Sommerferien – Urlaubszeit
Jule Springwald erzählt
Ich arbeite als Betreuerin im Offenen Ganztag. Jetzt, so kurz vor den großen Ferien, sind die meisten Kinder ganz aufgeregt, weil die Urlaubsreise vor der Tür steht. Und die Ziele, aber auch die Anreise dorthin, haben sich im Vergleich zu meiner Schulzeit doch sehr verändert.
War es damals durchaus nicht üblich, überhaupt in den Ferien eine längere Reise, gar ins Ausland, zu unternehmen, so hört man heute oft von Flugreisen in die Türkei, nach Ägypten und Marokko, natürlich auch nach Mallorca oder Frankreich. Und die Mengen Gepäck, die man heute mitnehmen muss … – unglaublich. Dafür kann man sich fast überall auf der Welt in seiner Muttersprache verständigen und sogar die heimatlichen Speisen an fremden Gefilden ohne großen Aufwand genießen. Insofern ist es eigentlich nur ein Ortswechsel, und mit etwas Glück trifft man die Nachbarn in der Urlaubsunterkunft.
In meiner Schulzeit war das noch etwas anders. In der Schule wurde nicht gefragt, wohin man in den Ferien fuhr, sondern ob man überhaupt die Ferien anderswo verbrachte. Die Frage nach dem Ziel wurde dann oft mit ›Großeltern‹ oder ›Onkel/Tante‹ beantwortet. Meistens urlaubte man an der See oder in den Bergen im Inland, manche fuhren zum Camping, in Jugendherbergen oder in kleine Pensionen, teilweise auch in einem Nachbarland. Es gab auch Feriensommercamps für Kinder und Jugendliche in unterschiedlichen Altersgruppen. Viele Kinder blieben aber einfach zu Hause und verbrachten nach Möglichkeit jeden Tag in einem der Freibäder oder bei Freunden, die auch zu Hause geblieben waren. Es gab immer genug zu erleben.
Meine Eltern mieteten gerne ein Ferienhaus oder eine Ferienwohnung in einem Umkreis, der gut und schnell mit dem Auto zu erreichen war, da eine lange Fahrt mit fünf Kindern in einem vergleichsweise kleinen Auto schon eine Herausforderung war. Wenn die Entfernung größer war, machten wir eine Übernachtungspause. So waren wir ein paar Mal in Liechtenstein auf einer kleinen Zwischenalm namens Steg, ein Stück über der Burg Vaduz gelegen; Zwischenstopp war Arnegg bei Ulm bei Papas Cousine.
Einmal hatte ein Geschäftspartner von Papa so von seinem Heimatland Norwegen geschwärmt, dass dies tatsächlich unser Urlaubsziel in dem Jahr war. 10 Tage in einem Ferienhaus am Oslofjord, 10 Tage in einer Waldhütte in der Hardangervidda. Wochenlang wurde die Route geplant und im Autoatlas eingetragen, Navi gab es ja noch nicht. Gleichzeitig wurde das Gepäck vorbereitet, damit die große Familie für alle Eventualitäten ausgestattet war. Bei der Menge Ladung und der weiten Entfernung reichte der Familien-Pkw nicht mehr, sodass ein Bulli aus Opas Firma zum Reisemobil umfunktioniert wurde. Die mittlere Sitzbank wurde umgedreht und ein Campingtisch zwischen den Rückbänken aufgebaut, so konnten wir während der Fahrt essen und spielen. Am Fenster blieb ein Stück neben der Zweisitzerbank frei und in diese Lücke wurden Schlafsäcke, Decken und Kissen gelegt, damit ab und zu einer von uns dort ein Schläfchen halten konnte, ohne gleich mehrere Sitzplätze dafür zu beanspruchen. Alle Schuhe fanden unter der hinteren Bank hinter der Verkleidung Platz, und am Abend vor der Fahrt packte mein Papa alles so genau ein, dass kein Blatt Papier mehr dazwischen gepasst hätte. Ich glaube, wenn es damals schon Tetris gegeben hätte, wäre er Weltmeister darin geworden.
