Stadtmagazin Castrop-Rauxel: Kunst und Kultur

Spieglein, Spieglein an der Wand

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Eine junge Frau aus Castrop-Rauxel verbringt viel Zeit vor dem Spiegel, um zu ihm zu sprechen. Es geht dabei jedoch nicht um Eitelkeit oder Märchen, sondern darum, von ihr selbst verfasste Texte einzuüben. Diese trägt sie seit der Mitte des letzten Jahres im Wettstreit mit anderen Dichter*innen immer wieder vor Publikum vor. Fast 20 Mal ist Jouhaina Lahchaichi im vergangenen Jahr bei Poetry-Slams im Ruhrgebiet und darüber hinaus aufgetreten. Und dies sehr erfolgreich. Wir haben sie Ende November getroffen, um mit ihr über ihre literarischen Aktivitäten zu sprechen.

Mit einem zögerlichen Nicken beantwortet die 24-Jährige die Frage, wie der nur wenige Tage zurückliegende Poetry-Slam in Bochum ausgegangen sei. Ihr Nicken solle bedeuten, dass sie gewonnen habe. Und auch nur auf Nachfrage erzählt sie, dass es bereits der achte Erfolg bei erst 18 Auftritten gewesen sei.

Bühnenpremiere im Juni

»Beim ersten Mal war es eine große Überwindung für mich, auf die Bühne zu gehen, dort zu stehen und meinen Text vorzutragen«, erklärt die Poetin nicht schüchtern, dennoch etwas zurückhaltend. Sie hält sich selbst für eher introvertiert, schrieb bis zu ihrer Bühnenpremiere ausschließlich für sich und trug ihre Texte allenfalls Freunden oder der Familie vor. Das änderte sich, als sie ein Freund zu einem Schreibworkshop mit den in der Slam-Szene bekannten Künstler*innen Lisa Brück und Abdul Chahin einlud. In dem dreimonatigen Kurs habe sie nicht nur an ihren Schreibfähigkeiten feilen können, sondern zum ersten Mal etwas über Bühnenpräsenz gelernt. Zum Abschluss
der Veranstaltung sei ein sogenanntes ›Showing‹ veranstaltet worden, bei dem sie erstmalig einen ihrer Texte vor Publikum vortrug. Ihre eigentliche Premiere auf der Bühne gab sie im vergangenen Juni beim Essener Poetry-Slam ›Slamassel‹. Dieser Auftritt ist als Video bei YouTube unter dem Stichwort ›Slamassel 99‹ zu finden.

Persönliche Erfahrungen verarbeiten und weitertragen

In ihren überwiegend lyrischen Texten verarbeitet die studierte Logopädin eigene Erfahrungen, Gefühle und Eindrücke. »Ich schreibe über Dinge, die mich beschäftigen, die in meinem Kopf sind«, sagt sie, »und wenn ich meine Gedanken erst einmal aufgeschrieben habe, dann sind sie raus. Indem ich schreibe, kann ich Dinge verarbeiten oder bearbeiten.« So habe sie in ihrem erfolgreichen Text ›Leeres Blatt‹ etwa eigene Erfahrungen mit Diskriminierung und Rassismus während ihrer Gymnasialzeit verarbeitet. Der Text kommt nicht nur beim Publikum der Dichterwettstreite gut an, an denen sie nun regelmäßig teilnimmt. Kürzlich habe sie der Anfrage einer Schulpsychologin zugesagt, ›Leeres Blatt‹ bei einem Workshop zum Thema ›Alltagsrassismus an Schulen‹ im Rahmen einer Bildungskonferenz an der Fernuniversität Hagen vorzutragen.

