Stadtmagazin Castrop-Rauxel: Dies und Das

Die Brötchendiebe

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Jule Springwald erzählt

Wir hatten nette Nachbarn, das muss man sagen. Klönen am Gartenzaun, gegenseitige Besuche zum Kaffeetrinken oder zu Parties, Hilfe bei allen möglichen Sachen … Alles keine Frage, es lief reibungslos. Die Kinder waren alle ungefähr im gleichen Alter, man kannte die jeweiligen Macken ganz gut und konnte damit umgehen und sich gegenseitig im Bedarfsfall ›Trost und Rat‹ holen. Eine kleine Idylle, man möchte fast sagen, das Paradies auf Erden. Mensch und Tier vertrugen sich einfach.

Lange schien es so, als könnte dieses Glück niemals getrübt werden, als gäbe es kein Wölkchen an unserem azurblauen Himmel. Aber eines Tages stand einer unserer Nachbarn zornig vor unserer Haustür, in der Hand ein Blatt Papier, das er uns – zunächst wortlos – hinhielt. Es war eine Rechnung des Dorfbäckers über die Lieferung von Brötchen im vergangenen Monat.

»Ach«, sagte meine Mutter. »Dann sind das also eure Brötchentüten, die ich jeden Tag in unserem Garten aufsammeln muss. Ist eure Tonne so voll, dass ihr sie nicht in den Müll werfen könnt?« Der Nachbar war für einen kurzen Moment überrascht, da kam seine Sprache wieder. Er fuhr meine Mutter an, was sie sich denke, warum er gekommen sei? Ob sie das lustig fände? Was ihr überhaupt einfiele, schließlich hätten sie – die Nachbarn – diese Brötchen bestellt und nicht bekommen, und ganz eindeutig hätten wir sie ja wohl irgendwie abgefangen …

Bevor er weiter schimpfen und sich noch mehr in seinen Wutausbruch hineinsteigern konnte, fragte meine Mutter, ob er einen Kaffee haben wolle oder lieber etwas Stärkeres. Ungläubig ob dieser Frage nickte er nur und kam mit meiner Mutter ins Haus. Dort besprachen die beiden bei einer Tasse Kaffee die Lage. Diese stellte sich so dar: Unsere Nachbarn hatten seit einer Woche einen Lieferservice der dörflichen Bäckerei in Anspruch genommen und für jeden Werktag zehn Brötchen bestellt, die vor der Haustür abgeliefert werden sollten. Als die Rechnung kam, waren sie aber sehr erstaunt, weil keine Brötchen geliefert worden waren. Sie hatten, weil ja keine Brötchen angekommen waren, vermutet, dass die Bäckerei etwas falsch verstanden hatte und erst im nächsten Monat liefern wollte, weil die Bestellung so spät gekommen war, dass nur eine Woche von dem laufenden Monat übrig war. Es ging also um 6 x 10 Brötchen, damals für 9 Pfennige das Stück, bei Lieferung 1 Pfennig pro Brötchen Aufschlag. Das hört sich wenig an, aber wenn man nichts dafür bekommt, ist wenig eben zu viel. Der Nachbar war also zur Bäckerei gegangen und hatte um Aufklärung gebeten. Dort wurde ihm gesagt, man habe jeden Morgen um halb sechs eine Tüte mit zehn Brötchen vor seiner Haustür abgestellt. Diese Tüten standen aber um sechs Uhr definitiv nicht mehr vor der Tür.

Wir hatten zu der Zeit zwei Hunde: Britta, eine Deutsch-Kurzhaar-Hündin, und ihren Sohn Satan, das Ergebnis einer Zufallsbekanntschaft mit einem Schäferhund. Und uns drängte sich ein Verdacht auf. Wir beschlossen, am nächsten Tag aufzupassen, wenn unsere Hunde morgens ihre erste Runde im Garten drehten. Meine Mutter ließ die Hunde jeden Morgen um halb sechs einmal laufen, wenn sie sich ihre erste Tasse Kaffee machte und hatte sich bisher nichts dabei gedacht, da ja unser Garten umzäunt war.
Am Morgen liefen die beiden also in den Garten. Man hörte, wie ein Fahrrad den Weg hinunterfuhr, jemand das Gartentor beim Nachbarn öffnete, kurze Zeit wieder schloss und dann weiterfuhr. Nun kam der Moment: An einer Stelle, die wir vorher nicht bemerkt hatten, war ein Loch in unserem Zaun. Durch dieses liefen die Hunde zum Zaun des Nachbargrundstücks. Britta konnte nicht auf das Grundstück gelangen, aber Satan sprang behände über den Jägerzaun, holte die Brötchentüte und schob sie unter dem Zaun durch. Britta trug sie zur Zaunlücke, und die beiden machten auf unserer Wiese ein Frühstückspicknick mit Nachbars Brötchen. Nur die Tüte blieb übrig.

Natürlich hat meine Mutter die geklauten Brötchen bezahlt und auch für diesen Tag neue Brötchen beim Bäcker geholt. Die Nachbarn hängten nun einen Beutel an die Haustür, in den der Bote die Brötchen morgens einpackte. So konnten sich die beiden Diebe nicht mehr daran bedienen. Der Friede war wiederhergestellt, und wir konnten unser Paradies noch geraume Zeit genießen, wobei hin und wieder jemand die Geschichte von den Brötchendieben erzählte, wenn die Nachbarn alle mal wieder beim Kaffee zusammensaßen.

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