Als moderner Nomade vom Ruhrgebiet nach Zypern
Um diesen Artikel zu schreiben, ist unser Autor Marek Firlej extra mit dem Laptop an den Strand gegangen. Denn das erwartet man so von einem ›digitalen Nomaden‹. Es war einerseits schön, aber irgendwie knirscht sein Arbeitsgerät jetzt bedrohlich. Welche Tücken und welche Freiheiten ein digitaler Nomade hat, was das überhaupt ist und wie es sich in Coronazeiten auf der Mittelmeerinsel Zypern lebt, verrät Marek Firlej auf diesen zwei Seiten.
Ich arbeite, wo andere Urlaub machen
Corona kann man nicht entfliehen, dem Winter schon. Lieber erlebe ich einen Lockdown unter der Sonne als in Schnee, Schneematsch und Regen. Also habe ich mir den vielleicht wärmsten Ort der EU zum Überwintern ausgesucht, die Republik Zypern im östlichen Mittelmeer. Von hier ist es kürzer bis zur Türkei, nach Israel, ja sogar der afrikanische Kontinent liegt näher als der nächste Zipfel Europas, die griechischen Inseln Kreta und Rhodos. Und im Oktober 2020, als ich herkam, sah es aus, als hätte man das Virus in diesem Urlaubsparadies unter Kontrolle. Von Dezember bis Anfang März erlebte ich aber einen der strengsten Lockdowns Europas. Macht nichts, ich habe eine große, sonnendurchflutete Dachterrasse und genug zu tun. Was heißt das, ich habe zu tun? Gehe ich dorthin, wo ich Arbeit finde, als Kellner, im Lager oder auf dem Bauernhof? Nein, als Autor suche ich mir einen Ort, an dem ich sein möchte. Ich arbeite, wo andere Urlaub machen. Oder wo es außer mir, Freund obskurer Orte, niemanden hinzieht. Das Internet ist wahrlich eine Segnung für das moderne Arbeitsleben. Das merken derzeit viele Menschen auch in Deutschland. ›Homeoffice‹ nennt sich das dann in nicht ganz korrektem Englisch (der Amerikaner sagt eher ›remote work‹). Unter aktuellen Umständen praktizieren viele Menschen auf der Welt diese Arbeitsweise eher provisorisch. Die Wohnung hat keinen geeigneten Raum, der als Büro dienen kann. Der Internet-Provider hatte zwar versichert, dass es ab 2018 schnelleres Internet für Videokonferenzen geben würde, aber nun ja, wir wissen, wie es auch in einigen Teilen des Ruhrgebiets aussieht mit der schnellen Verbindung … Und dann rennen ja noch ständig die unterforderten Kinder, Hunde und Katzen über die Tastatur.
Die Welt als Büro
Als freiberuflicher Journalist habe ich aber schon seit meinem Studium von zu Hause aus gearbeitet. Und es hat durchaus einige Jahre gedauert, bis ich gemerkt habe, dass es eigentlich nicht ›von zu Hause arbeiten‹ heißen sollte, sondern ›von da, wo ein Computer ist‹. (Also ein weiteres Argument gegen den Begriff ›Homeoffice‹. Ich plädiere für ›Telearbeit‹.) Journalisten sind ohnehin viel unterwegs, mag man einwenden. Aber digitale Nomaden sind Menschen im gesamten Spektrum des Arbeitsmarktes, die ihre Arbeit am Computer erledigen können. Freunde von mir haben mit dem Motorrad ganz Lateinamerika bereist und nebenher Webseiten gebaut. Zypern selbst ist voll von Menschen mit ähnlichem Lebens- und Arbeitsstil. Alim aus Litauen ist Programmierer für ein Londoner IT-Unternehmen und kann sich von überall her in die Server seines Arbeitgebers einloggen. Nur aus St. Petersburg, so hat man ihn gebeten, sollte er schnell wieder raus, weil Zugriffe aus Russland die Firma doch irgendwie nervös machten … Martin, der in Dortmund studiert hat, hat erst auf den Philippinen und dann online, von Zypern aus, Deutsch unterrichtet. Jetzt lernt er wahrscheinlich von Costa Rica aus, wie man ein Online-Geschäft aufbaut. Lisa, Frauke und Alfred haben in Dresden ihre Dropshipping-Firmen hochgezogen. Das ist Online-Handel, der keine eigenen Lagerkapazitäten braucht, weil er direkt vom Hersteller oder Großhändler versendet. Für sie ist Zypern allerdings attraktiver als Deutschland, weil die Steuern hier wesentlich niedriger sind als zu Hause. Nachdem sie ihre Firmen hier angemeldet haben, ziehen sie weiter in der Welt. Vielleicht, mal schauen, sie sind ja frei.
