Stadtmagazin Castrop-Rauxel: Dies und Das

Aggression bei Hunden

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Hintergründe, Ursachen und Hilfestellungen

Man kann in Tiere nichts hineinprügeln, aber man kann manches aus ihnen herausstreicheln.

(Astrid Lindgren)

Hundstage – so lautet die umgangssprachliche Bezeichnung für die heiße Phase im Sommer vom 23. Juli bis zum 23. August. Und wie lässt sich ein Tag in dieser Zeitspanne schöner verbringen als bei einem entspannten Spaziergang durch den Stadtgarten mit einem gut gelaunten Rüden?! Jack, so heißt der Gefährte, und Jack hat was! Das beginnt schon mit seinen wunderbaren Augen: das eine braun, das andere blitzblau. Wau!

Das Leben ist kein Zuckerschlecken

»O ja, Jack ist schon ein besonderer Hund!«, sagt Herrchen und Hundetrainer Marcus Liedschulte, »damit meine ich nicht nur seine Augen. Er wurde vor circa neun Jahren in Bulgarien geboren und lebte dort als Straßenhund, bis er vor sieben Jahren von ›Pfotenrettern‹ in die BRD gebracht wurde.« Kein einfaches Leben – weder in Bulgarien, noch in Deutschland. »Viele Tierschützer unterschätzen diese Problematik. Sie glauben, mit ihrem Einsatz verwahrlosten, ›obdachlosen‹ Hunden helfen und ihnen ein besseres Leben bieten zu können. Das ist aber nicht unbedingt der Fall«, erklärt Marcus Liedschulte. »Natürlich ist der Alltag eines Straßenhundes kein Zuckerschlecken, im Gegenteil. Andererseits sind die Tiere in ihrer neuen ›Heimat‹ oft hoffnungslos überfordert – und die neuen Herrchen und Frauchen erst recht.« Dies liegt seiner Erfahrung nach unter anderem daran, dass die Streuner in ihrem Überlebenskampf ein ganz eigenes Sozialverhalten entwickeln (müssen). Der existenzielle Kampf um Futter prägt und verstärkt halt ganz andere Eigenschaften und Eigenheiten als sie von normalen Hundehaltern gewünscht und benötigt werden. Auf der anderen Seite fehlt das so wichtige Erlernen von Kommunikation und Regeln, von Gehorsam und Unterordnen im menschlichen ›Rudel‹. Hinzu kommen völlig fremde Umgebungsbedingungen: Gerüche, Geräusche, Straßenverkehr …

Kein einfacher Start

Auch bei Jack verlief der Start ins neue Leben alles andere als perfekt. »Zunächst kam er in ein Tierheim, von dort zu einem jungen Pärchen, das von der Problematik als solches, aber auch vom durchaus komplexen Thema Hundehaltung und -erziehung leider keine Ahnung hatte«, berichtet Marcus Liedschulte. »Sie konnten mit Jacks ›Macken‹ so gar nicht umgehen, verständlicherweise. Er verteidigte extremst vehement sein Futter, selbst wenn es gar nicht seins war. Er biss ohne Vorwarnung zu, wenn er sich – aus nicht unbedingt ersichtlichen Gründen – bedrängt oder bedroht fühlte. Darauf reagierten die beiden wohl mit sehr massiven Trainingsmethoden wie Teletac, einem Elektrohalsband, auf dem mithilfe einer Fernbedienung vom Besitzer Stromschläge ausgelöst werden können und dessen Nutzung eigentlich tierschutzrechtlich verboten ist – aus gutem Grund! Es sorgt für starke Schmerzen, kann einen Hund noch stärker verunsichern und seine Aggressivität weiter verstärken.« So war es auch bei Jack. Also landete er kurze Zeit später wieder im Tierheim. Sein Vertrauen zu Menschen und zur neuen Umgebung war verlorengegangen, sein Schicksal schien besiegelt – bis zum November letzten Jahres. Dann kam Marcus.

