Ignaz der Feuerwichtel
Jule Springwald erzählt
Wisst ihr eigentlich, dass in unserer hochtechnisierten Welt, in der es eine der leichtesten Übungen ist, Informationen über alles und jedes in Windeseile aus den verschiedenen Medien zu erhalten, immer noch eine Geheimgesellschaft existiert, die fast vollkommen unerkannt buchstäblich unter uns lebt? Ihr könnt mich nun auslachen oder meine Worte anzweifeln. Aber ich habe mich ausgiebig mit der Materie beschäftigt und bin überzeugt davon, dass es sie tatsächlich gibt: die Wichtel nämlich.
Ich habe lange über die Wichtel geforscht und versucht, sie nach ihren Eigentümlichkeiten in Gruppen aufzuteilen. Das ist gar nicht so einfach, denn im Laufe der Zeit haben sich die Grenzen zwischen ihnen stark verwischt, wodurch vielleicht ihr Überleben begünstigt wurde, da die Lebensumstände mit der Zeit immer widriger wurden. Nicht nur wurden die wetter- und klimatechnischen Bedingungen härter, auch der Lebensraum wurde immer mehr eingeschränkt.
Bei meinen Forschungen bin ich auf verschiedene Arten gestoßen. Mit einem Feuerwichtel namens Ignaz konnte ich tatsächlich sprechen. Ich war erstaunt, dass er der menschlichen Sprache mächtig war. Er erklärte mir, dass alle Wichtel mindestens bilingual aufwachsen, da es enorm wichtig ist, geplantes menschliches Eingreifen in den Lebensraum frühzeitig zu erkennen und nicht von plötzlichen Rodungen, Abrissen oder Stauarbeiten überrascht zu werden. Trotzdem haben sie sich ihre eigenen Kommunikationsweisen erhalten, über die er jedoch bis heute noch schweigt.
Ich konnte von ihm erfahren, dass die Feuerwichtel eigentlich von den Vulkanwichteln abstammen. Während die Vulkanwichtel an den von ihnen bewohnten Vulkan gebunden sind und ständig auf eine Eruption warten, sind die Feuerwichtel vor langer Zeit in weniger explosive Gegenden ausgewandert und habe sich in den Häusern der Menschen niedergelassen, in denen eine gewisse Regelmäßigkeit bezüglich des Feuers herrscht, da Menschen nur ungern rohes Fleisch usw. zu sich nehmen. Allerdings gibt er zu, dass die immer weiter verbreitete flammenlose Zubereitung der Speisen und Heizung der Häuser ihm persönlich arg zu schaffen macht. Daher knabbert er von Zeit zu Zeit Kabel an und erzeugt Kurzschlüsse, um sich an der Wirkung zu erfreuen. Meistens ist das leider nur eine kurze Freude. Noch kurz zu seinem Erscheinungsbild: Feuerwichtel gehören mit ihren ca. 15 cm Körpergröße zu den mittelgroßen Wichteln. Sie sind relativ schlank und sportlich, da sie sich körperlich fit halten wollen, um dann bei einem Feuer zwischen den Flammen herumhüpfen zu können. Sie können hohe Temperaturen ertragen. Ihr Erkennungszeichen ist ein orangeroter Haarschopf, der fast wie eine Flamme aussieht, wobei die Schopfhöhe etwas über die gesellschaftliche Position aussagt, also je höher der Schopf, desto höher die Stellung in der Gesellschaft.
Ignaz hat einen mittelhohen Schopf, er ist aber auch erst 243 Jahre alt und hat derzeit noch eher jugendliche Vorstellungen und Pläne für sein Leben. Mit etwa 480 Jahren, wenn die Zeit der ersten Hitze vorbei ist, beginnt das politische Interesse der Feuerwichtel zu erwachen, das nicht selten nach einiger Zeit von der zweiten Hitze begleitet wird. Während bei der ersten Hitze etwaiges Zündeln noch spielerisch und eher versehentlich ›passiert‹, muss man davon ausgehen, dass im Mannesalter vieles mit – nicht immer guter – Absicht geschieht. Dann kann schnell aus einem Wutfunken ein großer Brand entstehen, der Emotionen und Reaktionen hervorruft, die zu gefährlichen Großfeuern führen. Deshalb ist der Dialog mit den Wichteln wichtig.
Im Alter von ungefähr 650 Jahren beginnt der Lebensabend der Feuerwichtel, der Haarschopf verliert seine orangerote Farbe und nimmt stattdessen die Farbe von Asche an. Auch die Hände, an deren Fingerspitzen zunächst Verdickungen in der Art von Streichholzköpfen sind, sehen im Alter aus wie abgebrannt, die schlanken Körper werden rissig wie trockene Zweige. Über den Verbleib der alten Feuerwichtel werde nicht gesprochen, irgendwann seien sie einfach verschwunden, erzählte Ignaz.
Er versprach am Ende des Gesprächs, mir demnächst einen Blumenwichtel namens Florian vorzustellen.
diese Seite auf Facebook teilen0