Stadtmagazin Witten: Kunst und Kultur

Akustische ›Glanzbilder‹ aus Witten

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Das erste Album der Band ›reiten schwimmen lesen‹

Vor einiger Zeit hat das Stadtmagazin schon einmal über die fünf Musiker und ihre originellen, deutschsprachigen Pop-Rock-Songs berichtet. Nach einer EP und zahlreichen Live-Konzerten gibt es nun auch ein Album der Wittener Band ›reiten schwimmen lesen‹. Nils Engelkamp, Gitarrist und gleichzeitig ›Kopf‹ der Gruppe, verrät, wie die zehn ›Glanzbilder‹ entstanden und wo sie zu hören sind.

Krisen-Zeit als Chance

»Fluch und Segen zugleich« war die Corona-Krise für die Bandmitglieder, wie er berichtet. Zwar fielen mit Vorfreude erwartete Auftritte aus, doch ungeplante freie Zeitfenster ermöglichten nun ein intensives Arbeiten an einem solchen Studioprojekt. »Wir nehmen jetzt zehn Songs und machen die fertig«, so lautete der Band-Beschluss. Zum einen wurden bereits bestehende und teilweise aufgenommene Stücke ausgewählt, zum anderen nahmen die Musiker »eine Festplatte voller Skizzen« in Angriff: Manche wurden im Papierkorb beerdigt, andere Entwürfe nun bis zur Veröffentlichungsreife ausgearbeitet. Von zu Hause aus und im Wittener Proberaum(-Studio) wurden Lieder konzipiert und arrangiert, Instrumente und Gesangsspuren aufgenommen. »Das hat natürlich gedauert, zumal wir eine Band-Demokratie haben. Am Ende aber ist das Ergebnis homogen, weil jeder sich eingebracht hat. Im Proberaum konnten wir uns die Zeit nehmen, die Songs zu entwickeln.« Neben diesem Vorteil gegenüber der wesentlich kürzeren und eventuell hektischen Produktion in einem externen Studio ist das ›Selbermachen‹ natürlich auch kostengünstig. Gitarrist Julius Hochstrate übernahm das Abmischen des entstandenen Materials. Lediglich das Mastering, der letzte Schritt bei der Musikproduktion, wurde in externe Hände gelegt. Das Ergebnis, eine absolut professionell daherkommende Klangqualität, kann sich hören lassen.

Mitreißend, witzig – und todtraurig

Inhaltlich wirkt das Album ebenso stimmig wie vielfältig: »Wir haben uns für diese Songs entschieden, weil sie zusammenpassen, aber andererseits auch eine Bandbreite von trauriger Ballade bis hin zu rockiger Punknummer abbilden«, fasst Nils Engelkamp zusammen. Das zeigt sich auch bei seinen persönlichen ›Lieblingsliedern‹: ›Herr Kunze bittet‹, ein musikalisch mitreißender Song mit komödiantischem Text, sowie die Kleinodien ›U-Boot‹ und ›Olivenöl‹, die beide auf tragische Weise mit dem ›echten Leben‹ bzw. Sterben verknüpft sind. Das vor einigen Jahren verfasste ›U-Boot‹ handelt von Depressionen. »Der Freund, dem ich das Lied gewidmet habe, hat sich letztes Jahr umgebracht«, erzählt er. »Und bei ›Olivenöl‹ war es genau das gleiche.« Hier nämlich geht es um das Schicksal der Gefängnispsychologin Susanne Preusker, die vor gut zehn Jahren von einem Insassen über Stunden als Geisel genommen und vergewaltigt wurde, was sie später in einem Buch zu verarbeiten versuchte. »Ich las, dass sie so voller Angststörungen war, dass sie nicht einmal mehr einfach ein Olivenöl kaufen gehen konnte«, erklärt der Musiker, wie er zu dem Song inspiriert wurde und ihn dann aus einem Impuls heraus auch Susanne Preusker zuschickte. Diese antwortete mit dem »bewegenden Lob, dass ich es geschafft hätte, ihre Gefühle umzusetzen – ohne sie zu kennen.« Fortan blieb der Künstler lose mit ihr und ihrem Umfeld in Kontakt. 2018 nahm sich Susanne Preusker das Leben.

Streaming-Portale statt Tonträger

Auf einer physischen CD ist das Album ›Glanzbilder‹ nicht erhältlich, auf diese kostenintensive Verbreitungsart haben ›reiten schwimmen lesen‹ nach langer Diskussion verzichtet. Stattdessen gibt es die Songs bei den gängigen Streaming-Portalen zu hören (Spotify, Amazon Music, Apple Music, Deezer, Youtube). Nils Engelkamp: »Bringt nichts, kostet aber auch nichts! Einerseits ›verschenken‹ wir das Album damit praktisch, denn unsere zu erwartenden Einnahmen durch die Internet-Anbieter sind marginal, andererseits haben wir eine maximale Reichweite, überall auf der Welt sind unsere Songs abrufbar.« Da die Bandmitglieder nicht von ihrer Musik leben müssen (Engelkamp etwa arbeitet im Wittener Job-Center und betreut arbeitslose Jugendliche), hat sich diese Veröffentlichungsart auch deshalb als derzeit gute Lösung erwiesen, weil es nun eben nicht einer Live-Tournee bedarf, um zahlreiche teuer produzierte Tonträger zu verkaufen.

Witten inspiriert

Überhaupt lassen ›reiten schwimmen lesen‹ die zukünftige Veranstaltungssituation sehr entspannt auf sich zukommen. Der Proberaum in Witten, Herz der hier verwurzelten Band, wirkt offenbar inspirierend: »Oft, wenn ich zum Beispiel eigentlich eine Gitarrenspur aufnehmen will, entsteht beim Üben schon wieder die nächste Idee«, erklärt Nils Engelkamp das große kreative Output und verrät: »Ende des Jahres wird es wahrscheinlich das nächste Album geben.« Wir freuen uns drauf.

Die (neue!) Homepage: www.reiten-schwimmen-lesen.de
Hier gibt es auch zahlreiche Links zum Album.

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