffen Bewegungsangebote und Therapieangebote. Wir sind da.
Gleichzeitig haben wir Bange. Plötzlich steht die Drohung atomarer Kampfhandlungen auf unserem Kontinent im Raum. Nicht weit weg. Mancher Urlaubsort ist viel weiter entfernt. Plötzlich verändert sich die gefühlte Geographie unserer Welt. Die Rolle Russlands verändert sich. Der verstaubte und muffige eiserne Vorhang wird aus der Mottenkiste geholt und dafür vorbereitet, wieder aufgehängt zu werden.
Wir stecken in einer kollektiven Krise. Und Krise braucht Krisenintervention. Im Sinne von Entlastung.
»Wer seine Ängste überwunden hat, wird wirklich frei sein.«
(Aristoteles, ›Quasi-Begründer‹ der Philosophie an sich)
Da haben sie gut reden, die alten Weisen. Aber wie macht man das? Sicher ist schon mal, dass der Satz oben stimmt. Denn man kann, wie in der Grundschule gelernt, fast mathematisch, eine Probe darauf machen, indem man den Satz umkehrt. Dann wird so etwas daraus wie ›Wer Angst hat, ist nicht frei.‹ Stimmt. Oder?
Und die Diktatoren dieser Welt betreiben damit extrem gewinnbringende Eigen-PR. ›Haltet euch zurück oder ich zücke meine Atomwaffen‹ schürt Sorgen und Ängste und macht uns unfrei. Nicht im realen Sinne, jedoch mental.
»Nicht die Dinge selbst beunruhigen die Menschen, sondern die Vorstellung von den Dingen.«
(Epiktet, krasser Stoiker)
Was kann ich also tun? Für mich. Für andere? Was ist sinnvolle und zielführende Krisenintervention? Sechs Ideen:
1. Großes im Kleinen bewirken
Nein, die Weltgesamtlage kann ich nicht alleine ändern. Sie können es auch nicht. Und auch nicht unser Bundeskanzler. Zack, Flinte im Korn. Nein. Denn was ich kann, ist mich im Rahmen meiner Möglichkeiten, in meinem Radius einzusetzen. Da ist sehr vieles möglich. Und es hat auch noch zwei Seiten. Dazu gleich mehr.
Gehen Sie zum Beispiel mal in unser Wittener Tierheim. Dort werden Helfer und Tierpaten gesucht. Dringend. Dort können Sie die menschlichen Helfer gewinnbringend unterstützen und einem tierischen Lebewesen das Leben leichter und schöner machen. Oder schauen Sie sich mal das Angebot der ›Witten Baskets‹ an. Der Verein organisiert wöchentlich ein Angebot für geflüchtete Menschen, bei dem jede Hand benötigt wird. Und es gibt noch zahllose weitere tolle Initiativen.
Ja, und …
Indem Sie sich etwas suchen, wo Sie im Rahmen Ihrer Möglichkeiten etwas verändern können, schaffen Sie etwas Positives, etwas Sinnstiftendes, etwas Glücklichmachendes – für sich und andere. Man spricht in diesem Kontext manchmal auch davon, die Selbstwirksamkeit zu stärken. Sie tun sich etwas Gutes, indem Sie etwas Gutes tun. Denn darum geht es. Aufopferung hilft niemandem. Dazu weiter unter mehr.
2. Informations-Entschlackung
Der Ukraine-Krieg ist der erste Krieg, den wir live mitverfolgen können. 24 Stunden am Tag. Pausenlos. Diese Gleichzeitigkeit ist gerade für geflüchtete Menschen eine starke Herausforderung. Sie sind hier, in Sicherheit, während sie online mitverfolgen können, wie zu Hause die Bomben hageln. Alles live übertragen von unzähligen Social Media Accounts auf beiden Seiten. Und auch viele deutsche Medien haben Liveticker eingerichtet, in denen sich das Geschehen minutengenau rekapitulieren lässt. Das ist gut im Sinne der Transparenz. Es ist schlecht im Sinne der mentalen Entlastung.
Diese Entlastung müssen wir uns selber gestalten, indem wir Nachrichten gewählt konsumieren und versuchen, auf eine begrenzte Zahl von guten Quellen zurückzugreifen.
Früher war nicht alles besser. Aber mehr weniger. Es gab die Tagesschau und die Tageszeitung und dazwischen wenig Möglichkeiten für angstmachende Informationen, die das Gedankenkarussell weiter anschubsen. Achten Sie auf sich und Ihren Konsum. Die meisten von uns fressen, saufen und rauchen nicht ungehemmt. Und genauso können wir uns auch beim Info-Konsum einschränken. Warum? Weil es gut tut und gesund ist.
