Der Kampf gegen den inneren Schweinehund auf Japanisch
In Corona-Zeiten mussten sie zu den Waffen greifen. Das klingt erst mal ziemlich dramatisch, aber zu Schaden ist niemand gekommen. Wie jede Einrichtung musste sich auch die Aikido-Gemeinschaft Lünen e. V. etwas einfallen lassen, um unter den strikten Hygieneregeln der letzten Monate trainieren zu können. Jedoch widerspricht allein die Idee, zum Angriff zu blasen, der Philosophie des Aikidō (合気道). Diese japanische Kampfkunst ist nämlich ein reiner Selbstverteidigungssport.
Techniken wie Lego kombinierbar
Das geht sogar so weit, dass es keine Wettkämpfe gibt. Man kämpft nicht gegeneinander, denn das impliziert ja einen Angriff. »Siegen können Sie nur über sich selbst, über die eigenen Schwächen und Unzulänglichkeiten«, so beschreibt es der Lüner Verein. Aus diesen Gedanken heraus entstanden die Techniken der Kampfkunst. Sie haben den Kniff, dass sie die kinetische Energie, also die Bewegungsenergie, des Angreifers aufnehmen und in der Verteidigung ausnutzen. So lässt man den Gegner zum Beispiel ins Leere laufen und nutzt den Moment aus, in dem er aus dem Gleichgewicht gerät, um ihn mit gezielten Griffen kampfunfähig zu machen. »Das sieht von außen ganz einfach aus, als ob die von alleine umfallen würden«, sagt der Vorsitzende Jürgen Feldmann. »Es gibt zwar nur 17 Techniken, aber die sind wie Lego miteinander kombinierbar.«
Open Air mit Stab und Holzschwert
Und was hat es nun mit den Waffen und Corona auf sich? Nach dem Lockdown war Sport in NRW zwar wieder möglich, aber nur unter strengen Auflagen. Geschlossene Räume und Körperkontakt blieben problematisch. Für beides fand die Aikido-Gemeinschaft eine Lösung. Zum einen gestattete ein Mitglied das Training in seinem Garten, auf der Wiese und unter freiem Himmel. Zum anderen konzentrierte man sich auf Bukiwaza (武器), die Waffentechniken. Dabei kommen unter anderem das Bokken (木剣), ein Holzschwert, und der Jo (杖), ein Stab, zum Einsatz. Social Distancing auf die rabiate Art? Aber nicht doch. Das Üben im Freien habe den Mitgliedern viel Spaß gemacht, sagt Jürgen Feldmann. So sehr, dass auch ohne Lockdown sicherlich noch das ein oder andere Training draußen stattfinden werde. So hat die Not mal wieder eine Tugend geboren.
»Beim Aikido holen wir das Beste aus uns heraus«
Jürgen Feldmann betont noch einmal, dass es ja nicht um den Kampf gehe. »Man trainiert für sich, für den nächsten Gürtel. Es geht um die Bewegung und darum, dass es Spaß macht«, führt der Trainer, der den Verein 1997 mitgegründet hat, weiter aus. »Beim Aikido holen wir das Beste aus uns heraus.« Im Vordergrund steht die Verbesserung des eigenen Selbst. Das klingt nach jahrhundertealter fernöstlicher Philosophie. Tatsächlich ist Aikido eine relativ junge Kampfkunst. Sie wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von Morihei Ueshiba (植芝 盛平) in Japan entwickelt. Der Großmeister (Ō-sensei, 翁先生) wird in den Dojos (道場), also Trainingshallen, dieser Welt mit einem kleinen Schrein geehrt. Auch in Lünen wird vor dem Unterricht so ein Kamidana (神棚) aufgebaut. Im Prinzip legt jeder Verein selbst fest, wie viel Spiritualität mit dem Sport verknüpft wird. Mancherorts gehört Meditation zum Programm, woanders verzichtet man ganz auf diese Komponente. In der Lüner Aikido-Gemeinschaft geht man einen Mittelweg ohne Meditation, aber mit vielen Werten.
Hallentraining in Kleingruppen
Mittlerweile finden die Aikidotermine wieder wie gewohnt (montags und mittwochs) in der Sporthalle der Lüner Viktoriaschule statt. Wobei, ganz wie gewohnt ist es noch nicht. Das Hygienekonzept sieht unter anderem vor, dass die Duschen in der Halle nicht benutzt werden. Maximal 30 Budoka (so nennt man jemanden, der eine japanische Kampfkunst betreibt) dürfen gleichzeitig trainieren. Aber auch damit kommen die Vereinsmitglieder gut klar. Per WhatsApp melden sie sich an, sodass keiner umsonst vor der Halle steht. »Wir freuen uns alle sehr, dass wir wieder trainieren dürfen«, sagt Jürgen Feldmann, während hinter ihm fünf Trainingspaare üben, wie man jemanden geschmeidig auf die Matte schickt.
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