Mehrsprachige Literatur

Ihre Texte schreibt die gebürtige Hessin mit der Hand, überwiegend in Deutsch, lässt jedoch gerne auch andere Sprachen wie Englisch oder ihre Muttersprache Arabisch mit einfließen. »Es gibt Begriffe und Phrasen in den anderen Sprachen, mit denen ich etwas ausdrücken möchte, für die es aber im Deutschen kein Gegenstück oder keine gute Übersetzung gibt. Dann verwende ich sie einfach in der Ursprungssprache und übersetze oder erkläre sie in meinen Texten.« Damit habe sie gute Erfahrungen gemacht und sei auch der Überzeugung, dass Mehrsprachigkeit den Blick auf die Welt weite. Neben Deutsch, Arabisch und Englisch spricht sie noch Französisch und Spanisch.

Neu in Castrop-Rauxel

Nicht nur auf Dichterbühnen ist Jouhaina Lahchaichi herumgekommen, auch an unterschiedlichen Orten hat sie schon gewohnt. Im Alter von acht Jahren zog sie zusammen mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern aus ihrer Geburtsstadt Frankfurt am Main an den Rhein und lebte bis zum Abitur in Duisburg. Von dort aus zog sie nach Bochum, um das Bachelorstudium in Logopädie zu absolvieren. Nach dem ersten Studienabschluss entschied sie sich vor etwa einem Jahr, wieder zurück zur Familie zu ziehen, die mittlerweile in Castrop-Rauxel lebt. Von hier aus sind sowohl ihr neuer Studienort Essen als auch ihre Arbeitsstelle in einer Dortmunder Logopädiepraxis gut erreichbar. Und die Studierende wirkt so, als ob sie sich an ihrem Wohnort rundum wohlfühlt.

Zukunftspläne

Das laufende Masterstudium im Fach Medizinmanagement wird sie, wie sie meint, noch ganz geordnet zu Ende bringen, bevor sie ihren Traum verwirklichen möchte, sich als Bühnenkünstlerin selbstständig zu machen. Neben den zahlreichen Auftritten auf Slam-Bühnen – in einer Woche waren es einmal sogar vier –  wurde sie auch schon für einen Auftritt bei einem Bühnenformat mit Comedy, Musik und Texten gebucht. Zudem plant sie, zusammen mit einem anderen Künstler, sogenannte Duo-Texte zu schreiben und aufzuführen. Das sind Texte, die von zwei Autoren gemeinsam verfasst und vorgetragen werden. Außerdem hat sie ein Buchprojekt in Arbeit, das ebenfalls mit Erfahrungen und Eindrücken zu tun hat, die sie bewegen.
Online und auf der Bühne präsent
Online präsentiert sich die Newcomerin derzeit auf Instagram und Facebook. Wo ihre nächsten Auftritte stattfinden, kündigt sie dort auch kurzfristig an. »Die Anfragen kommen manchmal sehr spontan«, erklärt sie dazu. Auftrittsanfragen nimmt sie auch per E-Mail entgegen.

»Auf die Bühne gehe ich auch, weil ich zeigen möchte, dass es verschiedene Menschen gibt. Menschen, die vielleicht auch Angst haben, dort oben zu stehen, die sich aber selbst akzeptieren. Und gut sind so wie sie sind.« Jouhaina Lahchaichi möchte anderen Mut machen, ebenfalls auf die Bühne zu gehen.

Poetry-Slams sind literarische Wettbewerbe, die u. a. in vielen Ruhrgebietsstädten regelmäßig stattfinden. Die Poet*innen treten dabei mit selbst verfassten Texten an, die sie innerhalb eines Zeitlimits vortragen dürfen. Das Publikum bildet die Jury und bestimmt etwa durch Handzeichen oder Applaus, wer gewinnen soll. Seit dem Jahr 2016 gehören deutschsprachige Poetry-Slams zu dem bei der UNESCO verzeichneten Immateriellen Kulturerbe in Deutschland.

Jouhaina Lahchaichi
bei Instagram: @jhn_2
bei Facebook: Jouhaina La
Auftrittsanfragen an Jouhaina [at] outlook.de

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