Von einer, die sich am Tisch die Haare kämmte ...
›Das Café Residenz und sein Konditor‹ erzählt bewegende und humorvolle Anekdoten aus einer langen Unternehmensgeschichte
Institution: das Café Residenz. Am 31. Januar schloss der Konditormeister seinen Betrieb, noch bevor eine Nachfolge gefunden werden konnte. Die Corona-Pandemie hatte die Entscheidung, in den Ruhestand zu gehen, beschleunigt. ›Tot‹ ist die Residenz allerdings nicht. Sie lebt in einem äußerst lebendigem schriftlichen Denkmal weiter, das der ehemalige Inhaber sich und seinem Lebenswerk gesetzt hat.
Buch schon länger in Planung
Bereits vor dem Beginn der Pandemie plante Hans-Joachim Schmale-Baars, seine Erinnerungen aus der Zeit seit den 1980er-Jahren aufzuschreiben und ein Buch über seinen Gastronomiebetrieb und das sich dort abspielende Leben herauszugeben. »Für meine Gäste und die Mitarbeiter wollte ich die Geschichten und Rezepte festhalten, um so einen Blick hinter die Kulissen zu ermöglichen«, berichtet der heutige Rentner. Kurz nach der Schließung begann die Arbeit, die jetzt abgeschlossen wurde und bei den Castrop-Rauxeler*innen auf begeisterte Resonanz stieß – aus gutem Grund! Die Leserinnen und Leser erwarten auf 150 Seiten nicht nur Rezepte der beliebten Torten, die in dem Café einst aus eigener Produktion angeboten wurden, sondern auch zahlreiche Anekdoten, die den besonderen Charakter des Hauses und seiner Gäste aufleben lassen. Berichtet wird über moralische wie unmoralische Facetten eines Gastronomenlebens, in dem auch Grapscher, zwielichtige Investoren und aufdringliche Hausgäste vorkamen. Das Buch ist im Querformat erschienen, wodurch die großformatigen Fotografien zur Geltung kommen, die auf vielen Seiten historische Bilder, die Köstlichkeiten des Hauses sowie private Aufnahmen aus der aktiven Zeit wiedergeben. Zudem sind zahlreiche kunstvolle Bilder von Stefan Lorenz abgedruckt. Der Lost-Places-Fotograf meldete sich bei Schmale-Baars kurz nach der Schließung des Cafés Residenz, um die sonderbar-besondere Atmosphäre dieses ›verlassenen Ortes‹ für die Nachwelt festzuhalten.
Originale aus dem Ruhrgebiet
Hans-Joachim Schmale-Baars berichtet in seinen Erinnerungen etwa von einer »Frau Schibulski, die sich am Tisch die Haare kämmte und sich dann lauthals beschwerte, dass ein Haar in ihrem Kaffee sei«. Und von einer »Frau Freitag, die seit Jahren jeden Tag kam, um drei Scheiben Toast mit Marmelade mit einem Kännchen Kaffee zum Mittagessen zu verzehren.« Die einzelnen Abschnitte des Buches sind kurzweilig und liebevoll erzählt. Sie handeln teilweise von Menschen, denen man vielleicht nur im Ruhrgebiet begegnen kann. Es finden sich in dem Buch außerdem Geschichten wie die von Oberstudienrat Tuschel, der ein Gericht auch drei Tage hintereinander bestellte, wenn es ihm schmeckte. Man darf sich auf echte Situationskomik, aber auch auf romantische oder dramatische, schicksalsbehaftete Anteile freuen, wenn es etwa um eine Traum-Hochzeitsreise nach Castrop-Rauxel oder um ›die Brustkrebsdamen‹ geht. Daneben beleuchtet das Buch auch die knapp vier Jahrzehnte überspannende Historie des Cafés.
Bamberg oder Castrop?
Nach dem Abschluss seiner Meisterprüfung im Jahre 1984 begab sich der aus Nordhessen stammende Konditor auf die Suche nach einem Ort, an dem er sich eine Existenz aufbauen könnte. Über Annoncen in Fachzeitschriften fanden sich zwei in Frage kommende Betriebe: ein zur Pacht ausgeschriebenes Café, das Schloss-Café in Bamberg, und die zum Verkauf stehenden früheren Räumlichkeiten der ›Alten Apotheke‹ in unserer Stadt. Dort hatte die Schwiegertochter der Apothekerfamilie bereits zuvor ein Café betrieben. Die Wahl fiel auf den Kauf der Jugendstilvilla an der Wittener Straße. Es folgten teils größere Herausforderungen beim Erwerb der Immobilie und der Existenzgründung, wie Hans-Joachim Schmale-Baars in seinem Buch ebenfalls berichtet. Das Café wurde nach der Eröffnung am 1. April 1985 immer wieder erweitert, renoviert und modernisiert, so dass es zuletzt als ›Konditorei-Café-Restaurant-Hotel‹ betrieben wurde.‹
Aufhören oder Weitermachen?
