Stadtmagazin Castrop-Rauxel: In der Stadt

In der Tiefe, im Dunklen

Foto(s) zum Vergrößern anklicken

Quellenangabe in den Vergrößerungen

Vergessene Welten in Castrop-Rauxel · Teil 1

»Ab 18.42 Uhr brach das Verderben über Ickern herein. Mit wahrhaft schrecklichem Getöse sausten die ersten schweren Bomben heran. In den folgenden Minuten wurde der schwergeprüfte Stadtteil erschüttert von pausenlosen, ohrenbetäubenden Detonationen. Das Höllenstakkato steigerte sich zeitweise derart, dass wie bei einem schweren Trommelfeuer in jeder Sekunde zahlreiche Explosionen erfolgten. Denjenigen, die sich in den Luftschutzstollen, Deckungsgräben oder sogar nur im Luftschutzkeller zusammenkauerten, in jedem Augenblick mit dem Tod rechnend, hämmerte der Luftdruck, den jede Explosion verursachte, in den Ohren. Das Getöse war so groß, dass selbst die in 600 bis 700 Metern Tiefe nicht weit vom Schacht arbeitenden Bergleute ein fortgesetztes Dröhnen hörten und deshalb schon ahnten, dass sich oben Schreckliches abspielte.«

Das Buch ›Castrop-Rauxel im Luftkrieg 1939–1945‹ ist ein gefragtes Werk im Stadtarchiv. Mit eindringlichen Worten und umfassendem Hintergrundwissen schildert der ehemalige Luftwaffenhelfer Werner Baumeister auf fast 300 Seiten die Schrecken des Zweiten Weltkrieges. Als Industriehochburg war das Ruhrgebiet massiven Luftangriffen ausgesetzt. In Castrop-Rauxel stellten die drei Steinkohlebergwerke Victor-Ickern, Erin und Graf Schwerin sowie das Werk für synthetische Treibstoffgewinnung der Gewerkschaft Victor, die Rütgerswerke und die Gesellschaft für Teerverwertung strategische Ziele dar. Die umliegenden Wohnsiedlungen blieben vom Bombenhagel nicht verschont. So forderte der von Deutschland angezettelte Krieg unzählige zivile Opfer, bis 1945 die halbe Stadt in Schutt und Asche lag. Doch eines ist sicher: Ohne die Bunker und Stollen, in denen große Teile der Bevölkerung Zuflucht fanden, wäre alles noch viel schlimmer gekommen. Spuren dieser vergessenen Welten sind bis heute vorhanden.

Verrammelte Keller, dunkle Bahnhöfe

Der 1933 gegründete Reichsluftschutzbund hatte lange vor dem Krieg umfangreiche Vorkehrungen für den Fall einer Bombardierung angeordnet. In deutschen Wohnhäusern wurden Kellerräume zu Luftschutzräumen umgerüstet und Luftschutzwarte für die Anleitung der Hausgemeinschaft ernannt. Ab Kriegsbeginn wurde der Ausbau der privaten Schutzbereiche weiter vorangetrieben: Kellerfenster und Türen wurden mit Sandsäcken verbarrikadiert oder mit Splitterschutzmauern versehen. Eimer mit Wasser und Sand standen als Löschmittel parat. Bei Häuserreihen schuf man Mauerdurchbrüche von einem Keller zum nächsten, um Fluchtmöglichkeiten zu gewährleisten. Markierungspfeile an den Außenfassaden wiesen eventuellen Rettungshelfern den Weg zum Versteck. Bei Nacht bediente man sich der Taktik der Verdunkelung mit dem Ziel, Siedlungen und Werksanlagen vor dem Auge des Feindes zu verbergen. Licht durfte nur eingeschaltet werden, wenn es von außen nicht zu sehen war. Straßenbeleuchtungen wurden stark reduziert. Autos, Fahrräder, Busse und Straßenbahnen fuhren mit zugeklebten Scheinwerfern. An den Bahnhöfen blieb es dunkel in dieser Zeit.