Rasse ist nicht gleich Rasse

Nun muss man wissen, dass der Hundeliebhaber und -trainer sich in den letzten Jahren unter anderem besonders dem Themenbereich Aggressionstraining gewidmet hat. Dabei ist Marcus Liedschulte wichtig zu betonen, dass eine gute Erziehung bei weitem nicht nur für Tiere mit ›Migrationshintergrund‹ von Bedeutung ist. Und auch die Rasse als solche sagt seines Wissens nicht unbedingt alles über das Aggressionspotenzial aus. »Natürlich gibt es generelle Unterschiede zwischen Mops, Labrador und Dogge – Rasse ist nicht gleich Rasse! – doch auch Charakter, genetische Veranlagung und Lebenslauf spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Dennoch darf der Gesichtspunkt ›Hundeart‹ nicht unterschätzt werden, schließlich wurden die Rassen über Jahrzehnte wenn nicht sogar Jahrhunderte in Hinsicht auf bestimmte Eigenschaften hin gezüchtet, wobei interessanterweise viele Leute nicht wissen, was für ein Hund sich hinter welcher Spezies versteckt.« Beispielsweise würden Hirten- und Hütehund häufig in einen Topf geworfen, dabei handelt es sich um völlig unterschiedliche Typen mit ganz eigenen Verhaltensweisen. Ein Hirtenhund, wie zum Beispiel der türkische Karabas oder der ungarische Komondor, verteidigt seine Schützlinge vor vierbeinigen Angreifern und verfügt von daher über einen ausgeprägten Schutztrieb. Hütehunde (z. B. Border Collie) verhindern, dass sich einzelne Tiere von der Herde lösen und gehen dabei durchaus energisch dirigierend vor, manche von ihnen (so genannte Koppelgebrauchshunde) treiben sogar ihre ›Untergebenen‹ von einer Weidewiese zur anderen. Sie arbeiten in gewissem Maße selbstständig, besitzen aber auch einen außergewöhnlichen Gehorsam, schließlich gilt es, die Anweisung des Hundeführers zu befolgen. »Von daher hat jede Art einen ganz eigenen, rassespezifischen Charakter! Deshalb sollten sich angehende Hundehalter im Vorfeld genau erkundigen, um zu sehen, ob das neue Familienmitglied auch wirklich zum Umfeld und Alltag passt!«

Nicht nur der Hund, auch der Trainer muss passen

Er empfiehlt, sich vor der Entscheidung, welcher Hund es sein soll, möglichst mit einem entsprechend erfahrenen Experten zusammenzusetzen und sich hier beraten zu lassen. »Diese Online-Tests im Internet sagen viel zu wenig aus. Nehmen Sie hier das geschulte Auge und Wissen eines Hundetrainers in Anspruch. Es macht meiner Meinung nach sogar Sinn, gemeinsam mit ihm zum Züchter zu gehen, denn leider gibt es da gute und schlechte Vertreter ihrer Zunft.« Doch nicht nur Hund und Züchter müssen stimmig sein, auch der Hundetrainer selbst sollte seiner Ansicht nach passen. »Ich sehe es selbst immer wieder bei meiner Arbeit, wie wichtig Faktoren wie Vertrauen und Kommunikation sind. Wir wissen ja vermutlich alle, dass man von manchen Menschen Ratschläge und Anleitungen gut annehmen kann, von anderen eher nicht. Das ist beim Hundetraining nicht anders.«

