Stadtmagazin Witten: In der Stadt

Das Freibad – ein Sommermärchen

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Ein Beitrag von Davide Bentivoglio

Es war einmal ... Nein, kein König, und auch keine Prinzessin – etwas viel Besseres: ein großes Becken, randvoll gefüllt mit perlendem, spritzendem und herrlich erfrischendem Wasser, in dem man planschen, schwimmen und sich wälzen konnte, umgeben von vielen fröhlichen, vergnügten Menschen, und ringsum war das Becken von einer grünen, saftigen Wiese umgeben, mit viel Sonne und schattenspendenden Bäumen – ein wahrer Sommertraum, ein wunderschönes Märchen.

Träume der Vergangenheit

Dann kam Corona. In und am Wasser herrscht Stille, die grüne Wiese ist leer. Die Menschen in der heißen Stadt können aktuell nur davon träumen und bestenfalls die Füße in eine wassergefüllte Schüssel stecken. Es dürfte inzwischen klar sein, wovon hier eigentlich die Rede ist – ja, genau: von unserem Freibad in Annen, das nun im zweiten Corona-Jahr zunächst verriegelt bleibt. Vielleicht ist es ein kleiner Trost, wenn wir ein bisschen etwas darüber erzählen und dabei einige Bilder zeigen aus den vergangenen Jahrzehnten. Dabei werden sicherlich viele Erwachsene sich selbst als Kind hier wiedersehen.

Die Geschichte begann mit einer Talsperre

Es gibt kaum alte Annener*innen, die die Anlage ›Freibad‹ nennen, für sie ist es ›die Talsperre‹, und das aus einem einfachen Grund: Die Geschichte begann mit einer Talsperre. Die Gegend war damals, an der Schwelle zum 20. Jahrhundert, noch ein schmales, grünes Tal, in dem sich der Steinbach, nur wenige hundert Meter oberhalb im Herrenholz entsprungen, hinabschlängelte. Die Protagonisten der Geschichte waren die Eigentümer eines Geländes am Ufer des Steinbachs unterhalb der Herdecker Straße, Amtmann Dr. Friedrich Frieg und Emil Günedler: Sie schütteten kurzerhand einen Lehmdamm auf und stauten so den Bach. Der nun entstandene Teich sollte im Sommer als Schwimmbecken dienen, in erster Linie aber im Winter als Schlittschuhbahn. Am 1. Januar 1903 wurde die Eislaufsaison eröffnet, im darauffolgenden Sommer dann auch das Schwimmbad. Mit der fast gleichzeitig eröffneten Gaststätte ›Zur Talsperre‹ war nicht nur ein gutbesuchtes Naherholungsziel entstanden, sondern auch der Begriff, der sich bis heute gehalten hat.

Fabrikexplosion beendete Badevergnügen

Eine geniale Idee das Ganze, so schien es zuerst – allerdings nur für eine kurze Zeit: Der Untergrund erwies sich als zu durchlässig, das Wasser versickerte und floss in alte Stollen der tiefer gelegenen Zeche Hamburg, sodass die vorgesehene Stauhöhe nicht erreicht wurde. Aber es sollte noch dicker kommen: Am 28. November 1906 explodierte die Sprengstoff-Fabrik Roburit. In Annen gab es 41 Tote, über 100 Verletzte und riesige Zerstörungen. Auch der Damm der Talsperre wurde zerrissen. Ironie des Schicksals: Zu dem Zeitpunkt hatten lange und ergiebige Regenfälle die Talsperre bis zum Rand gefüllt, und so richtete das nun herabstürzende Wasser große Schäden an. Damit hatte das Badevergnügen ein Ende, die Anlage verfiel. Die Gaststätte ›Zur Talsperre‹ allerdings überdauerte noch viele Jahrzehnte, und sie war wahrscheinlich auch der Grund, weshalb der Name so lange lebendig blieb. Schließlich aber raffte das allgemeine Kneipensterben auch das Wirtshaus dahin – seit Jahren wird es nun als Kindertagesstätte benutzt.

