Stadtmagazin Lünen: Sport und Freizeit

»Ich weiß, wie sich Wolken anfühlen«

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Im Gespräch mit einem Künstler und Extremsportler

Manche Leute gehen in ihrer Freizeit joggen oder sammeln Briefmarken. Felix Selent zeichnet und designt und springt außerdem mit dem Fallschirm aus Flugzeugen beziehungsweise von Berggipfeln – trotz Höhenangst! Krasser Typ, könnte man meinen. Und damit liegt man wohl gar nicht so verkehrt. »Ich will mich nicht durch meine Ängste limitieren lassen und mag Herausforderungen«, verrät der 32-jährige Lüner. »Wenn ich etwas mache, dann zu hundert Prozent.«

Bunt und fantastisch

In jungen Jahren floss seine kreative Energie zunächst in die Malerei. Unter dem Pseudonym ›SPTNK‹ entstanden fantastische bis surrealistische Motive in Form von Zeichnungen, Aquarellen, Acrylbildern und Graffiti. »Würde man meine Mutter fragen, habe ich immer schon gemalt«, erzählt er. »Zum 18. Geburtstag hat sie mir eine Sammlung meiner bisherigen Werke geschenkt, das war ein richtig dicker Oschi.« Ursprünglich wollte Felix seine Kunst zum Beruf machen. Davon träumte er bis zum Abi am FSG. Dann kam ihm der Zivildienst beim Rettungsdienst des DRK in die Quere. »Da habe ich gemerkt, wie viel Spaß mir diese Arbeit macht, und entschied mich für ein Medizinstudium«

»Überfordernd und sinnüberflutend«

Kurz darauf wurde das Malen durch ein neues Hobby abgelöst. »2013 lag ich im Urlaub etwas angeschickert im Pool und habe darüber philosophiert, dass ich gerne was anderes ausprobieren würde. Mein Kumpel meinte scherzhaft: Versuch’s doch mal mit Fallschirmspringen. Zurück zu Hause habe ich mich sofort beim FSC Münster für die Ausbildung angemeldet.« Wie das so war, sich erstmals aus 4.000 Metern in die Tiefe zu stürzen? »Ich erinnere mich gar nicht richtig. Es war so überfordernd, so sinnüberflutend, dass ich schon bei der Nachbesprechung kaum Details wiedergeben konnte. Heute ist das natürlich anders. Aber es ist immer noch Adrenalin im Spiel, und das ist auch gut, denn sonst würde man zu sorglos an die Sache rangehen. Wenn man jedoch achtsam ist und die Basics beherzigt, ist es sicherer als Motorradfahren. Für den Notfall gibt es ja einen Reservefallschirm.«

Sturzflug-Performance mit 300 km/h

Inzwischen hat Felix über 800 Sprünge in aller Welt absolviert, bei Wettbewerben mitgemacht und sogar eigene Contests organisiert. »Und es ist immer noch genauso großartig wie beim ersten Mal! Ich weiß, wie sich Wolken anfühlen und wie sie von oben aussehen. Das sorgt für ein absolutes Hochgefühl.« Seine Spezialität ist das sogenannte ›Wingsuiting‹: Hier tragen die Springer einen Flügelanzug, der ihnen Auftrieb verleiht und die Freifallphase verlängert. »Das ist mehr Fliegen als Fallen.« In der Kategorie ›Performance‹ erreichen die Athleten so Geschwindigkeiten von über 300 Stundenkilometern – horizontal wie vertikal. Wie bunte Riesenfledermäuse segeln sie durch die Lüfte.

»Man ist voll in dem Moment«

Eine weitere, noch extremere Variante ist das ›BASE-Springen‹. Der Begriff ist ein Akronym für Building, Antenna, Span und Earth und beschreibt das Springen von fixen Objekten. »Ich bevorzuge ›Earth‹, also die Berge. Es unterscheidet sich darin vom Fallschirmspringen, dass BASE mehr einer Reise gleicht: Da weniger Sprünge pro Tag gemacht werden können – man muss ja erst mal auf den Berg drauf, und die Bedingungen müssen ganz bestimmte sein – schätzt man jeden Sprung umso mehr, erlebt es noch bewusster.« Auf die körperlichen Belastungen in großer Höhe bereitet sich Felix mit Fitnesstraining und Klettern vor. »Beim Springen braucht man Körperspannung und geistige Ruhe. Deshalb mag ich diesen Sport: Man ist voll in dem Moment, konzentriert sich allein auf das Hier und Jetzt, alles andere wird ausgeblendet. Wenn ich könnte, hätte ich früher damit angefangen.«

Vom Wingsuit-Design zum Bilderbuch

Seinen kreativen Geist hat er sich trotzdem bewahrt. Für einen Hersteller von Wingsuits designt er Flügelanzüge am PC. Sie sind so farbenfroh wie seine früheren Aquarelle. Nebenbei hat er während des Lockdowns im April noch ein Kinderbuch für seinen Kumpel Timm Steuber illustriert. »Timm ist wie ein Mentor für mich. Aber manchmal kommt er auch zu mir, wenn er Hilfe braucht.« So hielt Felix erstmals nach fünf Jahren wieder seine Zeichenstifte in der Hand. In Ermangelung adäquaten Papiers fertigte er die ersten Skizzen auf den Rückseiten von gedruckten Zetteln an. Innerhalb von zweieinhalb Tagen nahm die Idee von ›Prinzessin Corona‹ Gestalt an. »Timm hatte sich etwas gewünscht, das einerseits zierlich und zerbrechlich ist und trotzdem Stärke ausstrahlt. Obwohl ich früher ganz andere Sachen gemacht habe, fiel es mir überraschend leicht. Ich mag es, mein Repertoire zu erweitern. In der Kunst gibt es kein Richtig oder Falsch. Also habe ich die Musik aufgedreht und losgelegt.«

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