Stadtmagazin Castrop-Rauxel: In der Stadt

Von Schwänen, Sport und schönen Städten

Foto(s) zum Vergrößern anklicken

Quellenangabe in den Vergrößerungen

Ob zum Sightseeing, Chorkonzert oder Fechtturnier: In unserer globalisierten Welt ist das Reisen in andere Länder selbstverständlich geworden. Dass dies nicht immer so war, zeigt ein Blick in die Nachkriegszeit. Doch ausgerechnet bei uns in Castrop-Rauxel erhoben sich schon damals Stimmen, die sich öffnen und dem Austausch zwischen den Kulturen eine Chance geben wollten. Lesen Sie hier, welche Rolle ein britischer Major in Castrop-Rauxel spielte, wie königliche Schwäne in den Stadtgarten gelangten und inwiefern Korfball und Blockflöte die internationale Freundschaft beflügelten!

»Ja, wir sind Europa!«

Einer, der sich anlässlich des Europastadtjubiläums mit den historischen Hintergründen befasst hat, ist Bürgermeister Rajko Kravanja. »Nach dem Zweiten Weltkrieg befand sich Europa im Umbruch«, berichtet er. »Die europäische Bewegung kam langsam ins Rollen. Dahinter stand der Gedanke, dass sich die Geschichte nicht wiederholen kann, wenn die einst verfeindeten Länder zusammenarbeiten.« Ganz vorne dabei: Castrop-Rauxel. Hier entschied sich die Bevölkerung im Juli 1950 im Rahmen einer freien Abstimmung mit überwältigender Mehrheit von 96 Prozent bei einer Wahlbeteiligung von 74 Prozent: »Ja, wir sind Europa!« So ist es in den alten Akten im Stadtarchiv zu lesen. Im Oktober 1963 wurde die Europafahne im Rahmen der Europäischen Kulturtage im damaligen Kino ›Die Kurbel‹ an der Oberen Münsterstraße offiziell überreicht.

Einst gab es noch eine weitere Partnerstadt

»Damit einher ging eine Eigenverpflichtung seitens der Castrop-Rauxeler Verwaltung, sich mit anderen Städten zu verpartnern, um Europa nicht nur auf dem Papier zu leben«, so Rajko Kravanja. »In den Fokus rückten eben jene Länder, mit denen man Krieg geführt hatte. So wurden Städtepartnerschaften mit Wakefield in England, Vincennes in Frankreich und Delft in den Niederlanden eingegangen – wobei Delft nach 50 Jahren den Auftrag der europäischen Vereinigung als beendet ansah und sich anderen Projekten zuwandte. Weitere Partnerstädte sind Kuopio in Finnland und nach dem Fall der Mauer Zehdenick in Ostdeutschland.« Später kam Nowa Ruda in Polen hinzu, da hier in der Region viele Vertriebene lebten und es bereits eine Neuroder Heimatkartei und eine Patenschaft mit Neurode gab. In 2013 dann Trikala in Griechenland und Zonguldak in der Türkei, naheliegend wegen der Geschichte der Gastarbeiter. Doch die Bündnisse wurden nicht nur von offizieller Seite angeschoben. Vieles entwickelte sich parallel innerhalb der Bevölkerung, unter den Menschen.

»Lasst uns die Schatten der Vergangenheit überwinden!«

»Besonders spannend aus heutiger Sicht war die Beziehung zum englischen Wakefield«, findet Stadtarchivar Thomas Jasper. »In den Anfangsjahren prägten britische Soldaten in Uniformen das Stadtbild. Unter ihnen waren zwei wichtige Männer, Captain Hardy und Major Elliot, die zwar als Besatzer in Castrop-Rauxel lebten, den Bürgerinnen und Bürgern jedoch freundschaftlich gesonnen waren. Unvergessen ist bis heute die Rede, die Major Elliot bei der ersten frei gewählten Stadtversammlung hielt. Es war ein Plädoyer für ein demokratisches Deutschland, das er mit den Worten ›Lasst uns die Schatten der Vergangenheit überwinden!‹ besiegelte.«

