Stadtmagazin Witten: In der Stadt

›Verlorene‹ Künstlerinnen im Rampenlicht

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Ausstellung zum ›Gender Gap‹

Der Kardinal ist ein stolzer Mann – das sieht man auf den ersten Blick. Befehlsgewohnt hebt er die Hand. Sein goldener Thron wird von zwei Hunden flankiert. Auf seinem Schoß liegt ein riesiger Fisch. »›Der Kardinal‹ von der Künstlerin Rissa ist mein absolutes Lieblingsbild, weil es groß und bunt ist und gleichzeitig so viel ausdrückt«, schwärmt Claudia Rinke, Kuratorin der Ausstellung im Märkischen Museum Witten. »Die alten Symbole – Hunde als Zeichen von Treue und Macht, der Fisch als Symbol für das Christentum – wurden von der Malerin 1969 modern umgesetzt. Und wenn man beobachtet, was gerade in der katholischen Kirche passiert, wie dort auf uralten Herrschaftsprinzipien beharrt wird, die keine Veränderung, keine Gleichstellung zulassen, ist das Thema bis heute aktuell.«

 

»Gerade der Kulturbereich stellt sich ja gerne als besonders divers und gleichberechtigt dar. Wenn man genauer hinschaut, stellt man aber schnell fest, dass das oft gar nicht stimmt.«

Märkisches Museum seit 1886 in Männerhand

Das Bild gehört zur Ausstellung ›ANDERS NORMAL! Revision einer Sehschwäche‹, mit der sich das Märkische Museum Witten im Herbst und Winter 2021/22 dem ›Gender Gap‹ in der Gesellschaft widmet. Die neue Schau wirft aber auch einen kritischen Blick in die eigene museale Vergangenheit. »Gerade der Kulturbereich stellt sich ja gerne als besonders divers und gleichberechtigt dar«, so Claudia Rinke. »Wenn man genauer hinschaut, stellt man aber schnell fest, dass das oft gar nicht stimmt.« Sie nennt ein Beispiel: »Im Studium der Kunstwissenschaften beträgt die Frauenquote fast 90 Prozent – die leitenden Positionen an Hochschulen und in Museen sind jedoch zu 70 Prozent männlich besetzt. Unser Museum wird seit seiner Gründung 1886 durchgehend von Männern geleitet. Und auch weibliche Kunstschaffende sind hier im Haus stark unterrepräsentiert, was natürlich zum Teil historisch bedingt ist. Um dieses Geschlechterungleichgewicht aufzudecken und zu beseitigen, müssen wir uns die bestehenden Strukturen bewusst machen.«

Nur zehn Prozent der Werke stammen von Künstlerinnen

Zur Vorbereitung der Ausstellung hat das Team von Claudia Rinke die eigene Kunstsammlung genauer untersucht. Mit vielsagendem Ergebnis: Nur zehn Prozent des rund 5.300 Werke umfassenden Bestandes stammen von Künstlerinnen. Viele wurden Jahrzehnte lang nicht gezeigt und gerieten in Vergessenheit – darunter bekannte Namen wie Paula Modersohn-Becker, Gabriele Münter oder Käthe Kollwitz, aber auch regionale Talente wie die Hagenerinnen Lis Goebel (1884–1970) und Grete Penner (1892–1972) oder die Wittenerinnen Elisabeth Schmitz (1886–1954) und Susanne Stähli (*1959). »Ich war ganz erstaunt, wie viele tolle Künstlerinnen in unserem Inventar zum Vorschein kamen«, berichtet Claudia Rinke. »Wir wollen sie zurück ins Licht der Öffentlichkeit bringen.« Insgesamt wurden für ›ANDERS NORMAL! Revision einer Sehschwäche‹ 50 Künstlerinnen von Beginn des 20. Jahrhunderts bis zur Gegenwart ausgewählt.

»Wir laden dazu ein, die eigene Wahrnehmung zu hinterfragen – und Schubladen aufzubrechen!«

Erleben, informieren, mitmachen

Neben der Präsentation der eigenen Sammlung wird das Projekt ›RESURFACE‹ von Johanna Reich (*1977) vorgestellt. Die Kölnerin sucht seit acht Jahren nach ›verschwundenen‹ Künstlerinnen und hat bereits ein umfangreiches internationales Archiv angelegt. Die Frauen werden in verschiedenen Medien anhand von Porträts und Biografien gezeigt. Ergänzt wird die Ausstellung zudem von Vorträgen, computergestützten Informationen und Mitmachstationen. »Beispielsweise fordern wir die Besucher*innen dazu auf, Alltagsgegenstände als typisch männlich oder typisch weiblich zu sortieren.« Denn die ›Unsichtbarkeit‹ weiblicher Kunstschaffender spiegelt lediglich die allgemeinen gesellschaftlichen Verhältnisse wider. »Ob im Büro, in der Schule oder im Kinderzimmer, beim Einkaufen oder in den Medien – Geschlechtertrennung zieht sich durch den gesamten Alltag«, sagt die Kuratorin. »Wir laden dazu ein, die eigene Wahrnehmung zu hinterfragen – und Schubladen aufzubrechen!«

›ANDERS NORMAL!

Revision einer Sehschwäche‹
02.10.2021–20.02.2022
Märkisches Museum Witten
www.maerkisches-museum-witten.de

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