Stadtmagazin Castrop-Rauxel: In der Stadt

100 Jahre St. Antonius

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Zurück in die Vergangenheit

Eine Kirche, die unter Federführung eines weltberühmten Architekten auch unter Mithilfe zahlreicher ehrenamtlicher Helfer erbaut wird. Ein Pfarrer, der sein letztes Hemd – beziehungsweise seine letzte Hose – an Bedürftige verschenkt. Ein kleiner Junge, der im Krieg lebendig begraben und ›wiedergeboren‹ wird. Die Geschichte der Gemeinde St. Antonius steckt voller Wunder und Überraschungen. Zum 100-jährigen Bestehen wollen wir einen Blick zurückwerfen – und sprachen zu diesem Zweck mit zwei ›eingefleischten‹ Ickernern: Heinz-Jürgen und Jutta Hardt.

Wundersame Rettung

»Zur Welt gekommen bin ich in Castrop – aber nur, weil es hier in Ickern kein Krankenhaus gab«, verrät Heinz-Jürgen Hardt. »Dafür habe ich in Ickern quasi eine Wiedergeburt erlebt, als ich 1944 im Alter von zehn Wochen bei einem Bombenangriff unter den Trümmern meines Elternhauses begraben und wie durch ein Wunder gerettet wurde.« Angesichts dieser emotionalen Erfahrung ist es nicht erstaunlich, dass der frühere ASG-Lehrer ein besonderes Interesse an seinem Stadtteil und dessen Historie hegt. Anlässlich des runden Jubiläums durchforstete er die handgeschriebene Gemeindechronik, die ab 1965 – teils schwer lesbar – angelegt wurde und bis zu den Anfängen zurückreicht. »Ich bin wahrscheinlich der einzige, der das jemals durchgeackert hat«, schmunzelt er.«

Bergbau bestimmte die Geschicke der Gemeinde

Alles begann am 4. September 1907: »Das war der Geburtstag des modernen Ickern, denn die Ortsgemeinde hat damals mit der Zechengesellschaft einen Vertrag über die Anlage eines Bergwerks abgeschlossen, der die Geschicke für viele Jahrzehnte bestimmen sollte.« Lange hatte das beschauliche Bauerndorf Ickern politisch wie kirchlich zu Mengede gehört. Mit dem Einzug des Bergbaus kam es zu einer Bevölkerungsexplosion, die selbst für Ruhrgebietsverhältnisse außergewöhnlich war. »Unter den ›Gastarbeitern‹ befanden sich viele Katholiken aus Polen und Böhmen, so dass die Zahl der Gemeindemitglieder schlagartig von 800 im Jahre 1911 auf 4.000 im Jahre 1912 anwuchs. Eine geregelte Seelsorge konnte somit von Mengede aus nicht mehr betrieben werden.«

Notkirche platzte aus allen Nähten

Bereits 1908 hatte sich ein Männerverein gebildet, der an der Ickerner Straße eine Notkirche und davor ein Vereinshaus errichten ließ – Geld für eine ›richtige‹ Kirche war nicht vorhanden. »In dem Betsaal kamen aber nur rund 300 Gläubige unter, so dass sonntags sechs bis sieben Messen gehalten werden mussten, während der Raum aus allen Nähten platzte«, erzählen Jutta und Heinz-Jürgen Hardt. »Die Notkirche wurde 1943 durch Bomben zerstört, das ehemalige katholische Vereinshaus steht immer noch, es hat sich allerdings ins Gegenteil verkehrt und ist heute eine Spielhölle.«

