Stadtmagazin Castrop-Rauxel: Historisch

Zimmertausch

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Jule Springwald erzählt

Ihr kennt das sicher oder auch nicht: Man wacht morgens oder auch mitten in der Nacht auf und hat eine mehr oder weniger wahnwitzige Idee im Kopf, einen Gedanken der umwälzenden, weltverändernden Art. Ihr kennt das? Dann werdet ihr mich verstehen. Wenn ihr es nicht kennt, werde ich versuchen, es euch nahezubringen.

Es ist fast wie ein Fieber. Plötzlich erwischt es euch. Erst grummelt es im Bauch, aber ihr könnt nicht erkennen, was euch da infiziert hat. Bei manchen Menschen ist es quasi von Geburt an vorhanden, es braucht nur einen Trigger, z. B. eine neue Beziehung, einen verregneten Urlaub oder neue Nachbarn. Bei anderen kann es über mehr oder weniger enge Freunde oder auch völlig Fremde zu einer späteren Infektion kommen, wobei die Inkubationszeit durchaus individuell höchst unterschiedlich lang sein kann, von jetzt auf gleich bis zu Monaten oder gar Jahren. Für einige ist es ein Beitrag zur Lösung eines Problem(chen)s, für andere eine Art Zwang. In jedem Fall ist es mit (viel) Arbeit verbunden, wenn man – auf dem Höhepunkt der Infektion angekommen – es nicht mehr aushält und Hand anlegen muss.
Ich rede vom Zimmertausch.

Aus einem nichtigen Anlass oder bedingt durch ein schwerwiegendes Ereignis wie z. B. die Geburt eines (Enkel-)Kindes muss man unbedingt und sofort zwei oder mehr Zimmer der Wohnung, in der man – bisher vollkommen zufrieden – lebte, vertauschen. Befinden sich diese Zimmer auf derselben Etage, womöglich noch verbunden durch eine Tür oder Ähnliches, so ist es nur ein einfaches Möbelschieben, wobei selbige natürlich ausgeräumt, geputzt, eventuell repariert oder neu gestrichen … werden müssen. Je nach Art und Alter des Wand- und Bodenbelags kann jedoch selbst dieser einfachste aller Zimmertäusche schon etwas üppiger ausfallen.  

Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass simples Möbel-entsorgen-und-durch-neue-ersetzen nicht gemeint ist. Aber auch die ganz kleine Variante kann in absoluten Stress ausarten, und zwar durch falsche Einschätzung des Zeitaufwandes, durch übermäßige Hitze, durch plötzlich einsetzende Arbeitsunlust (tritt häufig erst nach der Hälfte der Arbeit auf) und – nicht zu unterschätzen – durch die sicher gut gemeinte Einmischung von Familie, besten Freund*innen und Einrichtungszeitschriften in die Zeit- und Raumplanung und Durchführung. Last but not least kommt es nicht selten auch zu Störungen des Vorhabens durch die Überschätzung der eigenen Kraft und Ausdauer.
In mir gärte seit langem – mindestens seit ein paar Wochen – der Gedanke, mich wohnungstechnisch zu verkleinern und der nächsten Generation ein bisschen mehr Platz im Haus einzuräumen. ›Einräumen‹ ist in diesem Fall nicht wörtlich zu nehmen, das kann der Nachwuchs gefälligst selbst erledigen. Und so passierte das, was ich anfangs beschrieb: Ich wachte mit der Wahnsinnsidee des mehrfachen Zimmertausches auf und begann direkt mit der Umsetzung. Da ich alleine keine Möbel tragen kann, bemühte ich als ›(Leid-)Tragende‹ meine Söhne oder zumindest diejenigen meiner Söhne, die nicht schnell genug flüchten konnten.

Innerhalb eines Wochenendes wurde aus dem bisherigen Esszimmer ein zweites, mein neues Wohnzimmer. Der Durchgang zwischen den beiden Räumen verschwand hinter dem bisherigen Esszimmerschrank, der dadurch ein Upgrade zum Wohnzimmerschrank mit Raumteilerfunktion erfuhr. Der Hintergedanke erschloss sich dem uneingeweihten Betrachter nicht direkt, und so fragte auch der eine oder andere nach dem Sinn von zwei getrennten Wohnzimmern. Die Antwort war eigentlich ganz leicht: Aus dem bisherigen Wohnzimmer im Erdgeschoss sollte mein Schlafzimmer werden, das sich bis dato – man ahnt es vielleicht schon – in der ersten Etage befand.
Dieser Zimmertausch, für das zweite Wochenende geplant, stellte sich als Chaos auf höchstem Niveau heraus: Weil ich für das ›neue‹ Wohnzimmer eine kleine Sitzgarnitur aus dem Keller geholt hatte bzw. hatte holen lassen, musste nun die große Couchecke aus dem ›alten‹ Wohnzimmer mit dem Bett aus dem bisherigen Schlafzimmer getauscht werden. Und weil einer meiner Söhne am Planwochenende wieder in seinen Studienort musste, wurde der Zimmertausch kurzerhand vorverlegt. Bett und Couch sollten dienstags getauscht werden, die anderen Möbel dann, wenn der Studisohn wieder ein Wochenende hier verbringen würde.

Das große Bett kann man auseinandernehmen und bequem in Einzelteilen tragen, die Couch immerhin in zwei (Riesen-)Teilen befördern. Vielleicht sollte ich das Treppenhaus nicht unerwähnt lassen, in der Nachkriegszeit bei 1 1/2-geschossiger Bauweise platzsparend um vier Ecken gebaut, unter der Dachschräge und die Tür zur oberen Etage direkt unter der feststehenden Raumspartreppe zum Dachboden. Und selbstverständlich wollte ich keine Nacht auf irgendeinem Sofa verbringen. Am Ende des Tages saß ich auf meiner Betthälfte, umgeben von allerlei Dingen aus Wohn- und Schlafzimmer, zu meinen Füßen mein kleines, sehr verstörtes Hundemädchen Elsa. Das Bett mit Nachttisch und Spiegelschrank stand unten, die Couch gestapelt oben, aber das war es auch. Todmüde fiel ich ins Bett und schlief auch sofort ein. Und zwei Tage später wurde ich dann von meinen Jungs überrascht, die den Kleiderschrank auch schon herunterbrachten.

Heute ist Sonntag, und mein Schlafzimmer sieht wieder aus wie ein ganz normales Schlafzimmer aussehen sollte. Ich bin froh, dass alles letztendlich so gut geklappt hat. Nur mit dem Einschlafen habe ich gerade so meine Probleme, weil es im Haus noch mehr Zimmer gibt, die man tauschen könnte, und ich denke, so bald finde ich keine freiwilligen Helfer mehr für den Fall einer neuen Wahnsinnsidee beim Aufwachen.

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