Stadtmagazin Lünen: In der Stadt

Die Lippe – Liebe, Leid und Lebenslust

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Was wäre Lünen ohne die Lippe? Nicht das, was es heute ist! Der wirtschaftliche und kulturelle Aufstieg der Stadt ist eng mit dem Fluss verknüpft. In vergangenen Epochen war das 220 Kilometer lange blaue Band von Bad Lippspringe bis zum Rhein ein wichtiger Handelsweg. Mittelalterliche Herrscher erbauten ihre Burgen (wie etwa Schloss Buddenburg und Schloss Schwansbell) im Schutze des mäandernden Gewässers, erste Wassermühlen entstanden an seinen Ufern, exotische Waren gelangten per Schiff zu den Menschen. Doch nicht nur Gutes wurde von den Wellen angeschwemmt …

Eroberungen, Überschwemmungen und Verschmutzungen

Bereits vor rund 2.000 Jahren drangen die Römer über die Wasserstraße ins Landesinnere vor. Und auch die unbändige Natur selbst konnte bisweilen zur ernsten Bedrohung werden: Bei Regenwetter trat der Strom regelmäßig über die Ufer und überflutete große Teile der Landschaft. Seit der militärstrategischen Verlegung Lünens von der rechten, nördlichen zur linken, südlichen Seite in den Jahren 1336 bis 1340 durch den Graf Adolf von der Mark war die Stadt direkt betroffen. Immer wieder kam es zu heftigen Überschwemmungen, welche 1842 durch einen Chronisten beschrieben wurden: Demnach reichte das Wasser damals bis an die Jochbalken der Lippebrücke, und auf den Weiden und in den Gärten ragten oft nur noch die Wipfel der Bäume aus dem Wasser hervor. Im 19. Jahrhundert sorgte die starke Verschmutzung des einst sauberen und fischreichen Gewässers durch die Einleitung von kommunalen und industriellen Abwässern für eine gesundheitliche Gefährdung.

Schleusen machen den Weg frei

Aus wirtschaftlicher Sicht kam es im 19. Jahrhundert allerdings zu einem Aufschwung. Drei lokale Größen hatten sich darum verdient gemacht: Wilhelm v. Born, Mitbegründer der Eisenhütte ›Westphalia‹, und Brunnenwirt Friedrich Gockel zu Lippolt­hausen hatten unterhalb der Brücke zu Lünen einen kleinen Hafen angelegt und unterhielten bald 19 Transportschiffe. Zusammen mit dem Kaufmann Franz Schulz organisierten sie insbesondere die Salzbeförderung. So richtig geschmeidig liefen die Geschäfte zunächst aber nur bei hohem Wasserstand. Bei Niedrigwasser mussten die Schiffer ihre Kähne an jedem Stauwehr entladen und das Frachtgut unterhalb der Wehranlage in andere Fahrzeuge befördern. Der Zustand verbesserte sich, als der preußische König die Regierungskasse 1819 zur Auszahlung einer Summe von 217.879 Reichstalern zur Einrichtung notwendiger Schleusenwerke anwies. So konnten im Sommer 1823 die Lippeschleusen bei Haus Horst in Alstedde und bei Haus Dahl nahe Bork mit einem Festtag eingeweiht werden. 1824 und 1826 folgten die Schleusen bei Werne und Olfen. Bis 1830 waren sämtliche zwölf Schleusen bis Lippstadt betriebsfertig.

Erster Raddampfer brauchte Monate

Anfangs schleppten Pferde die Lastkähne über Treidelpfade an den Ufern der Lippe zu ihrem Bestimmungsort. Später – und zwar lange bevor die erste Lokomotive durch Lünen qualmte – wurden an Stelle der Tiere kleine Raddampfer eingesetzt: Im August 1853 startete der erste, über 15 Pferdestärken verfügende Schlepper von Wesel aus zu seiner Jungfernfahrt. Über die Lippe sollte es stromaufwärts nach Hamm und weiter bis nach Lippstadt gehen. Schon in Beckinghausen war aber Endstation. Der dampfende Koloss passte nicht in die Schleuse, welche daraufhin verbreitert und verlängert wurde. Erst am 1. Januar 1854 und nach etlichen Problemen erreichte der Schleppzug sein Ziel. Viele Zeitgenossen sollen im Anschluss angemerkt haben, dass zwei Pferde einen besseren Job geleistet hätten.

Blütezeit: Kohle, Salz und Lippesand

Mitte des 19. Jahrhunderts erlebte der Handel auf dem Fluss seine Blütezeit. In Lünen wurden die ankommenden oder abgehenden Güter auf Packhöfen beiderseits der Lippe gelagert. Auf der Südseite, in der Straße ›Im Hagen‹, befand sich der Wortmannsche Packhof. Der Schulze-Packhof hatte seinen Sitz am gegenüberliegenden Nordufer. Etliche Männer fanden hier ihr Auskommen. Umgeschlagen wurde zum Beispiel Steinkohle aus Dortmund und Hörde, Eisenerz für die Lüner Hütten ›Westphalia‹ und ›Luisenhütte‹ oder Salz aus den Salinen in Unna. 1850 sollen 108 Kähne den Fluss bei Lünen passiert haben. Ein weiteres wichtiges Gut war bis 1870 der Lippesand, der mit Säcken gefördert, auf flachen Kähnen (im Volksmund ›Aaken‹ = Archen) abtransportiert und mit Pferdekarren zu den Lagerplätzen ›Im Hagen‹ und bei der Ziegelei Robbert an der Merschstraße geschleppt wurde.

