Stadtmagazin Witten: In der Stadt

Von Schrauben zu großen Maschinen

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Gerhard Schwabe und sein Anteil an der Wittener Unternehmensgeschichte – vor, im und nach dem Krieg

Rüstig öffnet Gerhard Schwabe die Tür. Seine 80 Jahre sind ihm absolut nicht anzumerken. Augenblicklich beginnt er munter zu erzählen. Sein Vater stammte aus Trebitsch, einem Dorf bei Glogau in Schlesien. Dort erlernte er den Beruf des Eisenwarenhändlers. Nach dem Ersten Weltkrieg folgte er seinen Schwestern nach Mettmann, wo er mit 25 Jahren eine Eisenwarenhandlung führte. Die Besitzer hatten ihr Glück in Brasilien gesucht und nicht gefunden. Als sie zurückkamen und den Laden wieder übernehmen wollten, musste sich Gerhard Schwabe senior nach etwas Neuem umsehen. Das fand er in Witten, wo er in dem Lederwarengroßhandel Ahrendt eine Stelle antrat.

Gerhard Schwabe sen. hielt weiter Ausschau nach einem eigenen Geschäft, bis ihm 1930 in der Augustastraße der technische Handel von Eduard Doerk angeboten wurde. »Es war eine schlechte Zeit, und meine Mutter stand hinter der Theke, wenn Kunden kamen. Der Vater fuhr mit dem Fahrrad von Firma zu Firma. Ziemlich schnell fand er mit seiner hilfsbereiten Art Abnehmer.« Gerhard Schwabe ging es nicht nur um Umsatz und Gewinn, sondern er wollte den Kunden dienen. Ein Großkunde wurde das Weichenausbesserungswerk in Witten. Lachend berichtet der Sohn, dass der Haupteinkäufer dort sich schon Sorgen machte, weil sie so viele Geschäfte miteinander machten. Bereits wenige Jahre später konnte der Betrieb zum wesentlich prominenter gelegenen Kornmarkt wechseln. Nach einem Brand verlegte das Textilkaufhaus Lang und Spennemann seinen Standort in die Bahnhofstraße, und Schwabe zog mit seinen Eisenwaren in größere Räume ein Haus weiter. Draußen vor der Tür standen die Gartengeräte, und drinnen lagen Muttern und Schrauben fein sortiert in den vielen Schubladen.

Von Eduard Doerk hatte Schwabe Teile für Transmissionen, also Riemen, Riemenscheiben und -verbinder übernommen. Damit wurde die Kraft des Motors auf verschiedene Maschinen übertragen. Dazu gehörten natürlich auch Riemenwachs und Kugellager. An dieses Geschäft kann sich Gerhard Schwabe jun. nur wenig erinnern, denn als das Haus 1944 von einer Bombe getroffen wurde, war er erst fünf Jahre alt. Der Vater fand für sein Unternehmen eine neue Heimat am Kornmarkt 1, wo er schon zuvor ein Lager hatte. »Sie müssen sich das so vorstellen, das war ein schönes altes, veschiefertes Haus, und wie man das früher so kannte, ging von links und rechts eine Treppe hoch zum Eingang. Darunter ging es in den Keller, durch die Außentür unter der Treppe, wo mein Vater ein Lager hatte«, erinnert sich der Sohn. Auch der Kornmarkt 1 wurde dann beim Bombenangriff im März 1945 zerstört.

Der kleine Gerhard war jetzt in einem Alter, in dem sich die Kriegsereignisse tief einprägten. Die Familie wohnte in Bommern am Graffloh. Erst kürzlich war Gerhard Schwabe dort ›Am Bodenborn‹, wo der Eingang zum Bunker war. »Wenn die Sirenen heulten und wir in den Bunker liefen, das war so schlimm für mich. Ich dachte, ich komm’ überhaupt keinen Schritt vorwärts, ich würde auf der Stelle stehen bleiben,« beschreibt er den Alpdruck und die Angst. In seinem Kopf sind auch die Bilder der Erwachsenen geblieben, die vor Angst schrien und zu Gott beteten, dass ihnen nichts passieren möge. Einmal bei einem Bombenangriff stürmten alle wieder in den Keller und vergaßen den kleinen Gerhard. Der lag im Bett und schlief. Und dann passierte es: Ein angeschossener Bomber machte über Bommern einen Notabwurf. Die Bombe schlug in einem Haus direkt neben der Brenschenschule ein und zwei Menschen starben, etwa 300 m entfernt vom Bett des kleinen Jungen. Als die Entwarnung kam, merkte Mama Hanna: »Wir haben unser ›Kürtelchen‹ vergessen.«

Oft standen die Kinder im Garten und schauten zum Himmel, wenn die Bombengeschwader nach Norden oder Osten über Witten hinwegflogen. »Dann dröhnten die Scheiben«, erzählt er noch immer beeindruckt und macht mit kehliger Stimme das Motorengeräusch nach: »uhum – uuuuhhhuuum.«

Zum Ende des Krieges waren die Amerikaner in Witten und die Deutschen in Bommern. Die Frontlinie war die Ruhr. Einmal fuhren deutsche Panzer in einen Garten an der Bommerfelderstraße (heute Bommerfelder Ring) und schossen eine Granate in den Helenenturm, in dem die amerikanischen Soldaten saßen. Das Einschussloch war noch etliche Jahre zu sehen. Die deutschen Soldaten waren überall in Bommern, auch bei den Schwabes im Keller. Mutter Schwabe kochte für sie und bekam dafür als Dank auch mal was vom Schwein geschenkt.

