Klassentreffen
Jule Springwald erzählt
Es klingelte an der Tür, zu ganz ungewohnter Zeit. »Da will mir bestimmt jemand etwas verkaufen, das ich weder brauche noch haben will«, dachte ich. »Oder es ist etwas passiert. Oder die Sachen, die ich bestellt habe, kommen einen Tag zu früh.« Um das herauszufinden, half nur eines: Tür öffnen und nachschauen.
Vor der Tür stand ein ›junger Mann‹ meines Alters, der mir bekannt vorkam. »Hallo Juliane«, sagte er, und ich erkannte meinen ehemaligen Mitschüler Diethelm aus meinem Abi-Jahrgang am ASG. So alle paar Jahre laufen wir uns mal über den Weg und quatschen ein bisschen. Leider war ich quasi auf dem Sprung zur Arbeit und hatte nicht viel Zeit, darum kam Diethelm auch schnell zur Sache: »Was hältst du von einem Klassentreffen? Wenn du Lust drauf hast, gib mir doch bitte deine E-Mail-Adresse, dann meldet sich das Orgateam bei dir, also wahrscheinlich die Bärbel.« Nun, so ein Klassentreffen wäre ja mal interessant, also gab ich ihm meine E-Mail-Adresse und er radelte davon. Auf der Arbeit war viel los, sodass ich erst mal nicht mehr ans Klassentreffen dachte.
Die versprochene Mail vom Orgateam ließ aber erst noch ein bisschen auf sich warten. Inzwischen waren mir auch schon leichte Zweifel gekommen, ob sich nach der langen Zeit überhaupt noch viele Leute finden würden, denen die Mitschüler von damals interessant genug wären, und ob man von denen, die sich auf den Weg machen würden, noch jemanden erkennen würde – und umgekehrt. Immerhin sind inzwischen 46 Jahre vergangen. (Huch, das ist ja eine ziemlich lange Zeit – na ja, man ist ja so jung, wie man sich fühlt.) Als die Mail dann eintrudelt, tatsächlich von Bärbel als Mitglied des Orgateams, weichen die Zweifel einer ersten zaghaften Vorfreude, vor allem in Anbetracht der Ehemaligen, die Interesse bekundet haben.
Mit dem Näherrücken des Treffens steigt die Spannung, bis am vereinbarten Tag meine Kinder kichernd sagen, dass ich mindestens so aufgeregt wie beim ersten Date wäre. »So ein Quatsch«, denke ich und schaue verzweifelt auf den Inhalt meines Kleiderschranks, der auf dem Bett verteilt herumliegt. Man will ja schließlich nicht in Sack und Asche dort auflaufen.
Endlich habe ich etwas Passendes gefunden und mache mich – gestiefelt und gespornt – auf den Weg zum ASG. Auf dem Parkplatz angekommen sehe ich vor der großen Treppe schon eine Gruppe von Menschen stehen und erkenne dort als erstes Diethelm, und nur ihn. Aber verrückt: Je näher ich der Gruppe komme, desto mehr Leute erkenne ich, und zu ganz vielen fällt mir noch die eine oder andere Geschichte aus der gemeinsamen Schulzeit ein. Das Orgateam hat für jeden einen Button angefertigt, um das gegenseitige Erkennen zu erleichtern.
Herr Pelz, der stellvertretende Leiter, hat sich bereit erklärt, uns einmal durch unsere ehemalige Wirkungsstätte zu geleiten und uns die Neuerungen zu erklären. Viel hat sich nicht verändert am altehrwürdigen Gebäude, zumindest optisch nicht. Sogar die durchgetretenen Treppenstufen sind erhalten geblieben in den hohen Fluren mit den vielen grauen Türen. Aber natürlich sind mittlerweile die alten Schulbänke neuem Mobiliar gewichen und die Technik hat Einzug in viele Bereiche des Lehrens und Lernens gehalten, was Herr Pelz uns auch gerne genauer erklärte. Allerdings verhielten wir uns schon wie ein kompletter Fünftklässlerjahrgang, man konnte zeitweise wegen des vielen Schwätzens kaum verstehen, was gesagt wurde. So musste Herr Pelz mit der Autorität des Lehrkörpers uns auch immer mal wieder zur Ordnung rufen.
Nach der Führung ging es noch zum Brauhaus Rüttershoff. Das Orgateam hatte dort Essen bestellt und noch eine Bildervorführung vorbereitet, die mit vielen Anekdoten bedacht wurde. Der Rest des Abends war aber den Gesprächen vorbehalten. Und davon gab es reichlich. Ich hatte mir vorgenommen, nicht allzu spät nach Hause zu fahren. Es war zwar Samstag, aber ich stehe gerne früh auf und genieße die Ruhe, bevor alle wach sind. Dementsprechend schlafe ich auch sehr früh. Als ich um halb elf zu meinem Gesprächspartner Uwe sagte, es würde nun langsam Zeit für mich, weil ich normalerweise um dies Zeit schon schliefe, meinte er, ein halbes Stündchen wäre sicher noch drin, weil wir uns doch so lange nicht gesehen hätten. Uwe ist ein guter Gesprächspartner, und ich ließ mich gerne überreden. Wir redeten und redeten und – was soll ich sagen – plötzlich war es ein Uhr morgens, und wir redeten immer noch. Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist, aber immerhin sind wir in vier Jahren, wenn das ›Goldene Abitur‹ ansteht, wieder verabredet und werden sicherlich da anknüpfen, wo wir jetzt aufgehört haben.
Ich freue mich jetzt schon darauf!
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