Stadtmagazin Castrop-Rauxel: Soziales

Ein Deckchen für die Reise über den Regenbogen

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›Von Zauberhand‹ näht für Frühchen, Sternenkinder und alle, die Hilfe brauchen

»Wir können nicht die Welt retten.
Aber wir können gemeinsam jeden Tag
ein kleines Stückchen besser machen.«

Im Dezember 2018 wurde in Kalifornien das leichteste Frühchen der Welt geboren: Gerade einmal 245 Gramm brachte Saybie auf die Waage – weniger als ein Päckchen Butter. Statistisch gesehen ist das Überleben des kleinen Mädchens ein großes Wunder. Andere Babys, die so extrem früh auf die Welt kommen, haben weniger Glück. In vielen Krankenhäusern werden die Winzlinge in Ermangelung passender Kleider in Handtücher oder Einwegpapier gewickelt, damit ihre Eltern sie ein erstes (und eventuell letztes) Mal in den Arm nehmen können.

»Aber dass das Kleine dann noch in Papier ›entsorgt‹ wird – das geht gar nicht!«

»Wenn man sich vorstellt, man würde ein Kind verlieren, ist das schon schlimm genug«, sagen Christina Arndt und Rainer Blum, die mit ihrer Freundin Daniela Steinmetz die gemeinnützige Initiative ›von Zauberhand‹ gegründet haben. »Aber dass das Kleine dann noch in Papier ›entsorgt‹ wird – das geht gar nicht! Das ist doch kein würdevoller Abschied!« Zusammen mit ihren ehrenamtlichen Helfern schneidern die beiden Altentherapeuten unter anderem Kleidung für Frühchen und sogenannte Sternenkinder im ganzen Ruhrgebiet. »Den kleinen Kämpfern, die es geschafft haben, schenken wir etwas Hübsches zum Anziehen. Und die Sternenkinder bekommen ein Kleid oder Deckchen für ihre Reise über die Regenbogenbrücke.«

3.615 Stoffmasken & über 1.000 Kleidungsstücke

Alles begann im April letzten Jahres während des ersten Lockdowns mit der Idee, Menschen in Not durch selbst genähte Spenden zu unterstützen. 3.615 Stoffmasken und über 1.000 Kleidungsstücke wurden seitdem NRW-weit an hilfsbedürftige Privatpersonen, Schulen, Kinderheime, Obdachlosenvereine, Bahnhofsmissionen und Kultureinrichtungen abgegeben. Erst kürzlich haben die Initiatoren mit der ›Elisabeth Grümer Hospiz‹-Stiftung an der Stadtgrenze Dortmund/Castrop-Rauxel Kontakt aufgenommen. »Wir helfen unkompliziert und vielseitig überall da, wo Hilfe gebraucht wird«, erklärt Rainer Blum. »Der Einsatz für Frühchen oder Sternenkinder hat sich hier als besonderer Schwerpunkt herauskristallisiert, weil der Bedarf einfach groß ist.« Das Thema liegt dem Paar auch persönlich am Herzen: Sie sind selbst ›Sternchen-Tante‹ und ›Sternchen-Onkel‹. Gruppenmitbegründerin Daniela Steinmetz ist zudem Mama eines Frühchens.

»Die Initiative ›von Zauberhand‹ ist
eine schöne Möglichkeit, betroffenen
Familien in ihrer Trauer beizustehen
und ein Thema, das sonst leider oft
totgeschwiegen wird, in den
Mittelpunkt zu rücken.«

Inspiriert durch Sternchen-Denkmal am Hallenbad

Die inzwischen 15 Gruppenmitglieder verteilen sich über ganz Deutschland. Einer von ihnen ist der aus Castrop-Rauxel stammende Fotograf Christian Cramer, der über die sozialen Medien dazu stieß. Auch er erzählt uns eine sehr persönliche Geschichte. »Ich hätte eigentlich eine vier Jahre jüngere Schwester haben sollen. Als Kind habe ich natürlich nicht so viel davon mitbekommen, aber später erfuhr ich, dass meine Eltern damals in den Siebzigern die Wahl hatten, die Totgeburt in einem Schuhkarton mit nach Hause zu nehmen oder sie für medizinische Zwecke freizugeben. Sie entschieden sich für Letzteres. Wann immer das später zur Sprache kam, herrschte gedrückte Stimmung im Haus. Irgendwann geriet es bei mir dann in Vergessenheit – bis ich für eine Fotostrecke durch Castrop den Baumkreis und das Sternchen-Denkmal auf der Wiese am Hallenbad entdeckte. Da habe ich mich wieder daran erinnert, und es hat mich dazu inspiriert, etwas für Betroffene beizusteuern. Die Initiative ›von Zauberhand‹ ist eine schöne Möglichkeit, den Familien in ihrer Trauer beizustehen und ein Thema, das sonst leider oft totgeschwiegen wird, in den Mittelpunkt zu rücken.«

Wickeljacken, Pumphosen und Mützchen in ›Puppengröße‹

Während Christina Arndt und Rainer Blum den Umgang mit Nadel und Faden erst erlernen mussten, bringt Christian Cramer wertvolle handwerkliche Erfahrung mit: Er schneidert, seit er mit dreizehn seine erste Nähmaschine zu Weihnachten bekam. »Wobei Frühchen-Kleider eine ganz neue Herausforderung darstellen«, verrät er. »Im Geschäft gehen die Textilien ja meist erst bei Größe 50 los. Ich habe gerade zwei Probesets mit Wickeljacke, Pumphose und Mützchen in 32 fertiggestellt. Das ist ›Puppengröße‹ – und echte Frickelarbeit, wenn das Nähfüßchen so gerade eben in den Ärmel reinpasst und man dazu noch große Hände hat. Aber es macht auch unheimlich viel Spaß. Ich finde es eine super Herangehensweise, flexibel überall da zu helfen, wo es geht.« »Und es ist einfach toll, wenn es freudestrahlend angenommen wird«, ergänzt Christina Arndt.

Mithelfer & Stoffspenden gesucht!

Da die Anfragen nicht abreißen, freut sich die Gruppe auch weiterhin über engagierte Unterstützung und Stoffspenden. Insbesondere werden Jersey-Stoffe, Bündchen und Jersey-Druckknöpfchen benötigt. Auch ausrangierte Brautkleider werden von den Ehrenamtlichen weiterverarbeitet. Aus ihnen entstehen zum Beispiel Taufaufnäher und Taufkleidchen für Frühchen sowie Sternendecken, Sternenschiffchen und kleine Erinnerungsstücke. »Üblicherweise wird den Sternenkindern ein Stoffstern oder ein Stoffherz mit ins Grab gelegt«, erklären Rainer Blum und Christina Arndt. »Die Eltern erhalten dann für gewöhnlich einen Aufnäher aus demselben Stoff. Wir finden es aber wichtig, dass alle Hinterbliebenen, also Mama und Papa sowie eventuelle Geschwisterkinder, jeweils ihr eigenes Erinnerungsstück bekommen.«

www.vonzauberhand.de
info [at] vonzauberhand.de

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