Eröffnung eines modernen ›Luft- und Wasserbads‹

Aber jetzt noch einmal zurück zum frühen 20. Jahrhundert. Nach dem Ende der Talsperre dauerte es viele Jahre, bis die Gemeindevertretung Annen den Gedanken an ein Luft- und Wasserbad wieder aufgriff. Ein wichtiger Beweggrund war, der starken Arbeitslosigkeit nach dem Ersten Weltkrieg entgegenzuwirken. Die staatliche Förderung gab dabei dem Projekt einen zusätzlichen Aufschwung, und so entstand an Stelle der ›Talsperre‹ ein modernes Freibad mit Liegewiese, das am 19. August 1928 eingeweiht werden konnte. Dies war für Witten ein besonderer Glücksfall: Bereits ein Jahr später wurde Annen nach Witten eingemeindet – Annen kam somit nach Witten als Braut mit einer reichen Mitgift.

Bis heute legendär: der Sprung von Klaus Lohmann

Nach ein paar Jahrzehnten genügte die Ausstattung des Freibades nicht mehr den modernen Anforderungen, 1971 begann man, neue Pläne zu schmieden. 1974 wurden die Arbeiten in Angriff genommen, und am 16. Mai 1976 konnte der Architekt Philip dem Oberbürgermeister Friedhelm Ottlinger den Schlüssel des neuen Bades übergeben. Eine besondere Rolle spielte an diesem Tag Klaus Lohmann, damals noch nicht Bürgermeister, aber wohl der populärste Vertreter Annens: Er bestieg in voller Montur den Drei-Meter-Turm. Seine Frau Helga stand nur wenige Meter entfernt, sah dies und jammerte leise vor sich hin: »Der wird doch wohl nicht ...« Doch, er tat es, er sprang voll angezogen ins Wasser – und seine Frau: »Der Anzug war nagelneu ...«

32.000 qm zum Spielen, Planschen und Sonnen

Das Freibad bot nun 2.178 Quadratmeter angewärmte Wasserfläche im Außenbecken, die man auch schwimmend vom Innenraum erreichen konnte. Es erfuhr im Laufe der späteren Jahre noch einige ­Änderungen und Modernisierungen. Vor allem wurde es von den Stadtwerken übernommen. Heute verfügt die behindertengerechte Anlage über ein 50-m-Schwimmbecken mit acht Bahnen, ein Sprungbecken mit 1-Meter- und 3-Meter-Sprung-
turm, ein großes Nichtschwimmerbecken von 927 qm, eine 48 m lange Großrutsche sowie ein Planschbecken mit 98 qm Wasserfläche, kleiner Rutsche und Feuerwehrspritze. Die Wassertemperatur beträgt ca. 26 °C. ›Im Bereich der Schwimmbecken laden insgesamt 150 kostenlose Liegen und großzügig gestaltete Sonnenterrassen zum Verweilen ein‹, heißt es auf der Stadt­werke-Homepage. ›Auf dem insgesamt 32.000 qm großen Gelände stehen zusätzlich ein großer Sandspielplatz mit Klettergerüst, ein Matschplatz mit Wasserpumpe, ein Beach-Volleyball-Feld, ein Fußballfeld und mehrere Tischtennisplatten zur Verfügung. Eine gut sortierte Cafeteria sorgt für das leibliche Wohl.‹ Tja, wie gesagt – wenn Corona nicht wäre ...  
Doch halt – nach einem Corona-bedingt völlig verwaisten Freibad in vergangenem Jahr, erscheint nun ein Hoffnungsschimmer am Horizont: In diesem Jahr – so die Stadtwerke – soll das Freibad auf jeden Fall geöffnet werden, wenn auch erst gegen Mitte Juni – aber immerhin.

Quelle: ›Hygiene – Sport – Freizeit‹ – eine Dokumentation zur Geschichte der Wittener Bäder von Fritz Helbert

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