Stadtmagazin Lünen: In der Stadt

»Ich bin ganz verliebt in dieses Theater!«

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Juwel der 50er-und 60er-Jahre

Am 11. Oktober 1958 startete die Mondsonde ›Pioneer 1‹ von der US-Air Force Station Cape Canaveral Richtung Weltall. Am selben Tag bejubelten die Bewohner im 18 Flugstunden entfernten Lünen ihre ganz eigene ›Rakete‹: die Eröffnung des neuen Stadt-Theaters, das in den Folgejahren die Crème de la Crème der deutschen Schauspielszene herbeilocken sollte. Elisabeth Flickenschild gastierte in Schillers ›Maria Stuart‹, der junge Klaus Maria Brandauer spielte in Goethes ›Faust‹, Größen wie Hildegard Knef, Götz George, Hannelore Elsner oder Mario Adorf gaben sich die Klinke in die Hand.

Eine ›mörderische Krankenschwester‹ ­berichtet

Doch hat die Lüner Bühne weit mehr zu bieten als prominente Namen und den Ruhm vergangener Zeiten. Wer mit offenen Augen durch das Gebäude wandert, einen Blick hinter die Kulissen wagt, in alten Spielplänen und Zeichnungen stöbert, stolpert über unzählige skurrile Details und spannende Geschichten. »Das Theater ist ein echtes Juwel, das den Zeitgeist der 50er- und 60er-Jahre widerspiegelt«, verrät Barbara Höpping. Über vier Jahrzehnte hat sie die Geschicke des Hauses begleitet und mitgestaltet, als Kulturjournalistin und zuletzt auch als erste Vorsitzende des Fördervereins Theater Lünen e.V. »Als ich 1968 als Volontärin nach Lünen kam, dachte ich erst, ›um Gottes willen‹«, erzählt sie mit einem Schmunzeln. »Aber dann habe ich die hiesige Kulturlandschaft kennengelernt!« Alte Fotos zeigen Barbara Höpping selbst im Rampenlicht: In ›Die Beute‹ mimte sie 1971 eine mörderische Krankenschwester. »Wir waren das Experiment, die erste Gruppe, die auf der Studiobühne auftreten durfte. Es war einfach unglaublich. Davor hatte ich ja nur in Schulhallen und Kellerräumen gespielt.«

300 Seiten über eine ›Bühne mit Eigensinn‹

Gemeinsam mit ihrem Ehemann Peter Freudenthal und weiteren Weggefährten (Hans-Jürgen Korn, Jutta Wieloch und Dirk Husemann) hat Barbara Höpping die alten Geschichten und Anekdoten aus 60 Jahren in einem Buch zusammengetragen. Die Idee dazu schwelte schon länger in den Köpfen der Gruppe. »Lünen hat drei Wahnsinnsgebäude, die alle aus der gleichen Zeit stammen: die Scharoun Schule, das Rathaus und das Heinz-Hilpert-Theater«, erläutert Peter Freudenthal. »Über die ersten beiden Bauten wurden bereits Bücher verfasst. Wir haben uns gedacht: Es wird Zeit, auch etwas über das Theater zu schreiben!« Als Architekt hat er eine ganz spezielle Sicht auf das Haus. »Unter allen drei Bauwerken ist das Heinz-Hilpert-Theater das feinsinnigste, sensibelste. Trotz seiner klaren, geradlinigen Elemente ist das Spiel mit Licht und Schatten, die Spannung zwischen Leichtigkeit und Schwere hier ständig präsent.« Nach zweijähriger Arbeit wurde das 300 Seiten starke Werk über eine ›Bühne mit Eigensinn‹ jetzt der Öffentlichkeit vorgestellt.


›Eine Bühne mit Eigensinn 60 Jahre Theater Lünen‹

Herausgegeben vom Förderverein Theater Lünen e.V.
29,90 Euro
Erhältlich in der Lippebuchhandlung, im Rathaus und Kulturbüro

Geheime Einblicke vom Damenklo bis in die Kellerbar

Wer nun eine chronologische Abhandlung der Historie erwartet, der wird beim Aufschlagen des Bandes (positiv) überrascht: In Text und Bild berichten die Macher über all die Dinge, die sich hier in 60 Jahren auf, hinter, vor und sogar unter der Bühne zugetragen haben, »das war ‘ne Menge, und nicht nur Theater!« Sie blicken hinter Fassade, Vorhang und Kulisse, erzählen von Applaus und Entrüstung, sprechen mit Dauergästen und Bühnenstars, gewähren Einsichten in die hintersten, verstecktesten Winkel, die sonst nicht jeder zu sehen bekommt. Vom Bühnenturm in luftiger Höhe geht es über die Damentoilette mit ihrer authentischen 50er-Jahre-Künstlertapete und die alte Künstlergarderobe bis hinab in die geheime Kellerbar, wo bis 1962 rauschende Silvesterbälle nach Vorstellungsschluss gefeiert wurden.

