Stadtmagazin Lünen: Historisch

Fremde werden bei Lüner Fußballern zu Freunden

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Solidarisch mit den Flüchtlingen aus der Ukraine, Syrien, Ex-Jugoslawien und Afghanistan

Einmal mehr öffnen die Sportvereine ihre Fußball-Plätze für ukrainische Geflüchtete. Gerade den Jüngsten soll in dieser schrecklichen Zeit Abwechslung geboten werden. »Kinder und Jugendliche können auch ohne Mitgliedschaft trainieren. Ein Spielrecht, auch für Senioren, kann erteilt werden. Wenn der DFB eine Freigabe beim Ukrainischen Nationalverband beantragt hat, dauert es etwa sieben Tage«, so der Westfälische Fußball-Verband. Nicht zum ersten Mal setzen die Kicker damit ein Zeichen für direkte Hilfe, ein multikulturelles Miteinander und gegen Rassismus.

Am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg. Schon gut drei Monate später, am 26. August 1945, wurde der Lüner SV gegründet. Bis Ende der 60er, den Erfolgsjahren in der Regionalliga, der alten 2. Bundesliga, blieben die Rot-Weißen fast unter sich. Es spielten Jungs, meist aus Lünen oder der Nachbarschaft. Die ersten Zuwanderer kamen zu Zeiten des Kalten Krieges aus  Osteuropa zum Lüner SV.

›Josel‹ Gugolka flüchtete 1946 aus Oberschlesien, landete in Lünen. Der LSV entdeckte ihn. Er stand in der tollen Mannschaft, die 1961 mit der Landesmeisterschaft den bisher größten Vereinserfolg und den Aufstieg in die damals höchste Amateurklasse schaffte. Später wurde er mit den Lüner Löwen Westdeutscher Meister, stieg in die Regionalliga auf, kam bis ins Halbfinale der Deutschen Amateurmeisterschaft. In Beuthen geboren, hatte Oberschlesien Georg Schymetzek geprägt. »Wir sind Menschen, die arbeiten wollten und konnten, die aufbauten, katholisch geprägt auf den Zusammenhalt in der Familie setzten. Ganz wichtig für jeden damals und heute war und ist, die Sprache zu lernen. Das ist das A und O.« Erfahrungen eines Mannes, der 1966 in den deutschen Westen kam. Borussia Dortmund wollte den Offensiven haben. Doch dieser entschied sich für den Lüner SV, feierte dessen zweiten Regionalliga-Aufstieg mit.

Dieter Stannek stammt aus Polen, spielte sechs Jahre für Szombierski Beuthen in der 1. Liga. 1971 setzte er sich bei einer Durchfahrt seines Vereins durch Wien zu einem Europapokalspiel ab. Im September des gleichen Jahres kam Stannek nach Lünen, schloss sich ein Jahr später dem Lüner SV an. Fußballer war in Polen sein eigentlicher Beruf. Doch Stannek machte sich nicht vom Kicken abhängig, er ließ sich zum Schweißer umschulen. Es folgte Ende der 80er eine zweite polnische Welle. Es kamen Peter Machura – in Polen in der 2. Liga am Ball, beim LSV Spieler und mehrfach Coach –  Richard Scheiring, Peter Gatzka, Christoph Parossa, Heinrich Wolff, Marius Matheja, Bernard Kieszkowski, Darius Tomczak …

Gleichzeitig gehörten die ersten türkischstämmigen Spieler wie Halil Sabancy zum Team. Heute sind die Türken aus keiner Mannschaft mehr wegzudenken und auf jeden Fall in Sachen Fußball sehr integriert. Schon hier geboren, erst Spieler, jetzt seit einem Jahrzehnt LSV-Vorsitzender und erfolgreicher Baufachmann – Imdat Acar ist ein gutes Beispiel, wie Integration funktioniert. War es bei vielen eher die politische und wirtschaftliche Lage, die sie zu Auswanderern machte, flüchteten im Jugoslawien-Krieg (1991–2001) zahllose Familien aus dem Balkan. Aus den dort neu entstandenen Staaten rücken bis heute Zuzügler nach, die in Deutschland auf bessere Lebensbedingungen hofften, sich diese auch über ihren Einsatz schafften.

Schon vor diesem Krieg kam Stefan Tusa nach Lünen, hütete das LSV-Tor. 1987/88 führte auch der als Lüner Gastwirt bekannte Dzafir Schäfer sogar als erster Nicht-Deutscher den LSV als Vorsitzender. Ihm folgten mit Beginn der Auseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien zahlreiche Fußballer: Milan Mikuljanac mit seinen Söhnen Dalibor und Daniel war als Spieler sowie Senioren- und Jugendtrainer erfolgreich. Aktuelles Beispiel, wie das Einleben wirklich ein Erfolg ist, ist der Torjäger der Westfalenliga-Ersten, Milan Sekulic. Er ist mit einer Deutschen verheiratet. Nicht zu vergessen ist auch der Bosnier Samir Sabanovic, inzwischen nicht nur Altherren-Spieler, sondern auch zweiter Vorsitzender der um 500 Mitglieder zählenden Rot-Weißen. Erinnert sei zudem an Nermin Bevab, Goran Miletic und Haris Masic.

›Fiifi‹ Ebenezer Nkrumah, der inzwischen mit Bovensmann den Namen seiner deutschen Frau trägt, bildete zu LSV-Oberliga-Zeiten mit Antony Yeboah das Ghana-Duo. Beide hörten bei den Löwen auf. ›Fiifi‹ jedoch kehrte zurück, läuft bei den Oldies auf, trainiert die Jugend. »LSV, das ist meine Heimat«, ist er stolz, ein Zuhause gefunden zu haben.

Die heutige LSV-Jugend ist derzeit 215 Mitglieder stark. Um die Hälfte hat einen Migrationshintergrund. »Bei uns treten Frauen, Jugendliche, Kinder und Altherren aus eineinhalb Dutzend Nationen an. Von A wie Afghanistan bis Z wie Zimbabwe hatten wir schon junge Spieler in unseren Reihen«, erinnert sich Werner Krause, lange Zeit Jugendleiter und heute zweiter Jugend-Geschäftsführer. Und der heutige Jugendleiter, Sebastian Burmann, zählt auf: »Ghanaer, Bosnier, Serben, Kroaten, Polen, Russen, Ukrainer, die aber schon vor dem Krieg bei uns waren, Türken, Kurden, Italiener, Portugiesen, Griechen, Syrer, Iraker und Iraner, Pakistaner … Das Miteinander klappt sehr gut. Fußball ist eine Allerweltsprache. Auch, wer noch nicht die deutsche Sprache beherrscht, versteht alles. Wir erklären die Übungen mit Händen und Füßen. Das ist ein Zeigen wie in einem Film. Die Kinder finden sofort zueinander.«

Die Wunden, die Kriege und Flucht hinterließen, heilen sehr langsam – sind tief. Umso erfreulicher ist es, zu sehen, wie die meisten über den Fußball Integrierten die deutsche Sprache lernten, gute Schulabschlüsse schafften und im Beruf Erfolg haben – als Prokurist, qualifizierter Handwerker, selbstständig als Maler oder als Steinmetz, Restaurant-Besitzer, Pädagoge, Diplomsportlehrer, Physio- und Delphin-Therapeut.

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