Dragomir lernt fliegen … – und noch viel mehr
Jule Springwald und Hannah Ott (Inspiratorin, Co-Autorin, Korrekturhörerin und Text-Absegnerin) erzählen
Der kleine Drache Dragomir war wunderschön anzusehen. Sein ganzer Körper war türkis mit goldenen Punkten, sein Kamm und seine Flügel aber waren ganz golden. Zwischen all den einfarbigen Drachenkindern in der Drachenschule fiel er sofort auf, und er hatte viele Bewunderer. Darum war er auch ein bisschen eingebildet.
Eines Tages sagte die Lehrerin in der Schule: »Kinder, es gibt drachenmäßig gute Neuigkeiten. Morgen kommt der Fluglehrer zu uns, dann beginnen wir mit dem Flugunterricht. Ich weiß, dass ihr alle schon ein bisschen fliegen könnt, aber ihr werdet sehen, dass ihr noch einiges lernen könnt. Als erstes wird er euch in Gruppen einteilen, je nachdem, wie viele Vorkenntnisse ihr habt.«
Fast alle Drachenkinder waren außer Rand und Band vor lauter Vorfreude, nur Dragomir nicht. Die anderen erzählten von ihren tollkühnen Flugabenteuern und interessierten sich überhaupt nicht mehr für sein tolles Aussehen. Er war völlig überrascht von der Situation. Immer hatte er eine Gruppe von Bewunderern um sich gehabt, und gemeinsam hatten sie sich über andere lustig gemacht, besonders über die hässliche Betty, die einfach nur matschbraun war, mit einer dicken Warze mitten auf der Stirn. Und genau diese ›Freunde‹ bewunderten gerade die Flugkünste von Betty, die wirklich schon atemberaubende Kunststücke fertigbrachte. »Aber hässlich ist sie trotzdem noch«, dachte Dragomir trotzig. »Sie wird in der Luft kein bisschen hübscher.«
Aber warum war Dragomir denn so gehässig? Ihr könnt es glauben oder nicht, Dragomir konnte einfach nicht fliegen, nicht mal einen Meter weit. Seine Mutter, stolz auf ihr hübsches Baby, hatte einfach nicht erlaubt, dass ihr Sohn fliegen lernte, denn dabei konnte man abstürzen und sich verletzen, und manche Drachenkinder hatten auch schon Narben und blaue Flecke und waren überdies ziemlich schmutzig. Also hatte sie Dragomir erzählt, dass schöne Drachen nicht fliegen sollten. Aber als er nun all die anderen hörte und einige auch schon fliegen sah, wurde er unsicher, ob er es nicht doch versuchen sollte.
Er machte einen kleinen Hüpfer, aber weil er es nicht gewohnt war, fiel er direkt auf die Nase. Wütend vor Schmerz stampfte er mit dem Fuß auf. Weil er aber genau vor einer schlammigen Pfütze stand, spritzen dabei Wasser und Schlamm hoch, und graubrauner Matsch landete auf seinem Körper und bedeckte die goldenen Flügel und Punkte, sodass man nur noch die goldenen Spitzen von seinem Kamm sah, die durch den Dreck schimmerten. »So ein Mist!«, schimpfte er, »Fliegen ist das Blödeste überhaupt. Wie soll ich jemals wieder sauber werden?«