Auf dem Campingtisch stand ein Schuhkarton mit Mundorgeln, Blättern und Buntstiften, außerdem lagen dort ein paar Bücher, auf der vorderen Bank lagen zwischen Fahrer und Beifahrer der Autoatlas und eine Kühlbox mit Getränken, im Fußraum fand am nächsten Morgen ein Korb mit Butterbroten und geschnittenem Obst Platz. Nachmittags waren wir noch bei den Großeltern. Oma hatte, wie für jeden Urlaub, einen Kuchen in der großen Stutenform gebacken und Opa hatte für jeden von uns ein bisschen Urlaubsgeld in eine Lohntüte gelegt, die er uns feierlich übergab. Auf dem Nachhauseweg wurde noch der Wagen reisefertig gemacht, getankt, Öl und Wasser nachgesehen und der Reifendruck bei Vollbelastung geprüft. Zu Hause angekommen, hieß es nun für uns Kinder »Ab ins Bett!« wobei wir natürlich vor lauter Aufregung erst spät einschliefen. Meine Mama schmierte Stullen für die Fahrt, für jeden das, was er gerne aß, und schnippelte Obst. Um drei Uhr früh wurden wir geweckt, es roch nach frischem Kaffee. Im Elternschlafzimmer lagen auf dem Bett fünf Stapel mit Kleidung. Jeder zog sich schnell an, dann noch Zähne putzen, Katzenwäsche und noch einmal zur Toilette. Papa kontrollierte noch ein letztes Mal, ob alle Papiere in Ordnung waren, und dann ging es los.
Auf der Autobahn war es um diese Zeit noch leer, und die Sonne war auch noch nicht aufgegangen, sodass wir wohl den ersten Teil der Reise verschliefen. Zum Frühstück wurden wir dann aber wieder wach und verputzten unsere Schnitten auf dem Rastplatz mit großem Appetit. Dann ging die Fahrt weiter und wir hielten Ausschau nach Castroper Nummernschildern. Im Autoatlas fanden wir eine Liste mit allen Ortskennzeichen, so dass wir bald wussten, woher denn die Menschen alle in den Urlaub fuhren. Bald waren wir am Elbtunnel und zwei Stunden später in St. Peter-Ording, wo wir bei Bekannten einen Zwischenstopp einlegten. Wir Kinder liefen mit den befreundeten Kindern an den Strand und später noch durch den Ort, wo wir auch Uwe Seeler trafen, der den Rasen an seinem Haus wässerte und deshalb keine Zeit hatte, uns ein Autogramm zu geben. Unsere Eltern hatten sich während der Reise beim Fahren abgewechselt, aber sie waren wohl ziemlich erschöpft und verbrachten den Nachmittag im Liegestuhl. Am nächsten Morgen ging es weiter durch Dänemark bis nach Kristiansand, von wo aus wir mit der Fähre nach Oslo fuhren. Mittlerweile waren auch wir Kinder ein bisschen erschöpft vom langen Sitzen im Auto. An Bord mussten wir sowieso aussteigen. Wir bestaunten den Spielmannszug, der von einer jungen Frau angeführt wurde, die gekonnt den Tambourstab schwang und jonglierte. Trotzdem waren wir froh, als die Fähre in Oslo ankam und wir von Bord fahren konnten. Dank der guten Vorbereitung fanden wir schnell die Jugendherberge, in der wir die Nacht verbringen wollten, und gingen dann zum Strandbad.
Am nächsten Morgen holte uns Papas Bekannter mit seiner Familie ab, um uns das Ferienhaus zu zeigen. Es lag hoch über dem Fjord in einem Wald. Der Trinkwasserbrunnen war gerade außer Betrieb, weshalb man das Trinkwasser aus einem Laden am Hafen holen musste. Einmal besuchten wir das Wikingermuseum und das Kontikimuseum mit den Schiffen von Thor Heyerdahl, an einem anderen Tag fuhren wir zur Holmenkollenschanze. Nach zehn Tagen ging es weiter Richtung Hardangervidda. Dort wohnten wir in einer Blockhütte mitten im Nirgendwo im Wald in der Nähe der Schotterpiste Richtung Nordwendekreis. An der Straße stand meistens ein Verkaufswagen mit dem nötigsten für Fernfahrer, eine Viertelstunde entfernt gab es ein Dorf, wo man Lebensmittel kaufen konnte. Trinkwasser holten wir an einer Quelle. Wenn man ein Stück bergauf wanderte, kam man zu Bergseen, in denen man angeln konnte. Unsere Tagesausflüge führten zum Tinnsjö, zu Werdens Ende (Ende der Welt) und zu einer Stabkirche.
Nach wunderschönen Ferien ging es wieder nach Hause. Von der Rückfahrt habe ich nichts in Erinnerung, nur dass die Straßen plötzlich wieder voll waren und dass es ringsherum wieder laut wurde. Insgesamt habe ich festgestellt, dass der Urlaub doch wirklich sehr schön gewesen ist, weil mir diese ganzen Erlebnisse auch nach über 50 Jahren noch im Gedächtnis geblieben sind.