Eigentlich sollte 2020 das 35-jährige Jubiläum gefeiert werden, doch die Corona-Pandemie machte den Plan zunichte. Und so erfahren wir durch das Buch auch, zu welch schwierigen Überlegungen, Abwägungen und Entscheidungen ein Gastronom seit dem ersten Lockdown im März 2020 gezwungen war. Im Falle des Castroper Kaffeehauses führten sie letztendlich zur Schließung mitten in der dritten Welle. Doch auch in der Pension hat sich der Gourmet nicht von der Konditoreikunst abgewendet. Zwar betätigt er sich hier nur noch im privaten Rahmen, backt nur noch einen Kuchen pro Woche, um den häuslichen Bedarf zu decken. Daneben arbeitet er an der Verbesserung seiner ›pianistischen Eigenschaften‹, lernt Italienisch und genießt den Ruhestand zusammen mit seinem Ehemann, der ebenfalls an der Entstehung des Buches beteiligt war. Wir wünschen beiden alles Gute und eine weiterhin positiv gefüllte und entspannte Zeit: Auguroni!
»Was glotzen Sie mich so an?«
Lese-Appetithäppchen
Frau Freitag, die seit Jahren jeden Tag kam, um drei Scheiben Toast mit Marmelade mit einem Kännchen Kaffee zum Mittagessen zu verzehren, hatte sich während der Auseinandersetzung schon ganz klein gemacht und war so weit wie möglich an ihrem Tisch nach hinten gerückt. Jetzt aber fiel der Blick von Frau Schibulski auf sie. »Was glotzen Sie mich so an? Sie haben doch in Ihrem Leben noch gar nichts bezweckt.« Frau Freitag kriegte immer ihr Fett ab. Am Tag zuvor war Frau Brünninghausen ins Lokal gestürmt, die Witwe eines Musikprofessors, und hatte sich an den Nebentisch gesetzt. »Hören Sie, ich kann mir das nicht mehr ansehen, wie Sie schlichtes Gemüt an Ihren Toast-Scheiben knabbern. Essen Sie doch mal etwas Vernünftiges.« Dann rief sie die Bedienung herbei. »Bringen Sie der Frau mal die Speisekarte. Sie soll sich was aussuchen. Ich bezahle das auch.« Frau Freitag, sonst eher still und schüchtern, war aber entschieden. »Ich esse meine Marmeladen-Toasts, weil ich sie am liebsten mag. Ich will nichts anderes, und ich will schon gar nicht von Ihnen eingeladen werden.« Frau Brünninghausen war außer sich: »Sie sind eine impertinente, ganz unmögliche Person!« Auch wenn Frau Freitag in ihrer Bescheidenheit immer nur 7,50 Euro für das Kännchen Kaffee mit drei Scheiben Toast und Marmelade bezahlte und sich dafür von anderen ›Damen‹ angiften lassen musste, genoss sie es, drei, vier Stunden jeden Tag im Café zu sitzen. Das war ihr Zuhause, die Flucht vor der Einsamkeit in ihren eigenen vier Wänden. Sie hatte nur eine kleine Rente, aber 365 Tage mal 7,50 Euro waren auch 2.737,50 Euro, die sie jedes Jahr bei uns verzehrte.
›Das Café Residenz und sein Konditor‹ (13,90 Euro) ist inzwischen in der zweiten erweiterten Auflage im Verlag Druckpunkt Ruhr in Castrop-Rauxel erschienen und kann in der Castroper Leselust sowie anderen Buchhandlungen erworben werden (ISBN 978-3-00-069234-5).
Nachfolger gesucht
Hans-Joachim Schmale-Baars ist weiterhin auf der Suche nach möglichen Nachfolger*innen, die einen vollständig ausgestatteten und startbereiten Betrieb übernehmen könnten. Interessenten können sich gern bei ihm melden.
Hans-Joachim Schmale-Baars
Hotel Confiserie Café Restaurant Residenz
Wittener Str. 34
44575 Castrop-Rauxel
Tel. 0 23 05 / 47 47 oder 01 71 / 5 81 07 68
www.HotelResidenzCR.de
mail [at] HotelResidenzCR.de
