Stadtmagazin Lünen: In der Stadt

Verrücktes Fest

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Neulich bei einem Fototermin in der City. Gefühlt ist die Zeit, in der man gemütlich beim Eiskaffee in der Sonne sitzen konnte, noch gar nicht so lange her. Doch jetzt liegt Raureif auf den Dächern der Stadt, und die Schornsteine spucken graue Rauchwolken in einen klirrendkalten Winterhimmel.

Mich überkommt ein Frösteln, weil ich die falsche Jacke angezogen habe – diesen Kälteeinbruch konnte ja keiner vorhersehen! Bald wollen sie uns auch noch zu gebrannten Mandeln und Glühwein überreden. Darauf deuten jedenfalls die unzähligen Weihnachtsbuden hin, die in der gesamten Fußgängerzone wie Pilze aus dem Boden sprießen. ›Mein kleines Bärchen‹, steht in blauer Zuckergussschrift auf einem großen Lebkuchenherz, ›Mama ist die Beste‹ auf einem anderen. Ein Kind plärrt, es will Zuckerwatte.

Kann es wirklich schon wieder soweit sein? Haben wir tatsächlich Advent oder hat sich hier jemand einen bösen Spaß erlaubt? Ist das vielleicht alles nur Kulisse, so wie in der ›Truman Show‹? Wer soll all diese kitschigen Lebkuchenherzen kaufen? Und was bin ich eigentlich für ein Grinch, dass ich über das vorweihnachtliche Treiben um mich herum die Nase rümpfe? Aber irgendwie bin ich innerlich (und kleidungstechnisch) wohl noch nicht so recht im Advent angekommen. Dafür ist mein Alltag momentan einfach zu hektisch, das bunte Treiben zu unwirklich. Wie soll sich Besinnlichkeit einstellen, wenn man unter Zeitdruck durch die Innenstadt hetzt?

Auf dem Rückweg will ich es kurz machen: schnell nach Hause, in den wohlverdienten Feierabend. Während ich über die Lange Straße zum Parkplatz eile, fällt mir auf, dass es schon fast dunkel ist. Lichterketten und Sterne tauchen die Hüttenstadt in goldenes Licht. Okay, ich muss zugeben, das hat was. Auch wenn ich dem vorweihnachtlichen Firlefanz sonst nichts abgewinne: Es verleiht dem Ganzen etwas Märchenhaftes, hebt die Laune, was sich auch auf meine Mitmenschen auszuwirken scheint. Das Geplärre hat aufgehört. Dafür singt eine Gruppe Kindergartenkinder ›Oh Tannenbaum‹. Mit roten Backen sehen die kleinen Racker glücklich und zufrieden aus. Wie überhaupt alle Leute, denen ich auf meinem Weg begegne. Sogar der Obdachlose, der sein Lager in einem Geschäftseingang aufgeschlagen hat, trägt ein Lächeln im Gesicht. Ehe ich mich versehe, lächle ich zurück.

Dann am Stand mit den Pilzen passiert es: Ein köstlicher Duft steigt mir in die Nase. Plötzlich sind Stress und Kälte vergessen, und ich kann nur noch an Crèmechampignons in Rahmsoße denken. Beim Warten erzählt mir die Verkäuferin ihre Lebensgeschichte: Seit vielen Wintern kommt sie nun schon her, um ihre Kreationen (nach altem Familienrezept!) an Mann, Frau und Kind zu bringen, ein hartes Geschäft, das sie aus Leidenschaft betreibt. Ich möchte zu gern glauben, dass dies kein Märchen ist, habe das Bedürfnis, Gutes zu tun, und kaufe ihr spontan zwei Portionen ab. Eine Idee hat sich in meinem Hinterkopf eingenistet. Sie ist ein bisschen verrückt, aber das märchenhafte Licht und der Pilzpfannen-Zuckerwattenduft haben mich in eine verrückte Stimmung versetzt. Ich nehme meine Champignons und visiere mein Ziel an. An der Hütte mit dem bunten Zuckerzeug mache ich nochmals kurz Halt, blicke mich verstohlen um, zücke unauffällig mein Portemonnaie.

»Ich dachte, Sie haben vielleicht auch Hunger«, murmele ich und werde rot, weil mich der Obdachlose anschaut, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank. Vielleicht macht es ihn misstrauisch, dass ihm eine fremde Frau eine dampfende Schale mit Pilzen entgegenstreckt. Vielleicht irritiert ihn aber auch das Lebkuchenherz mit der pinken Zuckergussschrift: ›Frohes Fest!‹ Ist es makaber, einem Obdachlosen ein frohes Fest zu wünschen? Meine Zweifel sind unbegründet, denn in diesem Moment verwandelt sich seine Verwirrung in Freude. »Ach, das ist ja nett. So viel kann ich ja gar nicht essen.« »Wenn Sie keinen Lebkuchen mögen, behalte ich den.« »Nein, nein, lassen Sie mal alles hier.« »Guten Appetit!« »Danke.«

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