Der Wohnzimmertisch oder überraschender Familienzuwachs
Jule Springwald erzählt
Erinnern Sie sich noch an meinen ›Puzzle-Schreibtisch‹? O ja, wer mich kennt, weiß, dass ich gerne experimentiere, immer Lust auf Neues habe und keinen Aufwand scheue, wenn sich mir eine Idee in den Kopf gesetzt hat. Dass dadurch meine diversen, auch temporären Mitbewohner das eine oder andere Päckchen zu tragen haben, ist ein Begleitumstand, der mir bewusst ist und bei den Beteiligten unterschiedliche Kommentare hervorbringt, von »ja, gerne helf’ ich« über »wenn es denn sein muss« bis »ohne mich!«.
Ich muss auch vorwegschicken, dass ich – leider – aus den bisherigen Eintagsaufgaben hin und wieder (»Haahaa!«, rufen die Mitbewohner) Drei-Wochen-(Monats?)-Projekte machen muss, manchmal – siehe Küchenumbau – wegen andauernd neuer Komplikationen, in anderen Fällen wegen nicht mehr vorhandener persönlicher Energie. Allein der Zeitfaktor lässt meine Umgebung zeitweise verzweifeln. Mein jüngstes, gerade abgeschlossenes Projekt, ein Recycling-Wohnzimmertisch, ist ein Paradebeispiel dafür.
Fast alle Materialien waren bereits vorhanden, lagen und standen mehr oder weniger im Weg, als in meinem Kopf die Idee keimte: lange Palettenbretter, Holzabfall vom neuen Dachstuhl am Haus meines Bruders (unbehandeltes Bauholz, das er mir als Brennholz für meinen Kamin überlassen hatte) und eine im letzten Moment vor dem Sperrmüll gerettete Tischplatte. Die Urgewalten des Keimlings in meinem Kopf ließen mich nicht mehr zur Ruhe kommen und nahmen mir fast den Atem, die Gedanken ratterten nur so, bis ich endlich eine Zeichnung angefertigt und meinen Mitbewohnern vorgelegt hatte.
Zu meiner Enttäuschung waren die Reaktionen eher verhalten, um nicht zu sagen komplett ablehnend. Einzig die Vorstellung, dass der Neue etwas kleiner sein würde als der Alte, wurde positiv bewertet. Starrsinnig, wie ich altersentsprechend nun mal bin, sagte ich: »Das kann ich ganz alleine bauen!«
Aber die Tage vergingen im Flug (und Regen), und außer der Zeichnung tat sich nichts. Endlich meinte Youri, einer meiner Söhne, dass auf der Terrasse nicht genug Platz sei, wenn man dort arbeiten wolle. Also nahmen wir uns die Zeit und fingen an, aus der Terrasse eine Halbaußenwerkstatt zu machen. Ein paar kleinere Sachen standen noch im Weg, als Youri plötzlich fragte: »Sollen wir dann nicht auch eben den Wohnzimmertisch bauen? Das kann ja nicht so lange dauern, es ist ja alles da und die Terrasse ist überdacht, Regen stört uns nicht.« Hihi! Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm!
Mir fiel gerade kein Hinderungsgrund ein, also erklärte ich ihm noch mal kurz meine Vorstellung, denn die Zeichnung hatte ich im ersten Ärger über die Ablehnung weggeworfen. Ein Rahmen mit vier dicken Beinen sollte es werden, in den dann die Tischplatte lose eingelegt werden sollte. Die Rahmenhöhe über der Tischplatte sollte so sein, dass weder Spielfiguren noch Buntstifte oder Puzzleteile sich unerlaubt entfernen können.
Als Youri dann einen Korb, der noch im Weg stand, an die Seite schieben wollte, schoss etwas daraus hervor und flog ihm fast ins Gesicht. Erschrocken deckte er ein darauf liegendes Brett auf und fand – na? Ein Vogelnest mit fünf Eiern! Schnell stellte er den Korb auf die Terrassenmauer, aber dann erschien ihm das doch nicht so richtig, weil die Vogelmutter das Nest eventuell dort nicht wiederfinden würde. Glücklicherweise hatten wir auf unserer Terrasse eine Arbeitsplatte angebracht, die man bei Bedarf aufklappen kann. Genau das machten wir dann auch, und der Korb wurde vorsichtig darunter abgestellt. Ein paar Minuten später sahen wir, dass ein Rotkehlchen hineinschlüpfte.
Die Brut war nun gerettet, aber alles, was bei unserer Arbeit laut war – Sägen, Bohren, Schrauben und Schleifen – erledigten wir nun auf der Wiese, sobald das Wetter es zuließ, um die Tiere nicht zu stören.
Vor ein paar Tagen ist der Tisch fertig geworden, aus der Eintagsaufgabe ist ein Zweiwochenprojekt geworden. Seit Sonntag nun haben wir ›Familienzuwachs‹: Fünf junge Rotkehlchen sind geschlüpft.
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