Ein Sprachgenie mit einem großen Herzen

1918 wurde Ickern zur Pfarrei erhoben. Erster Pfarrer war der bis heute unvergessene Franz Hillebrand: ein hochbegabter, politisch engagierter Visionär, der das Schicksal der Gemeinde bis zu seinem Tode 1943 entscheidend prägte und für seine Verdienste bald eine Gedenktafel erhalten wird. »Es gibt Berichte darüber, wie er umgeben von einer Tabakwolke an seinem Schreibtisch saß und Geburts- sowie Taufurkunden aus verschiedensten Sprachen ins Deutsche übersetzte«, so der Hobbyhistoriker. »Polnisch lernte er ›nebenbei‹, um Messen in der Landessprache der polnischen Gemeindemitglieder halten zu können.« Als Ickern 1920 von kommunistischen Splittergruppen bedroht wurde, marschierte Franz Hillebrand durch die feindlichen Linien, um Frieden zu stiften. Ein großes Herz für Menschen in Not soll der Pastor ebenfalls gehabt haben. Heinz-Jürgen Hardt: »Das weiß ich von meiner Mutter, die ihn persönlich kannte. Einmal verschenkte er seine einzige Hose und lief tagelang ausschließlich mit seiner Soutane bekleidet herum. Ein anderes Mal gab er sein Bett ab und musste fortan auf dem Boden schlafen. Als die Haushälterin einmal zu Ostern den Braten servieren wollte, war dieser samt Topf verschwunden – ebenfalls verschenkt an Bedürftige.«

Erste Parabelkirche Deutschlands

Auch die Errichtung der St. Antonius-Kirche in schwierigsten wirtschaftlichen und politischen Zeiten wird dem unermüdlichen Einsatz des beliebten Geistlichen zugeschrieben. »Es handelte sich um die erste moderne, im expressionistischen Stil gebaute Kirche der Umgebung, deren inneres Gewölbe im damals neuen Baustoff Beton errichtet wurde«, weiß Jutta Hardt. Möglich wurde das Meisterprojekt ab 1922, weil Zechenchef Peter Klöckner seinen Hausarchitekten Alfred Fischer zur Verfügung stellte – einen Industriearchitekten von Weltruhm. Darüber hinaus stiftete er 50.000 Mark und 250.000 Ziegelsteine. Viele Ehrenamtliche wirkten am Bau des neuen Gotteshauses mit. »So auch mein eigener Großvater«, erzählt Heinz-Jürgen Hardt. Im Mai 1925 wurde Deutschlands erste Parabelkirche mit Sitz in Ickern fertiggestellt.

»Bei uns ist immer etwas los!«

Wenngleich sich die Reihen unter dem Dach von St. Antonius im Vergleich zu früher ein wenig gelichtet haben – mit rund 3.400 Mitgliedern bildet die Gemeinde nach wie vor eine starke, äußerst lebendige Gemeinschaft. Um die bestehenden Kräfte zu bündeln, fusionierte sie im Jahr 2015 mit St. Josef, Habinghorst, St. Barbara, Ickern und Herz Jesu, Rauxel zur Gesamtpfarrei Corpus Christi. »Man muss Schwerpunkte für die verschiedenen Zielgruppen wie Kinder, Jugendliche, Familien und Senioren schaffen, auch projektorientiert arbeiten«, so Heinz-Jürgen und Jutta Hardt. »Bei uns ist eigentlich immer etwas los.« Da gibt es den Cäcilienchor, der auf drei Kontinenten und in 15 Hauptstädten gesungen hat, die liturgische Gruppe ›Volltreffer‹ oder das Duo ›Musik verbindet‹ und sogar Cheerleader. Ickerner Senioren treffen sich seit 20 Jahren immer freitags beim Frühstückscafé, junge Mädchen engagieren sich als Babysitter, Männer des Stadtteils betätigen sich als ehrenamtliche Pfleger des Kirchengrundstücks. Eine Attraktion für kleine Ickerner ist seit 1950 der große Nikolausumzug mit Pferdekutsche. »Damals hatten die Kinder ihre Laternen dabei, heute bringen sie ihre Lichtschwerter mit«, schmunzelt Jutta Hardt.

Aktionen im Jubiläumsjahr

31.05. Fronleichnamsprozession
02./03.06. Juni Gemeindefest
Sommer Familientag
Ende November Exerzitien
30.11. Kirchenkabarett mit Ulrike Böhmer
02.12. Abschlussmesse

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