All mein Besitz passt in einen Koffer
Man kann auf der einen Seite feststellen, dass der Mensch heutzutage Sklave der Technik geworden ist. Dieser Gedanke ist nicht neu, hat doch Charlie Chaplin bereits 1936 in seinem Film ›Moderne Zeiten‹ gezeigt, dass der Mensch selbst immer mehr zur Maschine wird, wenn er sich zu lange mit Maschinen befasst. Heute hat das eine ganz andere Dimension angenommen. Wir starren auf der Arbeit die ganze Zeit auf Bildschirme, um nach Feierabend auf andere Bildschirme zu glotzen. Und immer öfter sieht man Leute, die zwar beisammensitzen, aber einander nicht ins Gesicht, sondern auf ihre Telefone schauen. Das ist eine Schattenseite. Der technische Fortschritt hat die Arbeits- und Privatwelt allerdings auch zum Guten verändert. Ohne das Internet wäre so etwas wie ein digitales Nomadentum in dem Maße gar nicht möglich. Bei mir war es wirklich einmal die Einsicht, dass ich für meine Arbeit an Texten im Prinzip wirklich nur einen Laptop und eine Internetverbindung brauche. Alles andere war egal, also ob ich nun zu Hause in Bochum arbeite, in einem Wittener Café oder bei Freunden in Hamburg oder Berlin. 2018 fasste ich dann den Entschluss, Deutschland nur noch sporadisch zu sehen. Seitdem lebte, reiste und arbeitete ich in Frankreich, Polen, Georgien, Portugal, der Schweiz und nun auf Zypern. Als nächstes folgt Bulgarien. All mein Besitz passt in einen Koffer, so ist es einfacher den Ort zu wechseln. Auch das ist ein Vorteil der Digitalisierung. DVD- und CD-Sammlungen sowie Bibliotheken machen sich gut im Regal, passen aber nur schwer in einen Koffer. Mit Streamingdiensten und E-Books aber lässt sich das Wissen und der Unsinn der Welt überall hin mitnehmen.
Ist es denn nicht ein Traum, am Strand zu arbeiten, die Sonne im Nacken, Strandschönheiten im Blick und eine Margarita griffbereit?
Was es schwieriger macht, den Ort zu wechseln, ist natürlich das grassierende Virus. Also habe ich einige Monate in Larnaka verbracht, einem Ort von 3.500 Jahren Geschichte und rund 55.000 Einwohnern, der aber größer wirkt, weil hier gefühlt drei von vier Wohnungen im Sommer kurzzeitig an Touristen vermietet werden. Vom zweimonatigen Lockdown abgesehen, laden Cafés am Strand und in den schönen Eckchen der Altstadt ein, seinen Laptop dort auszuklappen und das einheimische wie auch das internationale Treiben um einen herum zu genießen. Denn ortsunabhängig zu arbeiten, heißt ja nicht nur, dass man sich seinen Wohnort aussuchen kann, sondern auch sein Büro. Und damit kommen wir zurück zum Strand. Ist es denn nicht ein Traum, am Strand zu arbeiten, die Sonne im Nacken, Strandschönheiten im Blick und eine Margarita griffbereit? Nun, das ist so einfach nicht. Die Sonne blendet und man kann kaum erkennen, was auf dem Bildschirm angezeigt wird. Die Strandschönheiten lenken natürlich vom angestrengten Blick auf den Bildschirm ab. Und der Alkohol motiviert auch nicht unbedingt zu diszipliniertem Schaffen. Und dann ist da noch der Wind und der Sand und die ungesunde Körperhaltung … Da sitze ich doch lieber auf der Dachterrasse meines Zuhauses oder in einem der Cafés um die Lazarus-Kirche. Diese Basilika strahlt mit ihren hunderten von goldenen Heiligenbildern und der Krypta, die einst die Gebeine des Hl. Lazarus geborgen hat (derjenige, der von Jesus höchstselbst von den Toten erweckt wurde), und dem venezianischen Glockenturm so viel Geschichte und Kultur wie kein anderes Gebäude in der Stadt aus. Nach getaner Arbeit ist der Strand dann immer noch lediglich zwei Minuten entfernt. Denn den kann man ohne Laptop ohnehin besser genießen.