Rechtzeitig auf Warnsignale reagieren

Wann sollte überhaupt ein Hundetraining in Anspruch genommen werden, fragen wir. »Prinzipiell ist ein Grundkurs immer von Vorteil, insbesondere bei ›Hundeanfängern‹. So werden gravierende folgeträchtige Fehler schon im Vorfeld vermieden, stattdessen schaffen Sie eine gute ­Basis für ein gutes Miteinander. Entscheidend aber wird es unbedingt, wenn Sie bei Ihrem Gefährten gewisse Warnsignale wahrnehmen, wenn er beispielsweise nicht auf Rückrufe reagiert, Angst- oder verstärktes Aggressionsverhalten zeigt. In solchen Situationen sollten Sie auf jeden Fall professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, denn es gibt durchaus unterschiedliche Aggressionsformen, die entsprechend individuell angegangen werden müssen. So ist ein Beutefangverhalten keine allgemeine Aggression. Bei Jack beispielsweise handelt es sich um eine sogenannte Ressourcenverteidigung – aus guten Grund. Für ihn als Straßenhund war es schlichtweg überlebenswichtig, seine Nahrung sowie die sichersten Plätze zu schützen und Angreifer abzuwehren. Zusätzlich gibt es bei ihm noch das Problem mit der ›Aggressionsumleitung‹: In dem Moment, da er eine Bedrohung wahrnimmt – einen Hund, ein Geräusch oder etwas anderes, was ihn aggressiv macht –, die aber nicht in seiner Reichweite ist, beißt er in das nächste, was ihm in den Fang kommt, egal ob Wäschesack oder Bein. Es gibt aber noch weit mehr Aggressionsarten: territoriale Aggression, Angstaggression, Selbstschutzaggression usw. Dabei darf man niemals vergessen, dass Aggression eine genetisch veranlagte Kommunikationsform ist, ein biologisches Normalverhalten. Jeder Hund, egal welcher Rasse, besitzt die Fähigkeit zur aggressiven Kommunikation. Manche Hunde reagieren übrigens nicht aus Selbstschutz stärker als gewünscht, sondern weil sie sich vor ihr vermeintlich schwaches Herrchen stellen wollen. Manchmal ist halt nicht der Hund das Problem, sondern der Mensch. Das gilt es anzunehmen, einzusehen und umzusetzen. Nur so kann eine harmonische, respektvolle Beziehung zwischen Ihnen und Ihrem Hund entstehen.«

Zu Hause angekommen

Zurück zu Jack: Wie hat sich seine Beziehung zum neuen Kumpel entwickelt, wie wohl fühlt er sich in seinem neuen Zuhause? »Jack geht es gut«, lächelt Marcus Liedschulte. »So langsam kommt sein Vertrauen wieder. Tatsache ist, dass er wohl nie ein ›normaler‹ Hund werden wird, dafür haben ihn seine ersten acht Lebensjahre zu stark geprägt. Obwohl er anderen ›Kollegen‹ durchaus positiv begegnet, kann ich ihn nur an der Leine führen. Ein Freilauf ist nicht möglich. Und auch zu Hause gilt es so einiges zu beachten: Er lernt aber langsam, dass es nicht mehr notwendig ist, seinen Napf zu verteidigen. Dazu gehörte und gehört nach wie vor viel Vertrauensarbeit und Arbeit mit Futter: in der Nähe bleiben beim Fressen, Tauschgeschäfte, spielerische Trainingseinheiten mit Futterbeutel … Und auch das Schnappen nach Gegenständen, wenn er von irgendwo ein irritierendes, bedrohliches Signal wahrnimmt, ist nach wie vor ein Thema. Dafür kuschelt er mit mir mittlerweile so oft er kann. Insgesamt führt Jack ein glückliches Leben, und darüber freue ich mich, das gibt uns beiden sehr viel!«

Termintipps

Qualzucht – Wenn Schönheit krank macht

13. Oktober · 10–17 Uhr
Referentin Dr. Irene Sommerfeld-Stur

Hundekauf – was man vorher wissen sollte

14. Oktober · 10–17 Uhr
Dozentin Dr. Irene Sommerfeld-Stur

Aggressions-Workshop

27. + 28. Oktober · 10–17 Uhr
Der zweitägige Workshop richtet sich an Menschen, die privat oder beruflich mit auffälligen Hunden zu tun haben. Eigene Hunde dürfen gerne nach Voranmeldung mitgebracht werden. Im theoretischen Teil werden die verschiedenen Formen der Aggressionen durchgegangen und erklärt, wodurch diese entstehen können. Wie reagiert man, wenn man mit einem aggressiven Hund konfrontiert wird? Verhalten im Konflikt mit schwierigen Hunden kann sich situativ unterscheiden. Auch das Thema Selbstschutz gehört hier natürlich dazu.
Im praktischen Part geht es an die Analyse, dazu stehen zwei Hellhounds zur Verfügung.

Abendvortrag: Aggression

27. Oktober · 19 Uhr
Dozenten: Vanessa Bork (Hellhound Foundation) und Sonja Klugmann (Klugmann – Dein Hund und Du)

Weitere Informationen (Ort, Preis, Anmeldung) gibt es unter: www.bestfriends-castrop.de

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