Stadtmagazin Castrop-Rauxel: Junges Castrop-Rauxel

Im Porträt: Christian Cramer

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Kunstvolle Kindermode für Knirpse und Krümel

Die Wäscheleine, die an diesem sonnigen Augusttag den Erinpark ziert, zieht unweigerlich die Blicke von Passanten auf sich: Ein Kapuzenkleidchen mit himmelblauen Sternen wellt sich leicht in der Sommerbrise. Die Mini-Pumphose daneben sieht aus, als wäre sie einem Märchen entsprungen. Ist das Kunst oder Kindermode?

»Hier im Schatten des Förderturms kann ich den Kopf freikriegen«

Irgendwie beides, verrät Christian Cramer, Kreativschaffender und Urheber der ungewöhnlichen Open-Air-Aktion. »Wenn ich Kleidung entwerfe, ist das immer ein künstlerischer Prozess. Und der Erinpark ist für mich der perfekte Ort für Inspirationen. Hier im Schatten des Förderturms kann ich den Kopf freikriegen, mich auf meine Wurzeln besinnen und Ideen für neue Kleidungsstücke sammeln.« Über viele Jahre hinweg kamen vor allem Freunde oder Verwandte in den Genuss der Ergebnisse. Während der Corona-Pandemie begann Christian Cramer zudem, ehrenamtlich für eine Initiative zugunsten von Frühchen und Sternenkindern zu schneidern. Seit der Gründung des neuen Labels ›Knirps und Krümel‹ im Juni 2022 bietet er seine Dienste nun endlich für alle kleinen Leute von Größe 56 bis 98 an.

Bei der Großmutter gelernt

Die Liebe zur Handarbeit wurde dem heute 53-Jährigen quasi von Kindesbeinen an antrainiert. »Meine Großmutter lebte ganz in der Nähe, an der Bladenhorster Straße, und ich habe sie eigentlich nur häkelnd, strickend oder nähend in Erinnerung. Natürlich hat sie es sich nicht nehmen lassen, ihren Enkel an das Thema heranzuführen. Sie hat mir alles beigebracht. Mit dreizehn gab es dann endlich meine erste eigene Nähmaschine zu Weihnachten: eine mechanische ›Privileg‹, die damals schon Zickzackstich und Knopflöcher konnte. Von da an war ich in der Familie für sämtliche Reparaturarbeiten zuständig. Keine Gardine in der Wohnung, die nicht von mir angefertigt, keine Jeans, die nicht von mir geflickt wurde.«

Von kreativen Experimenten zum Achtziger-Jahre-Disco-Outfit

Nebenbei experimentierte der kreative Teenager mit den Microfaserstoffen, die seine Tante von der Arbeit in der Textilfabrik mitbrachte, oder er verwandelte die günstig erstandenen Schnäppchen aus dem Werksverkauf in Habinghorst in ›modische‹ Hingucker. »Es waren die Achtziger – meine ersten eigenen Kreationen waren eine Hose aus weiß gewirkter Baumwolle im Waffelmuster und eine Weste, die ich aus rautenförmigen blauen Stoffstreifen zusammengenäht hatte«, verrät er schmunzelnd. »Stolz wie Bolle kam ich damit in die Schule. Einige Mädchen fanden es cool, dass ich so mutig war. Die Jungs waren eher semi-begeistert.« Er grinst: »Dabei war das noch gar nichts gegen das Outfit, das ich später in der Disco getragen habe: eine schwarze Clochardhose mit den silbernen und goldenen Marineknöpfen, dazu weißes Hemd und Westernstiefel.«

»Da habe ich gespürt, wie sehr es mich erfüllt, mit Textilien und Schnittmustern umzugehen«

Den Traum vom Designstudium musste er aufgeben – die hohen Studiengebühren waren für den Sohn eines Eisenbahners einfach nicht zu stemmen. Stattdessen absolvierte er eine kaufmännische Ausbildung und arbeitete im textilen Einzelhandel. Privat nähte er jedoch immer weiter: Accessoires, Kissenbezüge, Tischdecken, Vorhänge, Jutetaschen, Stoffpuppen nach Waldorfart. Wann immer im engeren Freundeskreis ein Kind das Licht der Welt erblickte, durfte es sich über ein Kleidchen oder eine Puppe ›made by Christian‹ freuen. »Man könnte sich natürlich fragen, warum ich auf meine alten Tage noch mal neu anfange und meine Leidenschaft zum Beruf mache. Das war wohl einer der wenigen positiven Effekte des Lockdowns. Man saß zu Hause, musste Zeit überbrücken. Da habe ich wieder gespürt, wie sehr es mich erfüllt, mit Textilien und Schnittmustern umzugehen.«

Mit Stift und Lineal auf Millimeterpapier

Den Achtziger-Jahre-Disco-Chic hat Christian Cramer lange hinter sich gelassen. Doch seine Arbeitsweise ist nach wie vor oldschool. »Zuerst erstelle ich eine grobe Skizze und konstruiere das Schnittmuster ganz altmodisch mit Stift und Lineal auf Millimeterpapier. Dann suche ich einen passenden Stoff aus und schneidere einen Prototypen, wie ich es von meiner Großmutter gelernt habe. Am Schluss erfolgt die kreative Ausgestaltung mit Flicken, Taschen, Knöpfen oder Kapuzen.« So entstehen wundervolle, mit Liebe zum Detail gearbeitete Unikate und Kleinstserien, die nicht nur langlebig, sondern auch optisch zeitlos sind und sich an einer Wäscheleine im Erinpark mindestens ebenso gut machen wie auf Bügeln im Kleiderschrank. Kenner*innen sprechen von ›Slow Fashion‹. »Allerdings nutze ich inzwischen eine neue Nähmaschine.« Die alte ›Privileg‹ steht verpackt im Keller. »Ein Stück Nostalgie, das mich seit nunmehr 40 Jahren begleitet.«

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