Stadtmagazin Witten: Kunst und Kultur

Packendes Theater für Jugendliche

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›Sunny‹ Sonni bringt Problemthemen auf die Bühne

Sonni Maier war nicht immer so sonnig wie heute. In ihrer Schule erlebte sie zwischen der sechsten und siebten Klasse, dass sich in der kurzen Zeit der Sommerferien alles ändern kann. War sie vorher noch die Beliebte und Starke, hatten sich die anderen Madels über den Sommer weiterentwickelt und interessierten sich für Jungs, während sie noch in zerrissenen Jeans mit Flicken auf Bäume kletterte. »Heute würde man das Mobbing nennen, aber damals gab es den Begriff noch nicht. Und auch meine depressiven Symptome nannte man in der Zeit noch nicht so.« 

Deutschlandweit unterwegs

Das ›Theater Sonni Maier‹ entwickelt Theaterstücke für Jugendliche zu gesellschaftlichen Problemthemen und bringt sie mit dem elfköpfigen Ensemble auf die Bühnen in ganz Deutschland. Etwa 150 Mal treten sie pro Jahr in Aulen und Turnhallen auf. In ›Schutzengel‹ hat sie ihr ganz eigenes Thema der Ausgrenzung aufgegriffen. Der Protagonist bezeichnet sich als ›Z-Huhn‹, was das genaue Gegenteil von einem Alphatier ist, und er bekommt immer alles ab. In ›Gretchen reloaded‹ geht es um eine Missbrauchsbeziehung, in ›druck‹ um Leistungsstress und Burnout. Und in dem auf jede Vorführung folgenden Gespräch mit den Schülerinnen und Schülern merkt die Theatermacherin, dass sie den Nerv von Jugendlichen trifft. »Sehen was los ist«, das will sie den jungen Menschen zeigen. Sie öffnet vielen die Augen für die Nöte und Probleme auf dem Nachbarplatz in der Schule. 

Das Feuer brannte früh

Dass Sonni Theater machen wollte, wusste sie schon früh. Im ersten Schuljahr wurde sie für ein Musical ausgesucht, weil sie eine der Kleinsten in der Klasse war, und sie wurde für den Vögelchentanz engagiert. Während sie davon erzählt, kreuzt sie die Hände vor der Brust zu kleinen Flügelchen, zieht die Schultern hoch und wippt zu einer Musik, die gerade nur in ihrem Kopf zu hören ist. Die Begeisterung der damals Sechsjährigen über den Applaus der Eltern ist ihr in diesem Moment anzusehen, und genau dieses Feuer trägt sie auch heute auf die Bühne. 

Journalistischer ›Umweg‹

Die ganze Schulzeit hindurch wollte sie unbedingt Schauspielerin werden, bis ihr mit 16 die Vernunft in die Quere kam und Einwände erhob gegen eine vermeintlich brotlose Kunst. So nahm sie den Umweg über den Journalismus. Für die Allgäuer Zeitung schrieb sie im Lokalteil kleine Artikel, und für ihr Viertel hatte sie die Idee, eine Nachbarschaftszeitung ins Leben zu rufen. Schon die kleine Sonni hatte ein kritisches Kindermagazin ›Die Mücke‹ auf dem Sofa liegen und brannte darauf, die ganz vielen Probleme der Welt anzupacken. Ein weggeworfenes Feuerzeug auf dem Bürgersteig sollte der Aufmacher sein für die Schlampigkeit der Gesellschaft. 

Selbst ist die Sonni

Zu dem Magazin im Viertel ist es nicht gekommen, aber es folgten Stationen bei Radio und Fernsehen – bis sich der so lange gehegte Traum von der Schauspielerei doch Bahn brach. Sonni begann, an der Ruhr Universität Bochum Theaterwissenschaft und Pädagogik zu studieren. »Eine Schauspielschule kam für mich nicht in Frage. Als fest angestellte Schauspielerin Stücke von anderen zu spielen, hinter denen ich vielleicht gar nicht stehen kann, das war nicht meine Vorstellung.« Sie wollte lieber alles selbst entwerfen und entwickeln: die Regie, das Bühnenbild, die Kostüme und natürlich auch das eigene Spielen und Agieren.

