Stadtmagazin Lünen: In der Stadt

Mit Herz und Honigsalbe

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Zu Besuch im ›Igelkrankenhaus‹

Verschlafen blinzelt Fritzi in die Welt, reckt neugierig sein spitzes Näschen. Marion Rautert hebt den Igel behutsam hoch, um seine Wunden mit Honigsalbe zu verarzten. Mit routiniertem Griff ist die Behandlung rasch erledigt. Der kleine Patient darf zurück in seine Box, wo er sich unter einem Küchentuch verkriecht.

»Dann fragt man sich: Was jetzt?«

Fritzi hatte Glück im Unglück – anders als viele seiner Artgenossen. Über 40 wilde Igel hat Marion Rautert im Juli und August aufgenommen. Trotz intensiver Pflege und tierärztlicher Unterstützung überlebten nur zwei. Ähnlich dramatisch sind die Erfahrungen ihrer Mitstreiterin Maria Fahlbusch. »Fundtiere sind oft sehr schwer verletzt«, erzählen die beiden Frauen. »Hinzu kommt, dass sie vermehrt zu Zeiten auftauchen, in denen sie eigentlich noch Winterschlaf halten sollten. Das macht uns wirklich Sorge.« Die Lünerinnen engagieren sich in der Arbeitsgruppe Igelschutz Dortmund e. V., einer Beratungsstelle für Fragen rund um die stacheligen Gartenbewohner. »Wir alle haben irgendwann mal einen Igel gefunden. Wenn man ein Herz hat, nimmt man das Tier mit. Dann fragt man sich: Was jetzt?« Bei Marion Rautert liegt diese Situation 15 Jahre zurück. Damals bot eine Igelstation in Unna wertvolle Tipps. »So habe ich meinen ersten Schützling durch den Winter gebracht.«

Lebensgefahr durch Mähroboter

Inzwischen ist sie selbst eine gefragte Expertin. Im Keller ihres Hauses in Lünen-Horstmar befindet sich ein eigens gebautes ›Igelkrankenhaus‹ mit einem Dutzend Übernachtungsplätze. Hier werden Neuankömmlinge von Parasiten wie Zecken und Flöhen befreit, ›medizinisch‹ versorgt und liebevoll aufgepäppelt. »Durch Klimaveränderungen und das Insektensterben finden Igel kaum Nahrung, können keine ausreichenden Fettreserven anlegen und erwachen zu früh aus dem Winterschlaf«, erklärt Marion Rautert. »Häufig sind sie stark abgemagert, haben Husten und Schnupfen, entzündete Augen oder Durchfall – oder gleich alles zusammen.« Andere scheitern an der modernen ­Umwelt: versiegelte Flächen, fehlende Rückzugsorte, Störungen durch Gartenarbeiten. Früher waren Eulen und Füchse ihre größten Feinde – heute sind es Mähroboter, Freischneider und Co. »Statt zu fliehen, rollen sie sich bei Gefahr zusammen. Werden sie im Gebüsch überfahren, erleiden sie einen langsamen, qualvollen Tod. Ein Igel erträgt seinen Schmerz stumm.«

Der Igel steht auf der Roten Liste

Dabei ist es für Gartenbesitzer so leicht, den kleinen Nachtschwärmern etwas Gutes tun. »Unordnung einfach mal stehen lassen«, rät Marion Rautert. »Reisig- und Laubhaufen sind beliebte Verstecke. Oder man stellt ein Igelhotel aus dem Baumarkt auf.« Maria Fahlbusch ergänzt: »Mähroboter nur tagsüber einsetzen!« Die Stadt Dortmund hat dafür bereits ein Nachtfahrverbot erlassen. Auch in Lünen möchten die Tierschützerinnen einen entsprechenden Antrag stellen. Zudem wollen sie mit Gala-Bau-Betrieben und Wohnungsbaugesellschaften ins Gespräch kommen. »Wir wissen, dass viele Betriebe unter Zeitdruck stehen. Vielleicht findet sich ja ein Kompromiss. Wärmebildkameras wären zum Beispiel eine gute Lösung.« Denn Fakt ist: Der westeuropäische Igel steht auf der Roten Liste der bedrohten Arten. »Traurig, wenn man bedenkt, dass diese Tiere schon seit 60 Millionen Jahren die Erde bevölkern«, so Maria Fahlbusch. Überdies profitiert auch der Mensch, wenn sich Igel wohlfühlen. Schließlich verspeisen sie die ungeliebten Raupen, Käfer, Spinnen und Kellerasseln.

»Wenn nachtaktive Tiere in der Sonne umherirren …«

Doch was tun, wenn man selbst über einen Igel stolpert? Woran erkenne ich, ob er gerettet werden muss? Marion Rautert empfiehlt, die Lage erst einmal zu beobachten. »Wenn nachtaktive Tiere in der Sonne umherirren, sind sie oft hilfebedürftig. Andererseits kann es durchaus passieren, dass Igelmütter tagsüber Futter für ihre Jungen suchen – dies sollte man unbedingt ausschließen.« Handelt es sich um ein verletztes oder krankes Tier, kann man es vorsichtig in einen Karton oder in eine Tasche setzen. »Das ist zur Not auch ohne Handschuhe machbar, wenn man sich anschließend die Hände wäscht.« Als provisorisches Nest eignen sich Handtücher, Küchenpapier oder alte Zeitungen, in die sich der Igel einkuscheln kann. Zur Stärkung sollte etwas Wasser und festes Katzen- oder Hundefutter angeboten werden. »Wichtig: nichts mit Soße oder Gelee! Und das Tier niemals zum Fressen zwingen – vielleicht ist der Kiefer gebrochen und es kann gar nicht schlucken.« Danach ist professionelle Hilfe gefragt: Der Igelschutz Dortmund gibt Rat und vermittelt bei Bedarf die weitere medizinische Versorgung.
Und Fritzi? Der kleine Kerl bringt bereits 855 Gramm auf die Waage – bei seiner Körperlänge noch nicht ideal, aber es geht langsam bergauf. Sobald er sein Gewicht erreicht und die Wunden verheilt sind, will Marion Rautert ihn in die Freiheit entlassen. Mit etwas Glück führt er dann ein langes, gutes Leben – hoffentlich ohne jemals wieder einem Mähroboter zu begegnen.

Arbeitsgruppe Igelschutz Dortmund e.V.

Tel.: 02 31 / 17 55 55 · igelschutz-dortmund [at] web.de
www.igelschutz-do.de

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