»Ein Loblied auf die Schule. Sie merkt es nur nicht.«
Interview mit Werner Jacob
›Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir‹, das bemerkte schon der römische Philosoph Seneca. Oder ist es doch eher andersherum? Lernt man denn im heutigen reformgeplagten Schulsystem überhaupt etwas? Früher jedenfalls, in der Nachkriegszeit, hat man einiges aus der Schulzeit mitgenommen, sagt Werner Jacob. Darum hat er mit seinem neuen Buch ›Der weiße Schimmel gehört zu den Raubvögeln‹ seiner Schule, dem heutigen Ruhr-Gymnasium, und der Institution an sich ein literarisches Denkmal gesetzt. Wir besuchten den bekannten Wittener in seinem Haus in Bommern und sprachen mit ihm über die vielen Themen, die sein Buch anschneidet.
»Jacob, was isst du da?«
»Datteln, Herr Krüger!«
»Jacob, weißt Du denn auch, wo die Datteln herkommen?«
»Aus dem Ess-Saal, Herr Krüger.«
»Jacob, Du bist in meiner Achtung um die Hälfte gesunken!«
»Zur Strafe musste ich aus dem Kartenraum die großen Rollen mit den auf Ölpapier gedruckten Landkarten holen, und wir lernten, woher die Datteln tatsächlich stammen – eine pädagogische Meisterleistung!« Das ist das vielleicht ausdrücklichste Lob des Autors an eine seiner alten Lehrkräfte. In anderen der zahlreichen Anekdoten kommen die Lehrer nicht so gut weg, etwa wenn der 84-jährige Werner Jacob ihre eigenwillige Art zu sprechen verballhornt. Aber das verleiht dem Buch Authentizität. Denn seien wir ehrlich: Als Schüler haben wir alle unseren Lehrern nicht die schmeichelhaftesten Spitznamen gegeben, und es sind gerade diese Eigenheiten, die uns in Erinnerung geblieben sind.
Aber auch die Mitschüler bekommen im Buch ihr Fett weg. Die hielten etwa die Fußballerlegende Fritz Walter für einen römischen Staatsmann. Und der junge Werner Jacob selbst wurde dabei erwischt, wie er einen gemütlichen Vormittag an der Ruhr einer kniffligen Englischklausur vorgezogen hatte. Das Ergebnis: Die Arbeit musste natürlich nachgeschrieben werden. Allerdings hieß es dann: »Ich kann dir die erfreuliche Mitteilung machen, dass deine Arbeit eine Sechs ist!« So erlebte jeder auf der städtischen Oberschule für Jungen – dem heutigen Ruhr-Gymnasium an der Synagogenstraße – seine Höhen und Tiefen.
Werner Jacob hatte auch danach ein wechselvolles und alles andere als geradliniges Leben. Der Erfolg des ›Bommeraners‹, des Magazins, dessentwegen man den freundlichen Mann in Witten und Umgebung kennt, war für ihn eine Überraschung. Aus einer Idee wurden drei lokale, regelmäßig erscheinende Zeitschriften. »Mein Medienimperium«, nennt Werner Jacob das und lacht. Heute hat er sich aus dem Geschäft zurückgezogen. Doch zu erzählen hat er immer noch genug. Vor einem Jahr schilderte er bereits in seinem ersten Buch von seiner Kindheit in Kriegsjahren (›Mutter, warum weinst Du?‹, Eigenverlag, 2019; wir berichteten in Ausgabe 119 (2/2019)), und nun erschien im Januar der Nachfolger über die Schulzeit in der Wittener Heimat.
»Es ist ein Loblied auf die Schule. Sie merkt es nur nicht. Das ist die ›Botschaft‹, wenn man so will«, sagt der Autor. Und: »Es enthält einige Denkanstöße für die jungen Menschen.« Dabei geht es ihm nicht darum, mit erhobenem Zeigefinger zu demonstrieren, wie schwer das Leben früher war. Vielmehr kann der Leser erkennen, wie anders damals einfach vieles war. Und nach der Lektüre scheint dann doch durch, dass die Schulzeit wohl für jeden eine prägende Zeit ist – selbst wenn man nicht gerne hingeht.
Darum steht Werner Jacob aktuell auch im Kontakt mit dem Direktor des Ruhr-Gymnasiums. Lesungen und Frage-und-Antwort-Runden könnten den Schülern einen anderen Schulalltag lebendig vermitteln. Dabei könnte das alte mit dem modernen Schulsystem verglichen werden. »Am System wird heute zu viel rumreformiert«, beklagt sich der Autor – ein Wink in Richtung Pädagogik und Bildungspolitik. Damalige Erziehungsmethoden mit dem berüchtigten Rohrstock, die heute unmöglich sind – »zu Recht«, wie Werner Jacob betont –, finden sich im Buch indes nicht. »Die hätten einfach nicht hineingepasst.« Um noch mehr junge Menschen zu erreichen, denkt er über eine digitale Ausgabe nach.
Doch bietet ›Der weiße Schimmel‹ nicht nur für Schüler eine lohnende Lektüre. Ein Auszug aus einem Aufsatz über den Wiederaufbau Wittens ist heute, da der Umbau des Kornmarkts diskutiert wird, immer noch aktuell:
Ich hatte vorhin herausgestellt, dass nach meiner Ansicht der Marktplatz ein geschlossener Raum sein müsste. Damit taucht die Frage nach der Gestaltung des Kornmarktes auf, den man in den Marktplatz einbezogen hat … Um die Raumwirkung zu erzielen, war es notwendig, die linke Seite der Johannisstraße auch zu bebauen. Dem steht jetzt die ursprünglich als Wartehalle geplante Reklameanstalt im Wege … Es sind beim Wiederaufbau viele Fehler gemacht worden, und dazu kommt die sowieso schon ungünstige Lage der Stadt. Es ist bedauerlich, aber es muss doch gesagt werden, dass die Stadt Witten niemals ein stattliches Bild abgeben wird.
Kann man 2020 nicht beweisen, dass ein Zwölftklässler im Jahr 1955 Unrecht gehabt hat?
›Der weiße Schimmel gehört zu den Raubvögeln oder: Woher kommen die Datteln? Erinnerungen an meine Schulzeit von 1945 bis 1956‹
Eigenverlag Werner Jacob
54 Seiten mit zahlreichen Fotos und Abbildungen / 12,95 Euro
Erhältlich im Bundes-Verlag-Shop in Witten-Bommern und telefonisch bestellbar bei Werner Jacob (Tel. 0 23 02 / 3 22 21)