Blickwinkel erweitern durch neue Perspektive

In der einsamen Zeit als pubertierende Einzelgängerin in der Schule kamen ihr die tiefen Gedanken, die ihre Inszenierungen noch heute prägen. Im September hat ihr neuestes Stück ›Zaun im Kopf‹ Premiere. Sonni Maier dreht darin die Situation der Flüchtlinge komplett um, damit ihr junges Publikum einen persönlichen Bezug zu der Problematik erkennt. Lissy und Luca müssen aus dem Bürgerkriegsland Deutschland fliehen, in dem eine rechte Partei die Führung übernommen hat und die Bürgerrechte beschneidet. Sie kommen in das fiktive Land Elysium und erleben Vorurteile und Ablehnung. »Die Deutschen wollen den Elysiern mit ihrem Ehrgeiz die Arbeitsplätze wegnehmen. Dabei sind sie zu nichts zu gebrauchen, weil sie nur Bürojobs können und tatkräftiges Anpacken ihnen gar nicht liegt.« 

Sprachbarrieren, die an Grenzen bringen

Ein riesiges Problem im neuen Land ist für Lissy und Luca die Sprachbarriere. Sonni Maier entwickelt gerade extra für das Stück eine eigene Sprache, die keinerlei Bezug zum Deutschen hat, um für das Publikum spürbar zu machen, dass es schwer ist, alles richtig zu machen in einem neuen Land, wenn einem niemand sagen kann wie und selbst Gestik und Mimik etwas komplett anderes bedeuten. Während Lissy alles gibt, um sich zu integrieren, hat Luca schnell den Mut verloren und macht sich nicht mal mehr die Mühe sich anzupassen. Er wird wütend und entwickelt Aggressionen gegenüber den Elysiern, die ihn nicht wahrnehmen mit seiner traumatischen Fluchtgeschichte. Schließlich fällt er auf durch Gewalt und steht vor der Abschiebung. 

Integration und/oder Lebensgefühl

Sonni Maier ist dabei durchaus kritisch gegenüber der allseits erwarteten sogenannten Integration. Sie hat 2015 selbst im Helpkiosk in Witten mitgeholfen und erlebte, wie innerhalb eines halben Jahres die Stimmung gegenüber den Geflüchteten kippte. Für sie ist es durchaus ein Gewinn, wenn keine perfekte Integration gelingt. »In so einem Land wie Syrien ist die Fluchtwelle doch wie ein ›brain drain‹ gewesen. Alle Menschen, die es sich leisten konnten, sind gegangen. Wenn wir jemals wünschen, dass sie eines Tages zurückkehren und helfen, ihr Land wieder aufzubauen, dann sollten sie hier ihr syrisches Lebensgefühl erhalten. Wenn sie sich als Deutsche fühlen und hierbleiben, bleibt das geschundene Bürgerkriegsland zurück in der Steinzeit.«

Wichtige Rädchen in der globalen Maschinerie

Mit ihrem Theater geht Sonni Maier direkt auf die Betroffenen zu – die Jugendlichen, von denen sie glaubt, dass sie die Welt noch aktiv beeinflussen können. Auch als ganz kleines Rädchen in der globalen Maschinerie. Selbst ist sie in Witten engagiert in Sachen Kultur. Schon bereits vor drei Jahren hat sie mit dem Saalbau eine Kooperation vereinbart. ›Wisit‹ – Wittener Schulen ins Theater, mit dem sie 3.500 Schülerinnen und Schülern jedes Jahr einen Theaterbesuch ermöglicht. Ihre letzte Produktion ›druck‹ konnte sie auch dort uraufführen. Seit sie Mitglied des Kulturbeirats ist, haben sich die Türen geschlossen. Trotz einer von ihr maßgeblich betriebenen Compliance Erklärung aller Beiratsmitglieder, mit der Korruption und Vorteile durch ein Amt ausgeschlossen werden, muss sie in diesem Jahr für die Premiere von ›Zaun im Kopf‹ in die WerkStadt ausweichen. Auch ihre Förderanträge beim Kulturforum werden in der Mehrzahl abgelehnt. »An meinen Anträgen kann es nicht liegen. Von Bund und Land bekomme ich die Fördergelder, aber hier in Witten seither nicht mehr.« 

»Es kommt darauf an, dass es echt ist«

Sonni Maier lässt sich nicht entmutigen und strahlt gegen den Märzsturm an. »Ohne den schweren Lebensweg in meiner Jugend wäre ich nicht die, die ich heute bin.« Und mit diesem Pfund wuchert sie, wenn sie Schülerinnen und Schülern etwas von ihren Erfahrungen weitergeben will. Dass sie im Nachgespräch an die Aufführungen ihre eigene Geschichte erzählt, macht sie umso glaubwürdiger. »Den Jugendlichen kommt es darauf an, dass es echt ist«, sagt sie. Und man kann nicht anders, als ihr zu glauben.

Das ›Theater Sonni Maier‹ hat ein vielfältiges Repertoire für Schulaufführungen im Rucksack. Tourneen gehen durch ganz Deutschland und in diesem Sommer sogar nach Skandinavien und ins Baltikum. Das neue Stück ›Zaun im Kopf‹ hat am 13. September Premiere in der WerkStadt Witten. Infos unter: www.sonni-maier.de

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