Stadtmagazin Lünen: Gesundheit und Wellness

Rettet die Lebensmittel!

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foodsharing in Lünen

Einerseits leiden Menschen weltweit an Armut und Mangelernährung. Auf der anderen Seite landen absurd hohe Mengen an Lebensmitteln im Müll – laut dem Statistischen Bundesamt jährlich bis zu 80 kg pro Person. Um der sinnlosen Verschwendung entgegenzuwirken und Essbares vor dem Container zu retten, entstand 2012 die foodsharing-Bewegung mit inzwischen über 130.000 ehrenamtlich engagierten HelferInnen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Wir haben uns mit zweien von ihnen unterhalten: Madeleine und Daniela sind als Lebensmittelretterinnen und foodsharing-Botschafterinnen in ihrer Heimatstadt Lünen aktiv.

Den Begriff ›foodsharing‹ haben die meisten wohl schon einmal gehört, aber die wenigsten wissen, was genau dahintersteckt. Könnt ihr das Konzept zum Einstieg kurz erklären?

Es erklärt sich eigentlich von selbst: ›Food‹ bedeutet ›Essen‹, ›share‹ heißt ›teilen‹. Das kann jeder von uns tun, zum Beispiel, indem man zu viel gekochte Marmelade an Freunde verschenkt oder Nachbarn einlädt, die Äpfel im Garten zu pflücken. Die Foodsharing-Initiative hat das System professionalisiert: Wir holen übrig gebliebene Lebensmittel nach Absprache bei Betrieben ab, etwa in Supermärkten oder Bäckereien. Die geretteten Produkte werden dann kostenfrei weiterverteilt, zum Beispiel an Obdachlosenheime oder Kirchengemeinden. Darüber hinaus werden auch die sogenannten ›Fairteiler‹ bestückt. Dabei handelt es sich um öffentlich zugängliche Schränke oder Kisten, an denen sich jeder bedienen kann. Aktuell gibt es in Lünen drei solcher Stellen: den Fairteiler ›Kowalski‹ an der Saarbrücker Straße 48, den Fairteiler ›am Park‹ am Oberbeckerweg 15 und den Fairteiler ›der große Brecht‹ an der Brechtener Straße 104 in Brambauer. Dazu kommt eine Abgabestelle mit Kühlschrank im Büro der Grünen an der Münsterstraße.

Wie seid ihr beiden zur foodsharing-Bewegung gekommen? Warum liegt euch das Thema am Herzen?

Madeleine: Ich war vor einigen Jahren in Indien und habe gesehen, wie die Menschen dort leben. Dadurch fing ich an, mich selbst zu hinterfragen und zu überlegen: Was kann ich tun? Über einen TV-Beitrag wurde ich auf Foodsharing aufmerksam.
Daniela: Ich habe 2017 über Facebook von der Initiative erfahren. Familienbedingt habe ich aber schon immer darauf geachtet, Lebensmittel nicht zu verschwenden. Wahrscheinlich wurde ich durch meine Großeltern gebrieft, die im Krieg großgeworden sind. Der verantwortungsvolle Umgang mit Ressourcen ist aber nicht nur bei Nahrungsmitteln wichtig. In der alten Bergbausiedlung, wo ich wohne, ist es nach wie vor Gang und Gäbe, Kisten mit ausrangierten Dingen vor die Tür zu stellen. Sie werden fast immer mitgenommen. 2020 wurde durch Foodsaver in Lünen auch eine Whatsapp-Gruppe für zu verschenkende Non-Food Waren gegründet. Hier sind mittlerweile um die 500 Menschen Mitglied, und man findet wirklich alles, von altem Geschirr über Spielzeug bis zu Möbelstücken.
Nutzt ihr foodsharing auch selbst, statt im Supermarkt einzukaufen? Was war das Beste oder Verrückteste, das ihr je in einem Fairteiler gefunden habt?
Daniela: Ja, wir nutzen das gerne und regelmäßig. Der Thermo-Kaffeebecher, aus dem ich gerade trinke, stammt aus einem Fairteiler-Schrank.
Madeleine: Ich habe mal Insektenchips gefunden. Ehrlich gesagt konnte ich mich nicht überwinden, sie zu probieren. Da hat sich dann Daniela ›geopfert‹. Prinzipiell entdeckt man in den Fairteilern aber oft auch Lebensmittel, von denen man positiv überrascht wird, weil man sie selbst nie gekauft hätte.
Daniela: So habe ich zum Beispiel gelernt, dass Stielmus gar nicht so schlecht schmeckt.

