Was für ein schöner Tag …
Jule Springwald erzählt
… dachte Anton, als er an diesem Spätsommernachmittag aus dem Haus auf den Bürgersteig trat und sich fröhlich pfeifend auf den Weg machte. Gutgelaunt grüßte er die Nachbarn und auch alle Fremden, die ihm entgegenkamen, denn heute hatte er etwas ganz Besonderes vor. Er wollte in den Stadtpark an seinen Lieblingsplatz am Gondelteich, wo er sich mit Freunden zu einem Ereignis treffen wollte, das sie seit langem geplant hatten: die Parade der Modellschiffe.
In den vergangenen zwei Jahren hatten sie alles darangesetzt, dieses Schaulaufen ihrer Hobbykunstwerke wieder zu erleben. Vor vielen Jahren hatten sie eigens einen Schuppen dafür angemietet und einen Verein gegründet, und viele Menschen hatten sich auf und über die jährlich stattfindende Schiffsparade gefreut. Aber nach und nach waren es immer weniger Modellbauer geworden, das Ganze wurde von Fremden zumindest milde belächelt oder sogar als verschroben und nicht mehr zeitgemäß verspottet, und Arbeit und Familie ließen einem ja keine Zeit mehr für solche aufwändigen Hobbys.
Vor ungefähr drei Jahren traf Anton dann zufällig Ernst und Heike, die früher beide eifrig dabei gewesen und mittlerweile miteinander verheiratet waren. Bei einer Tasse Kaffee schwelgten sie in Erinnerungen und wurden ganz rührselig ob der guten alten Modellbauzeit. Als sie sich voneinander verabschiedeten, versprachen sie sich, ganz ungezwungen mal bei den anderen Mitstreitern von früher nachzufragen, ob es Interesse an einem Treffen gäbe. Erfreulicherweise war das Interesse so groß, dass innerhalb von zwei Monaten fast alle sozusagen mit an Bord waren. Sie versammelten sich am Gondelteich und packten alte Anekdoten aus, jeder hatte so seine Erinnerungen, und am Ende des Treffens stand der Plan, in Antons großem Partykeller eine Art Museum für Modellschiffe zu bauen.
Zuerst musste natürlich entrümpelt und Platz gemacht werden. Einer hatte noch einen alten Wohnzimmerschrank mit Glastüren und Beleuchtung, eine andere einen riesigen Esstisch und wieder einer eine Regalwand. Und immer noch war das eine oder andere Plätzchen für einen Schrank frei. »Gut, dass wir damals immer so große Feten gefeiert haben!«, schmunzelte Anton, als er mit Ernst einen Schrank aus dem Zimmer seiner Enkelin in den Keller schleppte. Anton und seine Frau wohnten im Erdgeschoss des Hauses und der Sohn mit Familie in den anderen Etagen. Wenn alle anderen unterwegs waren, ging er in den Keller und sortierte und räumte um, dann baute er aus dem alten Esstisch einen großen Arbeitstisch. Werkzeug und viel Material waren mittlerweile auch schon in Schränken und Schubladen verteilt, und Heike hatte für Farben und Pinsel gesorgt. Zuletzt waren die noch vorhandenen Modellschiffe eingezogen, an denen mehr oder weniger Zähne der Zeit genagt hatten. Der Gorch Fock war die Takelage abhandengekommen, bei der Santa Maria waren Motten in die Segel eingefallen, und die Olympic kam ohne Schornsteine daher. Die Kontiki war ganz auseinandergefallen und eine Hansekogge offenbar von Legopiraten überfallen worden. Kurz und gut, es war richtig viel zu tun!
Alle waren mit Feuereifer dabei, ihre Schätze wieder im hellsten Glanz erstrahlen zu lassen. Aber irgendwie war das Ganze noch spannender als früher, weil sie es heimlich machten, um sich nicht wieder dem Gespött der Modell-Landratten auszusetzen. Dachten sie … – aber dazu kommen wir später.
Nach und nach waren alle Schiffe wieder gondelteichtüchtig, und nun stellte sich die Frage, ob man es wagen konnte, eine Parade im Stadtpark zu starten. Nach langen Diskussionen, die sich eigentlich nur noch um den Zeitpunkt drehten, beschloss man, bei den zuständigen Stellen nachzufragen, ob das überhaupt erlaubt würde. Es mussten ja alle Interessen unter einen Hut gebracht werden. Der Anglerverein wollte partout nicht, dass die Laichzeit der Fische und die Brutzeit der Wasservögel gestört würden, das Jugendamt hatte einige Sommeraktionen für daheimgebliebene Schulkinder in den Sommerferien im Park geplant, das Ordnungsamt und das Grünflächenamt hatten auch noch ein paar Wörtchen mitzureden, aber zu guter Letzt wurde dieser Termin heute gefunden, und alles schien auf einen ruhigen Modellbaunachmittag am Gondelteich hinzudeuten, wo dann sicher auch genug Modellseemannsgarn gesponnen werden würde.
Anton wunderte sich, als er Kinderstimmung – Lachen, Jubeln und sogar viele junge Stimmen – vom Gondelteich her hörte. Als er um die letzte Hecke bog, glaubte er seinen Augen nicht zu trauen. Viele Menschen waren dort versammelt – alte, junge, Paare und Familien mit Kindern –, und nach und nach erkannte er auch einige von ihnen. An der Anlegestelle stand der kleine Anhänger mit den Modellschiffen und ein Reporter mit Mikrofon, in das er jetzt sprach. Aus mehreren Lautsprechern tönte es: »Und hier kommt Anton, der Initiator dieser tollen Veranstaltung!« Einigermaßen verblüfft ging Anton hinüber zu seinen Mitstreitern und fragte, was das zu bedeuten habe. Als er sich umsah, entdeckte er seine Enkelin (die mit dem Schrank). Erstaunt fragte er: »Was machst du denn hier?« „Ja, Opa, du hast wohl gedacht, ich krieg nicht mit, was so zu Hause abgeht«, antwortete sie. »Meinst du, du kannst heimlich im Keller rumwurschteln? Ich wollte meinen Schrank aufräumen, weil da noch etwas von mir drin war, bevor du ihn in den Keller gebracht hast. Aber du warst so schnell, dass ich tatsächlich in den Keller laufen musste. Und da hab’ ich dann euren Clubraum gefunden. Und ich fand die Schiffe, die da auf dem Tisch zur Reparatur standen, so toll, dass ich mindestens einmal in der Woche unten war und nachgesehen habe, wie weit ihr seid. Ja und irgendwann lag da diese Mappe auf dem Tisch mit den ganzen Unterlagen zu der Schiffsparade. Da hab’ ich allen meinen Freunden und natürlich auch Mama und Papa Bescheid gesagt und auch die Zeitung angerufen, und bevor du jetzt schimpfst … Da ist auch ein Kamerateam von unserer Schule dabei von der Video-AG. Ach, und da vorne ist übrigens auch der Bürgermeister mit Familie, sein Sohn ist in meiner Klasse.« »Das ist ja wohl nicht mehr zu ändern«, seufzte Anton. Insgeheim freute er sich sehr über das große Interesse, und wenn es nur für diesen einen Tag wäre.
Die Modellschiffsparade begann. Der Mann von der Zeitung und die Video-AG hatten sich gut vorbereitet und wussten einiges über die Vorbilder der Schiffsmodelle zu berichten. Jedes Boot wurde mit viel Applaus begleitet, und am Ende waren die Besitzer sehr stolz, dass ihre Arbeit so geschätzt wurde. Als Anton später fröhlich pfeifend nach Hause ging, dachte er: »Was für ein schöner Tag!«
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