Stadtmagazin Castrop-Rauxel: Historisch

Du weißt nie, was du kannst, bevor du es versuchst

Foto(s) zum Vergrößern anklicken

Quellenangabe in den Vergrößerungen

Jule Springwald erzählt

Puzzle-Fans und Freunde des gepflegten Krimis kennen das: Da liegen hunderte, ja tausende Teile eines systematisch zerstörten Bildes oder Dokuments vor einem, und die wollen korrekt zusammengesetzt werden, damit das wiederentstandene Ganze einen Sinn ergibt. Mit Akribie und Spürsinn wird Stückchen um Stückchen begutachtet, gedreht und gewendet und findet schließlich seinen Platz. Für manche Menschen hat das keinen Reiz, aber für den eingefleischten Puzzler gibt es fast nichts schöneres und für den Kriminalisten nicht viel wichtigeres. Für so manchen bedeutet es Abschalten vom ruhelosen Alltag, und das allein ist schon eine gute Sache.

Es kann aber auch zu ungeahnten Auswüchsen kommen. Zu Weihnachten bekam ich (Puzzle-Fan und Freundin des Jungen, der überlebt) ein Puzzle von einem Zauberstammbaum mit 2.000 Teilen und der monumentalen Größe 132 x 61 cm. Ehrlich gesagt hatte ich weder eine Vorstellung davon, wie riesig das werden sollte, noch davon, was sich daraus entwickeln würde.

Am 2. Feiertag ist bei uns zu Hause traditionell der Tag, an dem die Familie zur Ruhe kommt. Die Fress-Orgien der vergangenen Tage sind Geschichte, der große Wohnzimmertisch kann für andere Zwecke genutzt werden. Und so begann ich, das Puzzle aufzubauen. Nachdem ich die Randsteine alle gelegt hatte, erkannte ich die Riesengröße. Gut, dass der Tisch so groß ist, dachte ich, und dass in den nächsten Tagen kein Besuch kommt. Mein Plan war, dass ich das Gesamtwerk bis Neujahr fertigbekomme. Was ich damit anstellen wollte, wenn es fertig wäre, wusste ich noch nicht. Normalerweise ›zerstöre‹ ich die fertigen Puzzles wieder, um sie später nochmal zu lösen.

Der Stammbaum war aber komplizierter zu bauen, als ich erwartet hatte, und an Neujahr waren gerade mal um die 500 Teile verbaut. Was nun? Für den 3. Januar hatte sich wieder die ganze Familie angekündigt, da würde der Wohnzimmertisch wieder seinem eigentlichen Zweck dienen müssen. Glücklicherweise stand im Keller eine alte Tischplatte, die – auf das benötigte Maß zurechtgeschnitten und mit einem kleinen Leistenrand versehen – zur Aufnahme des halbfertigen Bildes dienen konnte. Nun lag also auf dem Wohnzimmertisch nicht nur das einfache Puzzle, sondern auch noch eine 25 mm starke Platte. Für den 3. Januar wurde sie aufs Bett verfrachtet, von wo sie abends entfernt werden musste und wieder im Wohnzimmer landete.

Inzwischen gefiel mir diese Platte mit Puzzle darauf so gut, dass ich mich schon von dem Gedanken verabschiedet hatte, das fertige Kunstwerk nachher zu zerstören. Nur – wohin damit? Meine Wände boten nicht genug Platz für ein Bild dieser Größe.

Da kam mir eine Idee.

Ich suchte schon seit längerem nach einem passenden Schreibtisch für meinen Arbeitsplatz im neu gestalteten Schlafzimmer. Die meisten Schreibtische, die man so findet, sind entweder zu groß oder zu klein für meine Bedürfnisse. Und wenn mal einer annähernd passt, gefällt mir die Farbe oder die Stilrichtung nicht, oder er ist einfach ›0-8-15‹, also nichts Besonderes. Bisher hatte ich für meinen Rechner eine alte Nähmaschine, versenkbar auf einem Holzuntergestell, als Tisch genutzt. Zur Fertigstellung des Stammbaumbildes legte ich die Platte auf das Gestell – et voilá: Das sah tatsächlich wie ein Schreibtisch aus.

Es sollte noch bis Mitte Februar dauern, bis ich endlich das Werk vollendet hatte. Dann bestellte ich eine Plexiglasplatte vom örtlichen Kunststoffhändler, strich die umlaufenden Leisten golden an und umfasste sie mit einer keltischen Zierborte in schwarz-gold, die zusätzlich mit Messingnägeln befestigt wurde. Die Glasplatte wurde mit Messing-Ecken für den besseren Halt versehen.

Das fertige Gesamtwerk kann sich sehen lassen: Mein individuell gestalteter Arbeitsplatz, klein genug für den zur Verfügung stehenden Platz, groß genug für meine Zwecke und genau passend im Stil. Vor allem inspiriert mich der Blick auf ihn, wenn ich mich mal wieder beim Schreiben und Arbeiten ›verzettele‹ und nicht weiß, ob ich es hinbekomme: Doch! Das (!) Puzzle habe ich geschafft, dann schaffe ich auch alles andere!

Facebook Logo  diese Seite auf Facebook teilen0