3. Es sich gut gehen lassen. Ohne schlechtes Gewissen.
Es geht vielen von uns gut. Sehr gut sogar. Und im Kontext von Krieg und Krisen wird uns das oftmals noch mehr bewusst. Daraus entsteht bei manchen Menschen so etwas wie ein schlechtes Gewissen. Das ist in der Dynamik nachvollziehbar jedoch nicht zielführend.
Nein, es geht nicht um Hedonismus. Es geht darum, sich selber nicht aus den Augen zu verlieren. Auch ein Rennauto muss mal tanken, auch die besten Bergsteiger rasten in Lagern, um für die Herausforderungen gewappnet zu sein. Es ist gut, klug und sinnvoll, es sich manchmal einfach gut gehen zu lassen. Dosiert über die Stränge zu schlagen. Ganz individuell und so, dass es Ihrem Weg zur Entlastung entspricht.
4. Ablenkung
Krisen sind davon gekennzeichnet, dass der Kopf eingeschaltet ist, Gedanken auf Gedanken folgen und Abschalten schwieriger wird. Eine Krise muss man, so sagt es unser Sprachgebrauch ›meistern‹. Aber was, wenn wir noch keine Meister im benötigten Gewerk sind?
Ich zumindest habe weder ›Pandemie‹ noch ›Krieg‹ gelernt und musste mich da erstmal einarbeiten. Sachlich, faktisch und mental. Das gelingt nur, wenn wir uns Ablenkung gönnen, den Kopf runterfahren und einfach mal stumpfe Dinge tun. Nicht, um vor Problemen wegzulaufen, sondern um den Fokus zu verändern. Gibt es ratsame Ablenkungen? Ja, alles was Sie so ablenkt, dass Sie sich gut abgelenkt fühlen.
5. Konzentration
›Konzentrier dich …‹ ist ein Appell, der mir aus meiner Kindheit- und Jugend gut bekannt ist und wenig positive Assoziationen weckt. Schade. Denn die Intention hinter dem Appell ist wertvoll. Sich zu konzentrieren bedeutet, sich einer Sache fokussiert zu widmen. Auf diese Weise kann man in sie eintauchen und sie schnell und möglichst gut beenden.
Achten Sie darauf, dass Sie möglichst viele Dinge am Tag konzentriert machen. Wenn Sie essen, dann essen Sie konzentriert. Das geht nur, wenn Sie dabei keine Ablenkungen zulassen. Das gilt auch für die Arbeit, fürs Spazierengehen, das Rumdaddeln auf dem Handy oder das ablenkende Gucken von Fernsehserien. Konzentrieren Sie sich und konsumieren Sie den Moment in seiner reinen Form.
6. Langeweile/Reizlosigkeit
Haben Sie Kinder? Ich ja. Und daher kenne ich den Satz ›Mir ist langweilig‹ sehr, sehr gut. Mit aufkommendem Alter scheint dieses Phänomen jedoch zu verschwinden, und Langeweile spielt im Erwachsenenalter kaum mehr eine Rolle. Leider. Denn es ist so viel zu tun, zu durchdenken und zu erledigen, dass Zeit zu einer begrenzten Ressource wird. Gerade in Krisen ist das der Fall.
Schaffen Sie sich Langeweile. Zeit, in der gar nichts passiert und die sich von alleine füllen darf. Starren Sie aus dem Fenster. Sitzen Sie auf dem Balkon. Gestalten Sie Zeiträume, in denen nichts Geplantes geschieht. So entstehen Phasen der Reizlosigkeit, und Sie haben die Möglichkeit, sich dem zu widmen, was gerade ist. Solche Phasen lassen sich ideal mit den in den Punkten zwei und vier kombinieren. Probieren Sie es aus, und schaffen Sie Zeiträume der Muße. Dieser Begriff, etwas altmodisch, beschreibt die Zeit, die ein Mensch nach eigenem Wunsch nutzen kann.
»Vielmehr müssen wir die wirkliche Quelle unseres Glücks (und der Gesundheit) einmal mehr auch in unserem mentalen Zustand suchen, in unserer Lebenseinstellung, unseren Beweggründen und im Maß der liebevollen Zuneigung, die wir anderen entgegenbringen.«
(Dalai Lama)
Wir befinden uns in einer Zeit, in der Zuneigung, Wohlwollen und Menschlichkeit nicht mehr als Schwächen gedeutet werden, sondern in der wir kollektiv spüren, dass diese Werte essenziell wichtig für unseren Alltag sind.
Fangen Sie bei sich an. Gehen Sie wohlwollend mit sich um. Das geht nicht von jetzt auf gleich. Aber es kann großen Spaß machen, daran zu arbeiten. Für sich selbst und für alle Menschen, die ihren Alltag um uns herum verbringen.
