Stadtmagazin Witten: In der Stadt

›Colonialwaren, Spezereien und Conserven‹

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Einkaufsbummel durch das alte Witten

›Shoppen‹ in alter Zeit? Wie darf man sich das vorstellen? Zur Jahrhundertwende hatte sich am Knotenpunkt von Ruhr-, Haupt- und Bahnhofstraße ein reges Geschäftsleben entwickelt: Von der Gaststätte über den Bäcker, die Apotheke und das Schuhwarenfachgeschäft bis zur Textilmanufaktur war alles vertreten, was den Wittener Bürger glücklich und zufrieden stimmte. Straßenchaos und Parkplatzstress kannte man damals nicht, anstelle von motorisierten Fahrzeugen zuckelten Pferdefuhrwerke über das Pflaster. Die meisten Leute kamen ohnehin zu Fuß oder mit der Straßenbahn, die ab 1900 mitten durch die Ruhrstraße hindurchführte. Neben Colonialwaren und Spezereien, Krachmandeln und Knüppelkuchen, Textilien und Lederwaren gingen in jenen Jahren auch die neuesten Nachrichten über die Ladentheke. Verglichen mit heutigen Maßstäben war Witten trotz des industriellen Aufschwungs eben immer noch ein Dorf. Das Pläuschchen mit dem Geschäftsinhaber hatte daher genauso Tradition wie der anschließende Kaffee in einer der zahlreichen Konditoreien und Gaststuben.  Wir laden Sie ein zu einem historischen (Foto-)Spaziergang durch die Wittener Innenstadt mit Bildern aus dem Archiv von Davide Bentivoglio und dem Stadtarchiv.

Die ersten am Platze

Das erste große Kaufhaus am Platze war die Manufaktur und Modewarenhandlung von Georg Blank, ein imposantes Gebäude, das 1900 in optimaler Innenstadtlage (Bahnhofstraße/Heilenstraße) eröffnet hatte. Wer etwas auf sich hielt, kleidete sich hier mit der neuesten Mode ein. Der in Salzhemmendorf geborene Jude Georg Blank war unter anderem als Vorsteher der Synagogengemeinde Witten tätig und ihr späterer Ehrenpräses. Im Jahr 1928 fusionierte der Geschäftsmann mit den Gebrüdern Alsberg, deren Interessen von Bertha Eichengrün vertreten wurden. Doch die Erfolgsgeschichte der beiden Häuser, die durch eine geschlossene Brücke verbunden waren, sollte bald eine tragische Wendung nehmen.

Dramatische Zeiten

Ab 1929 begannen die Unternehmer in Witten über sinkende Umsätze zu klagen. Grund war, dass die hohe Erwerbslosigkeit zum Ende der Weimarer Republik die Kaufkraft der Bevölkerung erheblich verringert hatte. Nicht wenige der wunderschönen alten Geschäftshäuser mussten in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten ihre Pforten schließen. Und die Schuldigen waren schnell ausgemacht: die Juden, denen man freches Gebaren und unlautere Kreditgeschäfte vorwarf. Eines Abends im Jahre 1937 erreichte die Feindseligkeit einen neuen Höhepunkt: Bertha Eichengrün wurde von Nazi-Rowdys aus dem Bett geholt und gezwungen, an einem Fackelzug teilzunehmen. Die 71-jährige Dame musste sich ein Schild umhängen, mit der Aufschrift ›Ich bin ein saujüdischer Arbeitgeber von guten deutschen Fachleuten‹.

Zerstörung und Wiederaufbau

1938 unterlagen ›A&B‹ dem antisemitischen Druck. Die bisherigen Geschäftsführer Max Blank und Max Eichengrün wurden in Konzentrationslager deportiert, das Unternehmen von Neumann & Cropp übernommen. Eine ganzseitige Zeitungsannonce bewarb damals die Eröffnung ›Eine rein arische Firma in neuem Geist geführt!‹ Doch schon 1945 wurde der Komplex wie viele andere Geschäftsbauten im Bombenhagel zerstört. In den 1950er-Jahren ging das Grundstück in den Besitz der Familien Blank und Eichengrün zurück, die es an den Textilkaufmann Hubert Kogge veräußerten, der hier einen Neubau errichten ließ. 1968 entstand an gleicher Stelle das Kaufhaus Horten. Heute firmiert das Haus unter dem Banner der Galeria Kaufhof.

Gefüllte Geldbörsen und ›Einkaufsetikette‹

Mit dem Wirtschaftswunder hatten sich die Zeiten gewandelt: Neue Zuversicht und Tatendrang waren in Witten eingezogen. Langsam konnte man beziehungsweise ›frau‹ sich wieder den einen oder anderen Luxus erlauben. Und es ging beständig bergauf. Wer wollte sich da noch mit den Schrecken der Vergangenheit auseinandersetzten? Gebäude wurden saniert oder komplett neu errichtet. Einige der traditionsreichen Namen gelangten zu frischer Blüte. Geldbörsen füllten sich. So machte das Bummeln endlich wieder Spaß. Doch Obacht: Wer ein neues Kleidungsstück bei Detaille erstanden hatte, packte besser um, ehe er seine Shopping-Tour bei Spennemann fortsetzte. Mit der Einkaufstüte der Konkurrenz ins Kaufhaus zu spazieren, schickte sich nämlich ganz und gar nicht!

Im kommenden Stadtmagazin führen wir unseren historischen Einkaufsbummel fort.

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