Royale Schwäne im Stadtpark

Historisch verbürgt ist auch das Engagement eines englischen Youth Officers, der sich mit Castrop-Rauxeler Familien in Verbindung setzte, um Kontakte und später Besuche zwischen deutschen und britischen Jugendlichen in die Wege zu leiten. »Anfangs hatten manche Eltern noch Bedenken, ihre Kinder in das fremde Land zu entsenden«, weiß Edith Delord, Städtepartnerschaftskoordinatorin bei der Stadt Castrop-Rauxel. »Doch schon bald entstand ein guter und reger Austausch.« Höhepunkt in den Anfängen der deutsch-englischen Freundschaft waren die zwei stolzen Schwäne, die als Geschenk der englischen Königin nach Castrop-Rauxel kamen und fortan ihre Bahnen im Teich des Stadtparks zogen. »Alte Fotos zeigen noch die Übergabe der Kisten am Düsseldorfer Flughafen sowie die Ankunft der Tiere in der Stadt«, so Thomas Jasper. »Das war ein Riesenevent!«

»Die Jugend war der Auslöser!«

Zwei weitere besondere Verbindungen, die sich im Laufe der Jahre organisch entwickelten, waren die zu Vincennes und Delft. »Hier war die Jugend der Auslöser!«, sagt Edith Delord, die mit dreizehn mit dem Blockflötenchor zu einem Konzert nach Frankreich reisen durfte. »Wir wurden alle privat bei Familien untergebracht«, erinnert sie sich. »Die Wohnungen waren winzig – wir waren zwei Gastmädchen, und ich erinnere mich, dass ich im Kinderzimmer des Gastgeberkindes auf einer Matratze auf dem Boden übernachtet habe. Es war abenteuerlich – und gerade deshalb auch sehr lustig!« Aus Delft wurde das Korfballspiel von jungen Sportlerinnen und Sportlern nach Castrop-Rauxel importiert. »Damals kannte kaum jemand das Spiel, bei dem Mädchen und Jungen zusammen in gemischten Mannschaften antreten. Die hiesigen Sportlehrer nahmen es begeistert auf. So wurde Castrop-Rauxel zur Hochburg des Korfballs.«

Hilfe nach dem Mauerfall

Nicht nur junge Sportler*innen, Pfadfinder*innen und Musiker*innen reisten zwischen den befreundeten Städten hin und her. Auch auf politischer Ebene entstand ein reger Kontakt, der in mehreren Hilfsaktionen gipfelte. Nach dem Mauerfall pendelten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung nach Zehdenick, um die Kollegen beim Aufbau einer neuen Administration zu unterstützen. Katastrophen wie Grubenunglücke, Überschwemmungen oder aktuell der Ukrainekrieg setzten Spendenaktionen in Castrop-Rauxel in Gang. Zuletzt wurden tonnenweise Hilfsgüter, Windeln und Medikamente für geflüchtete Ukrainer*innen nach Polen gebracht. Aber die Hilfe funktionierte auch umgekehrt: Als in Deutschland zu Beginn der Corona-Pandemie noch Maskenmangel herrschte, standen plötzlich Kisten mit 12.000 medizinischen Masken aus dem türkischen Zonguldak vor der Tür.

»Ich habe von allen meinen Reisen immer mindestens eine Idee mit nach Hause genommen – oft sogar einen ganzen Notizblock voll«

»Klar geht es bei solchen Bündnissen ums Kennenlernen und um den interkulturellen Austausch«, so Rajko Kravanja, der alle Partnerstädte bis auf Wakefield auch schon vor seiner Zeit als Bürgermeister mehrfach besucht hat. »Aber wir können auch politisch viel voneinander lernen. Denn am Ende des Tages stehen wir alle vor ähnlichen Herausforderungen in Sachen Wirtschaft, Digitalisierung, Umwelt und Nachhaltigkeit – die Schwerpunkte ändern sich natürlich mit der Zeit. Ich habe von allen meinen Reisen immer mindestens eine Idee mit nach Hause genommen – oft sogar einen ganzen Notizblock voll.«

Geplant: Bürgerreisen

Durch Corona ist das Reisen naturgemäß etwas zum Erliegen gekommen.  Dies soll sich bald wieder ändern. »Beispielsweise wollen wir wieder verstärkt Reisen für Bürgerinnen und Bürger anbieten«, so Edith Delord. »Diese werden dann privatwirtschaftlich organisiert, jedoch von uns als Stadt begleitet. Somit werden die Teilnehmenden nicht einfach nur Touristen sein, sondern Gelegenheit erhalten, hinter die Kulissen zu blicken.« Darauf freut sich auch Bürgermeister Rajko Kravanja. »In jeder Stadt gibt es total viel Schönes zu sehen. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, welches meine Lieblingsstadt ist – ich habe überall Lieblingsplätze!«

Facebook Logo  diese Seite auf Facebook teilen0