»Hihi«, kicherte es hinter ihm. »Zum Fliegen muss man nicht sauber oder schön sein. Aber wenn man durch die Lüfte segelt, hat man viel Spaß und der Wind fegt einiges von dem Dreck weg.« Verblüfft drehte Dragomir sich um. Hinter ihm stand ein wunderhübsches Drachenmädchen, rosa mit silbernen Streifen, aber mit graubraunen Flecken. Mitten auf ihrer Stirn prangte ein großer Diamant. »Wer bist du denn?«, fragte Dragomir. »Dich habe ich ja noch nie gesehen, bist du neu hier?« »Hihi, nein«, lachte das Drachenmädchen, »ich bin Betty. Wenn du magst, übe ich mit dir das Fliegen.« »Aber wie kannst du die hässliche Betty sein?« »Naja, ich sollte eigentlich auch still zu Hause sitzen, damit ich meine silbernen Streifen nicht schmutzig mache. Das war ziemlich öde. Aber dann kam meine Oma zu Besuch und fragte, ob ich krank wäre, weil ich nicht draußen spielte. Und dann hat sie mir gezeigt, wie schön Fliegen ist. Jetzt bin ich zwar fast immer schmutzig, aber dafür habe ich viel Spaß. Willst du es nicht auch probieren? Wie du gerade gemerkt hast, kann man sich auch ganz ohne Fliegen schmutzig machen.«
Zögernd meinte Dragomir, er wäre sicher viel zu dumm und ängstlich zum Fliegen. Daraufhin schlug Betty ihm ein Spiel vor: »Komm, wir spielen Fangen. Krieg mich doch!« Und sie rannte einfach los und Dragomir hinterher. Er hatte sie fast eingeholt, als sie plötzlich an einen steilen Abhang kamen. Er rief hinter ihr her, sie solle vorsichtig sein und vergaß selbst ganz zu bremsen. Schon war er an der Kante und breitete vor Schreck seine Flügel aus. Der Wind fuhr unter die Flügel und trug Dragomir hoch hinaus. Der fühlte sich so gut wie noch nie in seinem ganzen Leben. Er zog ein paar Kreise, als hätte er das schon immer so gemacht, und hielt dann Ausschau nach Betty. Da erblickte er sie auch schon, sie flog um ihn herum und strahlte: »Siehste, wie toll das ist? Und der Dreck fällt auch von alleine ab! Jetzt lass uns schnell zu den anderen zurückfliegen, sonst gibt’s noch Ärger in der Schule.«
Richtig, die anderen … Und die Schule … Und die allererste Landung …
Sie steuerten zusammen die Wiese vor der Schulhöhle an und flogen in langsamen, immer kleiner werdenden Kreisen hinab. Plötzlich berührten Dragomirs Füße den Boden, er kam ins Straucheln und landete auf dem Bauch mitten im Matsch. Aber anstatt wie sonst wütend zu werden, drehte er sich auf den Rücken, strampelte mit Händen und Füßen und lachte, lachte, lachte … Er konnte gar nicht mehr aufhören zu lachen, denn er hatte nicht nur Fliegen gelernt, sondern auch eine tolle Freundin gefunden.
Danke Hannah!
Wir freuen uns riesig, Ihnen diese wunderschöne, humorvolle und zugleich tiefgründige Geschichte präsentieren und eine super tolle Kreativkraft im Stadtmagazin-Ensemble begrüßen zu dürfen: die fünfjährige Hannah Ott, Enkelin von Jule Springwald. Wie aber kam es dazu, fragen wir neugierig. »Meine Hannah tritt in meine Fußstapfen, ich bin so stolz! Sie erzählt schon länger selbst ausgedachte Geschichten«, erzählt die Oma. »Wir haben diese Geschichte zusammen angefangen und einige Gedanken dazu festgehalten. Ich habe sie dann ausformuliert und noch ein bisschen ausgeschmückt, schließlich Hannah vorgelesen und mir ihr O.K. geholt.« Klare Sache: Das erste und das letzte Wort hat Hannah!
Wobei übrigens auch die Drachenzeichnungen aus der Feder der jungen Künstlerin entstammen. Jule Springwald: »Der erste Entwurf in Schwarz-Weiß ist von ihr und mir in Gemeinschaftsarbeit entstanden. Die Idee selbst ist von Hannah, dann zeichnet sie ein bisschen oder auch ein bisschen mehr, und zum Schluss muss Oma ran – dabei gibt Hannah Anweisungen bis zum Ende!«
Unser Fazit: Ende gut – alles gut.
Danke Hannah!