Eisenbahn verdrängt Lippeschifffahrt

Nach 1870 verlor die Lippeschifffahrt rasch an Bedeutung. ›Hauptschuldige‹ war die Eisenbahn, mit deren Hilfe sich Güter schneller, bequemer und billiger transportieren ließen. Hochwasser, Versandungen und Stromveränderungen des launischen Flusses trugen zum wirtschaftlichen Untergang der Lippe bei. Bereits 1876 übernahm Gottfried Quittmann das Lüner Hafengelände und richtete dort eine Blechwarenfabrik ein. Die alten Schleusenanlagen mit den Holztoren und kunstvoll gemauerten Schleusenkammern und Wärterhäusern gerieten in Vergessenheit oder wurden zugeschüttet beziehungsweise abgebrochen.

Unterwegs mit ›Tante Martha‹

Doch es gab auch viele schöne, äußerst liebenswerte Momente auf dem Wasser. So wussten ja schon unsere Vorfahren, dass eine Seefahrt lustig ist. Bereits im 19. Jahrhundert wurden die ›Aaken‹ samstags nach Feierabend gesäubert und mit Birkengrün, Girlanden und Fahnen geschmückt. Derart herausgeputzt ging es sonntagnachmittags mit Passagieren nach Beckinghausen, Lippolthausen oder Bork und abends mit einem Fässchen Bier, Blasmusik und bengalischer Beleuchtung wieder zurück. 1926 durfte das bunte Treiben nochmals aufleben: Dafür sorgten zwei motorbetriebene Ausflugsschiffe namens ›Tante Martha‹ und ›Lünen‹, die ›Im Hagen‹ gegenüber der Metallwarenfabrik Quittmann vor Anker lagen. Eigner war der Drogist Krüger, dessen Ehefrau Martha hieß. »Sie war als freundliche Frau allseits beliebt, besonders bei uns Kindern«, erzählt der Lüner Helmut Funk in seinen Erinnerungen, die dem Stadtarchiv vorliegen. »Bei jedem Einkauf fiel für uns ein Bonbon – oder wie wir sagten – ein ›Klümpchen‹ ab.«

»Man fuhr an schönen Sommertagen mit Kind und Kegel nach Lippolthausen«

Für zehn Jahre wurde ein regelrechter Pendelverkehr zwischen Lünen-Mitte und Schloss Buddenburg eingerichtet. An Sonntagen legten die Boote im halbstündigen Takt ab, bei sonnigem Wetter auch mittwochnachmittags. »Man fuhr an schönen Sommertagen mit Kind und Kegel nach Lippolthausen«, berichtet Helmut Funk. Vorbei ging es an prächtigen Gartenanlagen mit leuchtenden Blumen und grünen Weiden bis zur Gastwirtschaft ›Zum Lüner Brunnen‹, wo die Erwachsenen Kaffee und die Kinder Milch oder Limonade (meist Wasser mit Himbeersirup) bestellten. Zu essen gab es Brot mit Butter oder Sandkuchen. »Nach dem Kaffeetrinken durften wir spielen. Jede Gaststätte hatte für Kinder Spielgeräte verschiedener Art: mehrere Schaukelkarren, Rundläufe, kleine Karussells. Es war ein herrliches Toben. Nur bekam das oft unseren schönen Sonntagsanzügen nicht.«

Ein neuer Anfang

Ende 1936 wurde die Schifffahrt auf der Lippe wegen der Eindeichung des Flusses komplett eingestellt. Bisher hatte kein wirksamer Hochwasserschutz existiert. Die vorhandenen Dämme hatten die Stadt lediglich vor leichteren Überschwemmungen bewahrt. Die Interessen der Schifffahrt beschränkten sich auf die Schaffung einer bei Niedrigwasser ausreichend tiefen Fahrrinne, was vielfach durch eine Verengung des Flussbettes erreicht wurde, sich aber nachteilig für den Wasserabfluss auswirkte. Erst 1935/1936 entwickelte der Lippeverband entsprechende Gegenmaßnahmen: Am Südufer entstand eine Betonmauer, die Ausflugsschiffe ›Tante Martha‹ und ›Lünen‹ mussten an den Sorpesee umziehen – das Ende einer Ära. Die Bemühungen im Hinblick auf die Umgestaltung des Flusses zum ökologisch wertvollen und touristisch attraktiven Lebensraum haben den neuen Anfang aber bereits eingeleitet.

Quellen: Stadtarchiv Lünen

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