Die Kapitulation und das Ende des Krieges erlebten die Schwabes im Vertrauen auf Gottes Hilfe. Als die amerikanischen Soldaten in Bommern von Tür zu Tür gingen und jedes Haus kontrollierten, mit den Maschinenpistolen im Anschlag, waren alle starr vor Angst. Die Besatzer kamen durch die Hintertür in Schwabes Wohnzimmer, wo die Familie versammelt war. Vater Schwabe bedeutete ihnen, sie mögen sich setzen. Er ging dann zum Harmonium, und alle stellten sich auf und sangen: ›Großer Gott, wir loben dich‹. Im Liederbuch war auch eine Strophe in Englisch. Plötzlich standen zwei der amerikanischen Soldaten auf und sangen mit. So war momentan alle Angst verflogen.

Die deutschen Soldaten waren abgezogen. Zurück blieb noch eine Zeit die Kanone 8,8 am Bodenborn. Die Kinder spielten Karussell auf den Vierlingsgeschützen. Es lag noch Munition herum, und einmal fanden die Kinder am Brenschen ein Gewehr. Ein älterer Junge nahm es und drückte ab. Da ging ein Geschoss los und schlug in der Wurstküche von Metzger Scholl ein. Das Angstgeschrei hört Gerhard noch heute.

Gerhard Schwabe kam ein Jahr zu spät in die Brenschenschule. »Ein Jahr musste ich überspringen, aber es gab guten Unterricht bei Opa Bode.« Dem kleinen Gerhard fiel das Lernen leicht, aber als es zur Realschule ging, musste er sich dann doch etwas mehr anstrengen. »Als es um die Frage ging, ›was wird der Junge?‹, war klar, der wird als einziger Sohn Eisenwarenhändler, hatte er doch schon als kleiner Steppke die ausgeglühten Eisenwaren aus dem Schutt geklaubt.« Dabei wollte er viel lieber Lehrer werden. Seinem Vater zuliebe machte er schließlich doch eine Lehre in einem Eisenwarengeschäft in Schwelm. Nach der Gesellenprüfung ging er nach Schweinfurt, arbeitete in einem großen Geschäft und wollte noch zwei Jahre zur Fachschule, aber dann kam alles anders.

Der Vater erlitt 1960 einen schweren Herzinfarkt, und Schwester Anneliese bat ihren Bruder inständig, zu kommen und ihr zu helfen. So kehrte Gerhard im August 1960 zurück nach Witten. Der Vater hatte am Kornmarkt 1 schon 1946 das Geschäft wieder aufgebaut, wo er bis 1956 blieb. Dann wurde in der Johannisstraße 18 neu gebaut. Als Gerhard in die Firma eintrat, verkaufte man bereits Werkzeugmaschinen. Diese Abteilung hatte sich derart vergrößert, dass Gerhard vorschlug, sich selbstständig zu machen und Maschinen und Präzisionswerkzeuge zu verkaufen. Es war der Anfang der GSW – Gerhard Schwabe Witten – mit Sitz in der Ardeystraße, später im Wullener Feld.

Nach ein paar Jahren wurde Schwabe der Vertrieb von Abrollern für Coils angeboten. Das sind aufgewickelte Blechbänder in allen Breiten von schmal bis zu 2 Metern. Es entstand das heutige Programm für die Metallwaren-Industrie. Der Firmensitz wurde später nach Kempen am Niederrhein verlegt. Heute führt einer der Söhne von Gerhard das Unternehmen.

So kann der Tausendsassa sich mehr um die Familie und andere Aufgaben kümmern. Viele Jahre hat er bei der christlichen Jugendarbeit geholfen, deren Ursprung auf einen Christen aus der Schweiz zurückgeht. Nach dem Krieg hatte er die Not deutscher Kinder gesehen und Heime gemietet, in denen die Kinder drei Monate bleiben konnten und sogar beschult wurden. In einem Jahr waren drei von den acht Kindern der Schwabes in der Schweiz und kamen so begeistert zurück, dass der Vater seine Mitarbeit in dem Ferienprogramm anbot. Es folgten 18 Jahre Freizeitarbeit. Noch heute besteht das Projekt und ist sogar gewachsen.

Seine Liebe zu Israel entdeckte Schwabe bei einer Reise 1979. Er verliebte sich in ›Ein Vered‹, die spätere Wittener Partnergemeinde. Immer wieder zog es ihn dorthin zurück. Erst kürzlich war Gaby Zfati bei ihm, der seit 50 Jahren den Jugend- und Bürgeraustausch mit dem Freundeskreis der Israelfahrer betreut. Beide verbindet eine tiefe Freundschaft seit fast 40 Jahren.

»Du solltest ein Buch schreiben« – wie oft wurde ihm das schon gesagt! Hat er doch in seinen 80 Lebensjahren Witten und seine Menschen in so vielen Situationen erlebt und auch am Wiederaufbau und dem Erfolg der Ruhrstadt teilgehabt. Gerhard Schwabe lebt nun vor den Toren von Witten, früher hieß der Berg Esborn über Witten.

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