Stadtmagazin Lünen: Lehren und Lernen

Von kurzen Sätzen zu ganzen Texten

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Wenn Erwachsene Lesen und Schreiben lernen

Egal ob es um Behördenangelegenheiten, Nachrichten, die Bewerbung, den Beipackzettel von Medikamenten oder den neuen Handyvertrag geht: Lesen und Schreiben ist der Schlüssel zu Wissen, Gesundheit, Selbstständigkeit, sozialer Teilhabe und beruflichem Erfolg. Laut Bundesministerium für Bildung und Forschung beherrschen über 6,2 Millionen Erwachsene in Deutschland diese Fähigkeiten nur unzureichend. Die VHS in Lünen packt das Problem bei der Wurzel und bietet Alphabetisierungskurse für Betroffene an.

»Sie suchen keinen Lehrer – sie suchen einen Freund«

»Ich zitiere immer gerne das Sprichwort: Wer lesen kann, ist klar im Vorteil«, sagt Kursleiter Mattheus Glajcar. Der aus Oberschlesien stammende Diplom-Ingenieur kam vor 37 Jahren als Spätaussiedler in die Lippestadt. Bei seiner Ankunft konnte er sich ausschließlich auf Englisch verständigen. Das Deutsche eignete er sich nach und nach in der Sprachschule an. Als 2015 die große Flüchtlingswelle nach Deutschland schwappte, stand für ihn fest, den Menschen helfen zu wollen. Zunächst unterrichtete er ›Deutsch als Fremdsprache‹ für SyrerInnen. Später kamen UkrainerInnen hinzu. »Ich habe das aus Spaß an der Freude nebenher gemacht«, erzählt er. »Es war mir ein Herzensanliegen. Denn ich wusste aus Erfahrung: Diese Menschen haben oft keine Familie. Sie suchen keinen Lehrer – sie suchen einen Freund.«

»Viele haben Hemmungen«

Ähnlich ist seine Herangehensweise im aktuellen Kurs, wenngleich dieser hauptsächlich von deutschen MuttersprachlerInnen besucht wird. Eigentlich geht es hier eher um die Optimierung vorhandener Kompetenzen als um Alphabetisierung. Das Angebot richtet sich an Erwachsene jeden Alters, die nur eine geringe Schulbildung genossen haben und ihre Fertigkeiten im Lesen und Schreiben verbessern wollen. »Anders als beispielsweise Menschen aus arabischen Ländern, die lediglich mit der arabischen Schrift vertraut sind, kennen sie die lateinischen Buchstaben. Sie haben aber große Schwierigkeiten, ganze Texte zu verstehen oder selbst zu schreiben, auch wenn sie einzelne Wörter oder Sätze lesen können. Ihr Wortschatz ist nicht so breit. Hinzu kommt: Viele haben erst einmal Hemmungen, laut vorzulesen.« Diese Hemmungen sollen in der kleinen Gruppe abgebaut werden, in vertrauensvoller Runde, erwachsenengerecht und mit Rücksicht auf das persönliche Lerntempo.

»Es ist wie ein Kaffeeklatsch«

Seit Februar 2025 treffen sich die TeilnehmerInnen zweimal wöchentlich im Seminarraum der VHS in der Lüner Innenstadt: Immer montags und donnerstags von 17 bis 18.30 Uhr wird gemeinsam ›gebüffelt‹. Wobei – ›büffeln‹ ist eigentlich das falsche Wort. »Wir sitzen hier sehr nett in gemütlicher Atmosphäre zusammen«, verrät Mattheus Glajcar. »Es ist wie ein Kaffeeklatsch.« Bei jedem Termin wird ein kurzer Text bearbeitet – vorzugsweise kleine Geschichten oder Dialoge zu unterhaltsamen Themen wie Städte und Sehenswürdigkeiten, berühmte Persönlichkeiten oder Feiertage und Feste. »Meistens läuft es so ab, dass wir abwechselnd vorlesen. Ich stelle Fragen zum Inhalt, die wir dann zusammen beantworten.« Dabei kommt der Spaß nicht zu kurz. »Häufig ist es sogar ziemlich lustig – wenn zum Beispiel jemand zusätzliche Wörter einbaut oder eine Zeile vergisst. Dann wird gelacht.« Miteinander – niemals übereinander. Schließlich sitzen alle im selben Boot. »Niemand muss sich schämen«, versichert Mattheus Glajcar. »Und wenn jemand mal etwas langsamer liest, ist es selbstverständlich, dass die anderen geduldig zuhören.«

»KI macht Sprachverständnis nicht überflüssig«

Aber könnte man sich in Zeiten von Künstlicher Intelligenz nicht einfach anders helfen? »KI macht Sprachverständnis nicht überflüssig«, betont Mattheus Glajcar. »ChatGPT kann vielleicht grob für uns zusammenfassen, was in einem Vertrag oder in einer E-Mail steht. Aber wir sollten das Kleingedruckte nicht vernachlässigen, wenn wir eine Waschmaschine kaufen oder ein Abbo für das Fitnessstudio abschließen.« Auch beim Verfassen von Texten sei die moderne Technik nur bedingt hilfreich. »Wenn sich jemand in meiner Firma bewirbt, erkenne ich im Gespräch meist sofort, ob die schriftliche Bewerbung eigenständig geschrieben oder computergeneriert wurde.« Das gleiche gilt für die freiwilligen Hausaufgaben, die er seinen erwachsenen SchülerInnen regelmäßig erteilt. Mal soll ein kleiner Aufsatz verfasst werden, mal ein Brief. »Wenn man zu Hause nicht übt, bringt es nichts. Aber mit viel Training lassen sich schon nach einem Jahr tolle Erfolge beobachten!«

Bitte leiten Sie diese Informationen an Betroffene weiter!

Der nächste Alphabetisierungskurs startet nach der Sommerpause am 15. September 2025. Der Einstieg ist jederzeit, auch nach Kursbeginn, möglich. Kennen Sie Personen, die Deutsch sprechen, aber nicht ausreichend lesen und schreiben können? Dann bestärken Sie sie, den ersten Schritt zu tun. Beratung und Anmeldung erfolgen selbstverständlich ­vertraulich.

Auskunft, Beratung, Anmeldung:
Mine Piristine
VHS-Lünen, Franz-Goormann-Str. 2,
1. Etage, Raum 112
Tel.  0 23 06 / 1 04-27 24

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