Stadtmagazin Castrop-Rauxel: In der Stadt

Menschen an der Emscher

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»Es war eine Zeit des Wandels – und wir wollten den Wandel mitgestalten«

Ein blauer Himmel wölbt sich über dem ›Emscherland‹ in Henrichenburg. Hier und da zeigen sich die ersten bunten Blüten. Wildgänse schnattern. RadlerInnen überqueren die Brücke, den sogenannten ›Sprung über die Emscher‹, um den Landschaftspark mit seinen Gemüsegärten, Kräuterbeeten und Streuobstwiesen zu besichtigen oder am neuen Imbiss eine Pause einzulegen.

»Wo sonst gibt es so etwas mitten im Kohlenpott?«

»Es ist einfach einmalig, was hier aufgebaut wurde«, schwärmen Klaus-Dieter Tesch und Paul Brogt, die ebenfalls mit dem Fahrrad ›angereist‹ sind. »Sie müssen sich nur einmal umschauen! Wir haben hier ein riesiges Naherholungsgebiet mit hohem Freizeitwert direkt vor der Haustür. Wo sonst gibt es so etwas mitten im Kohlenpott?« Die beiden sind Nachbarn, Flussanrainer seit ihrer Kindheit und Kollegen im Verein ›Menschen an der Emscher e. V.‹. Das Bündnis setzt sich seit seiner Gründung Mitte der 1980er-Jahre für die Aufwertung der Region ein und hat den Emscherumbau von der Pike auf begleitet.

›Die Emscher stinkt uns alle an‹

Klaus-Dieter Tesch, stellvertretender Vorstandsvorsitzender, berichtet aus den Annalen der Vereinsgeschichte: »In den Achtzigern kursierte der Spruch: ›Die Emscher stinkt uns alle an‹, der bei uns zu Hause in Ickern sogar quer über eine Garagenwand geschrieben stand. Keiner wusste, wer ihn erfunden hatte, aber er sprach den Menschen aus dem Herzen: Die Emscher war damals ein Sammelbecken für jede Art von Schmutzwasser: Abwässer aus den Haushalten, verseuchtes Wasser aus der Kohle- und Stahlindustrie, organische Substanzen aus den Brauereien. Sie hatte den Ruf, ein ›schwarzer Fluss auf immer‹ zu sein.«

»An herrlichen Sommertagen konnte man sich nicht im Garten aufhalten«

Dann kam vermeintlich die Wende: Die Schachtanlagen der umliegenden Bergwerke machten nach und nach dicht. Mit ›Minister Stein‹ in Dortmund schloss 1987 die letzte Zeche im Ruhrgebiet. Doch wer auf bessere Zeiten hoffte, irrte gewaltig. Zwar verlor der Fluss seine schwarze Färbung. Doch die Geruchsbelastung verschlimmerte sich. »Der Kohlestaub, der das Wasser geschwärzt hatte, hatte zugleich den Gestank neutralisiert«, erklärt Klaus-Dieter Tesch. Ohne die geruchsbindenden Eigenschaften der Aktivkohle stachen die strengen Noten aus den Industrieabwässern umso deutlicher hervor. »An herrlichen Sommertagen konnte man sich nicht im Garten aufhalten«, erinnert sich Paul Brogt. »Geburtstagsfeiern wurden bei strahlendem Sonnenschein in die Häuser verlegt. Es waren unhaltbare Zustände.«

Vernetzung, Gespräche, Exkursionen

In diesem Klima bildete sich der Verein als Interessensgemeinschaft. »Die Leute begannen, zu hinterfragen: Wo wohne ich überhaupt? Wie kann es sein, dass eine westliche Industrienation Entsorgung im Stil von Neandertalern betreibt? Und was kann ich tun, um die Situation zu verbessern?«, so Klaus-Dieter Tesch. »Es war eine Zeit des Wandels, und wir wollten den Wandel mitgestalten – als Anwohner und Betroffene, ohne Fachkompetenz, aber mit dem Willen, etwas zu bewegen.« Ziel war es, sich städteübergreifend zu vernetzen, mit anderen Menschen an der Emscher ins Gespräch zu kommen und auf das Thema aufmerksam zu machen, – mit Exkursionen, Radtouren und Führungen. Auch pflegte man den Kontakt zu Verwaltung, Politik und Emschergenossenschaft. Überregionale Bekanntheit erlangte der Verein in der ARTE-Serie ›Wasser ist Zukunft‹ – hier wurde die Emscher in einer Reihe mit Flüssen wie dem Jordan oder dem Colorado River vorgestellt.