Provozierend, polarisierend, bunt und laut

»Als Gastspieltheater hat das Heinz-Hilpert-Theater zwar kein festes Ensemble, einige Gäste blieben aber länger als andere«, so Barbara Höpping. In den Achtzigern mischte das ›Theaterpathologische Institut‹ die Lüner Kulturszene vier Jahre lang mit provozierenden Inszenierungen auf. »Auf katholischer Seite warnte man damals vor ›Gotteslästerung‹ und ›Pornografie‹, mich bezeichnete man als ›Mutter des Lasters‹, weil ich für die Zeitung darüber berichtete«, erinnert sie sich. Dagegen sorgte die bunte Schlagerrevue der ›Liebesperlen‹ ab 2010 vier Spielzeiten lang für positive Schlagzeilen und ›volle Hütte‹. Heute sind es wohl vor allem die berühmten Comedians und Fernsehstars, die im Programm als Zugpferde dienen. Aber auch die alternative Szene findet immer mal wieder einen Weg ins Theater. Neben den beiden Lüner Amateurgruppen ›die Kulisse‹ und ›Theater Seitensprung‹ gehört das Art Ensemble Theater inzwischen fest zum Inventar. »Ein echtes Highlight für Metal-Fans sind die Konzerte von Axxis-Frontmann Bernhard Weiß«, schwärmen Barbara Höpping und Peter Freudenthal. »Da bebt der Saal. Einfach sensationell. Denen gehört die Zukunft!«

»Da geht einem das Herz auf«

Was sie sich selbst für die nächsten Jahre wünschen? »Dass idealistische, ehrenamtliche Gruppen wie Theater-, Bücherei- sowie Kunst- und Kulturförderverein ihre Kräfte stärker bündeln, um eine Lobby für die Kultur mit dem Theater in Lünen zu schaffen!« Sie sei in dieser Hinsicht vielleicht etwas missionarisch, bekennt Barbara Höpping mit einem Augenzwinkern. »Aber ich bin nun mal ganz verliebt in dieses Theater und möchte allen zeigen, wie toll es ist. Stellen Sie sich nur mal abends an die Neuberinstraße und schauen auf das beleuchtete Haus: Da geht einem das Herz auf!«

Notiz am Rande: Die US-Mondrakete ›Pioneer 1‹ ist nach ihrem Start 1958 in 113.000 Kilometern Gipfelhöhe abgestürzt und verglüht. Für das Heinz-Hilpert-Theater geht es hoffentlich noch lange aufwärts!

Wer war eigentlich Heinz Hilpert?

Ursprünglich hieß das Heinz-Hilpert-Theater schlicht Stadttheater. Erst im Jahre 1966 wurde es nach jenem großen Theatermann getauft, welcher 1958 bereits die Festrede zur Eröffnung gehalten hatte. Heinz Hilpert wurde am 1. März 1890 in Berlin geboren. Von 1934 bis 1944 war er als Intendant des Deutschen Theaters in Berlin tätig. Sein weiterer Weg führte ihn zu den Züricher Bühnen, nach Wien, Konstanz und schließlich zum Theater Göttingen. Er war Mitglied der Akademie der Künste und Träger des großen Bundesverdienstkreuzes mit Stern. Am 25. November 1967 starb Heinz Hilpert in Göttingen. »Durch die Benennung des Theaters wird über die persönliche Ehrung hinaus der Name eines der bedeutendsten Mimen und Regisseure unseres Jahrhunderts wachgehalten«, hieß es in der Begründung des Stadtrates zur Namensgebung.

Termintipp

Feiern und zurückschauen: Auf das Theater der 50er- und 60er-Jahre, auf die wilden 80er. Es wird die Gegenwart reflektiert und ein Blick in die Zukunft gewagt. Dies alles in einem bunten Programm mit Gesprächen und künstlerischen Beiträgen! Auch das Buch ›Eine Bühne mit Eigensinn – 60 Jahre Theater Lünen‹ wird der Öffentlichkeit vorgestellt. Als Ehrengast wird Rufus Beck erwartet, der als Stimme Harry Potters und durch Sönke Wortmanns ›Der bewegte Mann‹ berühmt wurde und in Lünen als Ibsens ›Volksfeind‹ zu sehen war. Weitere Gäste u. a. Norbert Baensch, langjähriger Chefdramaturg Heinz Hilperts in Göttingen, und Jochen Nickel, Theaterpathologisches Institut.
13.11.18 · 20 Uhr
Eintritt: 7 Euro für einen guten Zweck

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