Wenn die Sirenen heulten

Im Mai 1940 fielen die ersten Bomben in der Gegend von Dortmund und rissen die Bewohner der Umgebung ohne Vorwarnung aus dem Schlaf. Grund war ein fragwürdiges Gesetz zur Wahrung der Nachtruhe: Da es sich bei den britischen Fliegern oftmals um reine Aufklärungsflüge handelte, durfte Fliegeralarm nicht ausgelöst werden, bis der erste Beschuss gemeldet wurde. Mit der verschärften Gefahrenlage war diese Regelung jedoch nicht mehr haltbar. Nacht für Nacht heulten nun wieder die Sirenen und jagten die Menschen aus den Betten in die Luftschutzkeller. Wer es sich leisten konnte, stellte sich einen Einmannbunker aus Stahlbeton in den Garten. Rückblickend betrachtet wurden so viele Leben gerettet: Im Juni 1940 schlugen Bomben auf dem Feld nahe Schloss Bladenhorst und auf einem Sandberg an der Vördestraße ein. Der Krieg hatte Castrop-Rauxel erreicht.

»Ein eigenartiges Sirren in der Luft, als ob sich Mücken dort befänden«

Gefahr drohte aber nicht nur von den Bombern der Royal Air Force. Auch die eigene Flakabwehr konnte leichtsinnigen Zeitgenossen zum Verhängnis werden. »Es war ein immer wieder zu beobachtendes, schauerlich-faszinierendes Schauspiel, wenn ein feindliches Flugzeug über dem Flakgürtel des Ruhrgebiets in den Scheinwerferkegel geriet und das Feuer sämtlicher Batterien in Reichweite auf sich zog«, heißt es bei Werner Baumeister. »Wenn die Flak jedoch den Beschuss einstellte und Ruhe einkehrte, hörte man nach einigen Minuten ein eigenartiges Sirren in der Luft, als ob sich Mücken dort befänden.« Das Geräusch wurde von den zahlreichen Flacksplittern verursacht, die jetzt herabregneten, und es empfahl sich, nicht ungeschützt ins Freie zu gehen, wenn man an seinem Leben hing.

Weithin sichtbar: Turmbunker an der Münsterstraße

Zusätzlich zu den privaten Bunkern und Luftschutzkellern wurde seit Kriegsbeginn verstärkt in den Ausbau öffentlicher Luftschutzräume investiert. Zunächst hatte es in Castrop-Rauxel nur 14 Anlagen mit einem Fassungsvermögen von etwa 2.500 Personen gegeben – gerade einmal 4,5 Prozent der damaligen Bevölkerung. Ab 1941 wurden mit hohem Aufwand vier große ›bombensichere‹ Bunker errichtet, die einem Großteil der Bürgerinnen und Bürger Platz bieten sollten. Ein Doppel-Großbunker für 2.000 Personen entstand an der Oskarstraße, ein weiterer für 1.500 Personen an der Christinenstraße hinter der Elisabethschule. An der Münsterstraße schraubte sich ein eindrucksvoller, 14-geschossiger Hochbunker in den Himmel, den Anwohner zunächst für einen Teil des künftigen Rathauses hielten. Mit seinen stahlbewehrten Betonwänden von 1,10 Metern Stärke diente der über 40 Meter hohe Turm 1.000 Menschen als Unterschlupf. Als Landmarke war er bis zu seiner Sprengung 1975 weithin sichtbar. Nummer Vier war der bis heute erhaltene Großbunker an der Lönsstraße. Er bot nach seiner Fertigstellung 1944 sogar 2.300 Personen Schutz.

Im Waggonbunker verschwand ein ganzer Zug

Parallel wurden auch die Industriebetriebe der Stadt kreativ, um ihre Produktion zu schützen. So hatte die Gewerkschaft Victor bereits frühzeitig mit dem Bau eines bombensicheren Bunkers für die Belegschaft begonnen und Splitterschutzvorrichtungen für die Maschinen und Anlagen installiert. Über die großen Gasometer und Tankbehälter wurden riesige Tarnnetze gespannt. Einen spektakulären Anblick bot der 121 Meter lange Waggonbunker, in dem ein ganzer Eisenbahnzug mit Kesselwagen schnell verschwinden konnte. Nach und nach schossen in der Nähe von Werken und Werkssiedlungen immer mehr Rundbunker, Röhrenbunker und Splitterschutzdeckungsgräben aus dem Boden. Privatinitiativen sorgten für zusätzlichen Schutzraum. Diese Vorhaben wurden finanziell gefördert und mit Informationen zu Planung, Konstruktion, Belüftung, Beheizung und Wasserversorgung unterstützt. Kurios: Im Oktober 1943 schrieb die Gauleitung einen Wettbewerb aus, in dem die besten in Selbsthilfe angelegten Bauten prämiert wurden.

Fortsetzung folgt

Facebook Logo  diese Seite auf Facebook teilen0