»Plötzlich konnte man sich am Wochenende auf die Brücke stellen und einen fast klaren Fluss betrachten«

Währenddessen war der Umbau in vollem Gange. Bereits 1994 hatte die Emschergenossenschaft die erste von insgesamt fünf Kläranlagen in Betrieb genommen. »Ein Silberstreif am Horizont«, erzählt Klaus-Dieter Tesch. »Plötzlich konnte man sich am Wochenende auf die Brücke stellen und einen fast klaren Fluss betrachten.« Im Zuge der ›IBA Emscher Park‹ entstanden auf den Brachen entlang des Flusses und seiner Seitenarme Oasen der Begegnung, Industriekulturorte und Gewerbeparks. »Ein Beispiel dafür ist der Erinpark rund um den Landwehrbach«, so Paul Brogt. Zudem trieb die Emschergenossenschaft eine ›ökologische Transformation‹ voran. Seit 2021 gilt die Emscher als abwasserfrei. Die naturnahe Umgestaltung ist zum Großteil abgeschlossen.

Wo der Kormoran die Emschergroppe jagt

Anstelle des künstlichen Betonbeckens erstrecken sich idyllische Auenlandschaften, die einen Lebensraum für Tiere und Pflanzen bieten und zu Ausflügen und Naturbeobachtungen einladen. Die Artenvielfalt soll sich im Zuge des Umbaus verdoppelt haben: Im Fluss tummeln sich Fische wie Groppen, Stichlinge und Flussbarsche. Eisvögel, Störche und Gebirgsstelzen fühlen sich an den Ufern heimisch. Zugvögel rasten auf den kleinen, sandigen Inseln. Darüber freut sich Paul Brogt als ›Naturfreak‹ ganz besonders: »In der Vogelzugzeit im Frühjahr und Herbst kann man zahlreiche Vogelarten sichten – das wissen wir auch von unseren Freunden vom NABU Dortmund, die Mitglieder in unserem Verein sind.« Von den Vögeln lasse sich wiederum auf ein reiches Fischvorkommen schließen. »Wo der Kormoran jagt, sind Emschergroppen nicht weit.«

Rädchen im Getriebe eines hochtechnisierten Abwassersystems

Neben den Wundern der Natur gibt es aber auch Wunder der modernen Technik zu entdecken, wie Klaus-Dieter Tesch betont. Er interessiert sich für die fachlichen Hintergründe der jahrelangen Baumaßnahmen: Warum werden im Emscherland gigantische Rohr-Teile ausgestellt? Wieso dringt aus den Schlitzen rätselhafter Aufbauten ein leises Rauschen? Und was verbirgt sich im Inneren der kleinen Wartungshäuschen? Der zweite Vorsitzende klärt auf: »Unter unseren Füßen befindet sich ein Rückstaubecken, das Regenwasser aufnimmt und dieses im Notfall, bei einem heftigen Starkregenereignis, an die Emscher abgeben würde.« Das unterirdische Bauwerk ist ein Rädchen im Getriebe eines hochtechnisierten Abwassersystems, das von der Quelle der Emscher in Holzwickede bis zur Mündung bei Dinslaken in den Rhein reicht und über zwei Millionen Menschen zugutekommt. »Unvergleichlich in Europa!«

»Wir wollen kommende Generationen motivieren«

Was bedeuten diese Erfolge für das Fortbestehen des Vereins? »Es gibt immer neue Aufgaben, denn auch die äußeren Bedingungen wandeln sich ständig«, sagt Klaus-Dieter Tesch. »Beispielsweise nehmen Starkregenereignisse durch den Klimawandel weiter zu.« Ein wichtiger Job für die nahe Zukunft sei daher die Entflechtung von Regenwasser und Schmutzwasser. »Darauf werden wir ein Auge haben.« Und auch in Sachen Renaturierung könnte sich noch etwas tun. »Manche Bereiche sind durch ihre Einbettung in den urbanen Raum nicht mehr zu retten. Sie können aber optisch aufgewertet werden.« Sein Freund und Nachbar Paul Brogt sieht die Vernetzung als künftige Hauptaufgabe des Vereins. »Solange es Menschen an der Emscher gibt, wird der Verein weiterleben. Wir wollen kommende Generationen motivieren, sich mit uns zu engagieren – zum Beispiel bei der ›IGA 2027‹, wenn das Emscherland zum Zukunftsgarten wird.«

Emscher- und Kanaltouren 2025

In Kooperation mit Mein Ickern e. V.
Teilnahme kostenfrei / ohne Anmeldung
Treffpunkt: AGORA Kulturzentrum

›Zum Dortmunder U‹
21.06., 13 Uhr · 40 km

›Zur TU Dortmund‹
11.07., 11 Uhr · 40 km

›Zum Ternscher See‹
09.08., 11 Uhr · 45 km

›Zum Colani-Ei in Lünen‹
07.09., 11 Uhr · 30 km

Weitere Infos:
www.menschenanderemscher.org

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