Stadtmagazin Lünen: Soziales

Damit die Krise nicht zur Erkrankung wird

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Psychologisches Beratungszentrum der Johanniter bietet Hilfe zur Selbsthilfe für Kriegsflüchtlinge und Menschen aus Lünen

Stellen Sie sich vor, Sie müssten Hals über Kopf verschwinden und in einem fremden Land Fuß fassen, ohne zu wissen, ob Sie Ihr Zuhause, Ihre Angehörigen jemals wiedersehen … Was wir uns kaum ausmalen können, ist für die unzähligen Kriegsflüchtlinge in Deutschland bittere Realität. In Lünen wurden die Johanniter zu Beginn des Ukrainekrieges mit der Betreuung der Menschen in den Flüchtlingsunterkünften beauftragt. Aus der zunächst rein mobilen Notfallmaßnahme ist Anfang 2023 das neue ›Psychologische Beratungs- und Begegnungszentrum Lünen-Mitte‹ hervorgegangen.

»Hier gibt es traumatische Erfahrungen, die abgefedert werden müssen«

»Anfangs ging es nur darum, stabilisierende Hilfen zu leisten und etwa bei der Wohnungssuche zu unterstützen, um den Grundbedarf der Neuankömmlinge zu sichern«, berichtet Pressesprecher Martin Vollmer. »Unsere mobilen Sozialarbeiterinnen stellten aber schnell fest: Diese Form der Betreuung reicht lange nicht aus. Hier gibt es tiefere Problematiken, traumatische Erfahrungen, die abgefedert werden müssen. Wir haben nach Wegen gesucht, um die Betroffenen aufzufangen, und mit Mitteln der RTL-Stiftung ein Beratungsangebot speziell für Menschen mit Fluchthintergrund geschaffen.« Zu diesem Zweck wurde mit Lisa Jungkeim eine ausgewiesene Expertin ins Haus geholt: Die Psychologin verfügt über langjährige Erfahrungen in der Gerichtspsychologie sowie in der Kinder- und Jugendarbeit. Seit November 2022 ist sie bei den Johannitern für die psychologische Beratung zuständig. Unterstützt wird sie durch ein multiprofessionelles Team aus Traumapädagog*innen und Dolmetscher*innen.

Tandemprojekt soll Anschluss erleichtern

Lisa Jungkeim erzählt, womit ihre Klientinnen und Klienten zu kämpfen haben. »Das reicht von schlimmen Kriegs- und Fluchterfahrungen, die eine posttraumatische Belastungsstörung zufolge haben, über Anpassungsschwierigkeiten bis hin zu Verlust und Schuldgefühlen, weil man sich selbst retten konnte, während Angehörige zurückgelassen werden mussten. Manchmal entstehen Konflikte innerhalb einer Familie, weil sich die Kinder schneller zurechtfinden und sich hier in Deutschland ein neues Leben aufbauen wollen, während ihre Eltern in der Luft hängen, nicht wissen, wo sie andocken sollen, und nur davon träumen, bald in die Ukraine zurückzukehren.« Um ihnen den Anschluss zu erleichtern, hat die Flüchtlingskoordination der Johanniter zusätzlich zur kostenfreien Beratung ein Tandemprojekt ins Leben gerufen. »Dabei werden Geflüchtete und Lüner Bürger*innen mit ähnlichen Interessen gezielt zusammengebracht«, erklärt Lisa Jungkeim. »So sind in den letzten Monaten eine ganze Reihe neuer Gruppenangebote entstanden, beispielsweise ein Nähkurs, ein Tanzkurs oder Selbsthilfegruppen. Wir suchen weiterhin nach Ehrenamtlichen, die sich mit ihren Ideen und Fertigkeiten einbringen möchten.«

Geöffnet für alle Bürger*innen

In Zeiten globaler Krisen steigt die emotionale und psychische Belastung aber auch bei Menschen, die in Deutschland in relativer Sicherheit leben. Aufgrund vermehrter Anfragen aus der Bevölkerung wurde das Beratungsangebot der Johanniter Anfang 2023 für alle Bürgerinnen und Bürger geöffnet. Abgerechnet wird dann über die Krankenkasse oder privat als Selbstzahler. »Die Anliegen sind so individuell wie die Menschen«, erzählt Lisa Jungkeim. »Manche haben nach Corona einfach Schwierigkeiten, in den Alltag zurückzufinden. Andere leiden unter privatem Stress, Überforderung im Beruf oder durch Mobbing. Und wieder andere wünschen sich ein professionelles Coaching, um ihre Ziele zu erreichen. Wichtig ist, dass es sich nicht um eine Therapie handelt, sondern wir unter dem Stichwort ›Empowerment‹ Hilfe zur Selbsthilfe leisten. In meiner Zeit in der Gerichtspsychologie habe ich jahrelang die Scherben aufgekehrt. Hier bei den Johannitern setzen wir präventiv an, damit es gar nicht erst so weit kommt, dass die Lebenskrise zur psychischen Erkrankung wird. Ich bin sehr glücklich, diesen Dienst mit aufzubauen, und bei der Terminvergabe auch recht flexibel. Mehrmonatige Wartezeiten gibt es bei uns zum Glück noch nicht.«

Psychologisches Beratungs- und Begegnungszentrum Lünen-Mitte
Johanniter

Viktoriastr. 3c · 44532 Lünen · Tel. 0 23 06 / 37 89 25 06
www.johanniter.de

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