Hier mal eine etwas provokante Frage: Nehmt ihr nicht der Tafel das Essen für die Bedürftigen weg?

Nein, das kann ausgeschlossen werden. Wir kooperieren nur mit Spendern, mit denen die Tafel nicht arbeitet. Oder der Überschuss ist so groß, dass die Tafel nicht alle übrig gebliebenen Lebensmittel bewältigt, und erst dann kommen wir ins Spiel. Neue Helfer sind häufig schockiert, wenn sie sehen, welche riesigen Mengen von den Betrieben aussortiert werden. Einmal haben wir 80 Säcke Kartoffeln gerettet. Ein anderes Mal war ein funktionstüchtiger Grill dabei – plus säckeweise Grillkohle.

Stichwort ›Helfer‹: Wie kann ich bei euch mitmachen?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Foodsharer kann jeder werden, indem er sich auf der Webseite anmeldet und über die Rubrik ›Essenskörbe‹ Lebensmittel verschenkt oder abholt, wobei keinerlei Verpflichtung besteht. Wer mehr machen will, kann über die Website unser Quiz zum Foodsaver absolvieren. Dies dient dazu, sich einmal ernsthaft mit dem Thema auseinanderzusetzen. Wir müssen uns auf die Leute verlassen können, wenn sie Kontakt zu den Märkten und Mitarbeitern haben. Nach ersten begleiteten Einsätzen bekommen die Ehrenamtlichen eigene Betriebe entsprechend ihres Wohnortes oder Arbeitsplatzes zugeordnet, bei denen sie die Waren zu vereinbarten Zeiten selbstständig abholen. Ist man damit immer noch nicht ausgelastet, kann man Betriebsverantwortlicher werden und als Ansprechpartner für die teilnehmenden Läden fungieren. Oder sich an überregionalen Arbeitsgruppen zu Themen wie Bildung, IT, Barrierefreiheit, Datenschutz oder Öffentlichkeitsarbeit engagieren. Oder – wie wir – Botschafter für einen Bezirk werden. Als solcher organisiert man Gruppentreffen, gewinnt neue Kooperationspartner und ist auf Märkten und Stadtfesten mit Ständen präsent, um die Idee vorzustellen.

Klingt nach einer guten Sache, die aber sicher auch mit viel Mühe verbunden ist. Lohnt sich der Aufwand?

In Lünen gibt es inzwischen über 200 ehrenamtliche Foodsaver. Seit der Entstehung des Bezirks und der ersten offiziellen Kooperation mit einem Betrieb im Jahre 2017 wurden bei 27.487 Rettungseinsätzen 561.109 Kilogramm Lebensmittel vor der Mülltonne bewahrt und weiterverschenkt. Neben diesem messbaren Erfolg geht es uns aber auch darum, ein Bewusstsein für das Thema zu schaffen.

Was möchtet ihr Betrieben sagen, die foodsharing noch skeptisch gegenüberstehen?

Wer mitmacht, vermeidet nicht nur unnötigen Müll, sondern senkt auch seine Kosten. In Lünen nehmen aktuell rund 20 Läden teil: Kioske, Bäckereien, Cafés und Supermärkte. Manchen wurde erst durch die Zusammenarbeit bewusst, welche enormen Mengen sie früher entsorgt haben. Die meisten freuen sich auch über den Foodsharing-Aufkleber. Ein wichtiges Zeichen in Zeiten, in denen die Kundschaft und wir alle vermehrt auf Nachhaltigkeit achten.

Weitere Infos: foodsharing.de

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