Stadtmagazin Lünen: Kunst und Kultur

Ein Afrikaner im Wohnzimmer

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Im Gespräch mit dem Lüner Autor Michael Marten

»Marianne war in der Küche, und ich fragte sie, wer der Kerl sei und was er hier in unserer Wohnung mache. Sie wusste es nicht. Er sei halt auf einmal da gewesen.«

Stellen Sie sich vor, Sie kommen nach Hause, und plötzlich sitzt da ein fremder Afrikaner in Ihrer Wohnung. Noch schlimmer: in Ihrem innig geliebten Fernsehsessel! Genau das passiert Georg Schubert, dem Protagonisten im neuen Werk des gebürtigen Lüner Autors Michael Marten.

Familienvater Georg ist ›not amused‹. Eigentlich führt er mit Frau und Kindern ein recht geordnetes Leben. Doch seine Versuche, den ungebetenen Gast schnell wieder loszuwerden (etwa durch heimliches Zustecken von Geldscheinen), schlagen fehl, zumal sich seine Angehörigen mit dem geheimnisvollen Besucher zu solidarisieren beginnen: »Es sieht schon extrem blöd aus, einen Afrikaner auf die Straße zu setzen«, wie Ehefrau Marianne anmerkt. Tochter Julchen möchte mit dem ›großen Onkel‹ spielen. Und Teenager-Sohn Alexander findet ihn vor allem cool. »Endlich mal jemand, der so gar nicht in unsere spießige Reihenhaussiedlung passt«. So endet die Abstimmung drei zu eins: Der Onkel bleibt. Man gibt sich weltoffen und tolerant. Bis die familiäre Willkommenskultur auf die Probe gestellt wird …

Was macht man, wenn das ›Flüchtlingsproblem‹ plötzlich im heimischen Wohnzimmer sitzt? Was, wenn sich die Ehefrau erst engagiert und dann afrikanisiert? Und sich der unerwartete Gast ganz anders verhält, als man erwartet? ›Besuch‹ ist eine satirische Versuchsanordnung in der kleinbürgerlichen Komfortzone. Nach der Lehrerzimmergroteske ›Drei Klausuren und ein Todesfall‹ legt Michael Marten eine absurd-komische Parabel über Klischees, Vorurteile und Projektionen vor.

Interview

Ein Afrikaner im Wohnzimmer – was hat Sie auf diese Idee gebracht?
»Flüchtlinge kennen wir meist nur aus den Medien, da dachte ich mir, es wäre vielleicht interessanter, wenn es eine direkte Auseinandersetzung gäbe.«
 
Der misstrauische Familienvater, die überengagierte Mutti, der rebellische Teenager-Sohn … Diese Typen haben schon etwas Loriot-haftes. Lassen Sie sich vom realen Alltag inspirieren? Müssen Ihre Mitmenschen fürchten, sich wiederzuerkennen?
»Eher nicht, ich versuche stets so zu schreiben, dass niemand aus meinem Bekanntenkreis das Gefühl haben könnte, ich hätte ihn/sie bloßgestellt.«

Wie wichtig ist Ihnen Ihr Fernsehsessel?
»Mein Fernsehsessel ist eine Couch, auf der ich oft liege und gar nicht selten während des Fernsehens einschlafe.«

Wie sehen Ihre realen Erfahrungen mit Flüchtlingen oder auch Flüchtlingshelfern aus?
»Zum einen die Bekanntschaft mit einem syrischen Flüchtling, der in einer Bäckerei in der Nähe arbeitete, mittlerweile aber wieder zurückgekehrt ist. Zum anderen Schüler in den sogenannten Willkommensklassen, in denen Flüchtlinge Deutschunterricht erhalten.«

Möchten Sie die Menschen mit Ihrer Geschichte zum Umdenken bewegen? Oder soll das Lesen des Buches vielleicht einfach nur Spaß machen?
»Falls beides einträfe, ich hätte nichts dagegen. Allerdings: Jeder Mensch liest ein Buch anders und fällt ein eigenes Urteil.«
 
Sie wurden in Lünen geboren, wohnen aber inzwischen in Berlin-Neukölln. Haben Sie noch Kontakt zu Ihrer alten Heimat an der Lippe?
»Zu Weihnachten oder zu Anlässen wie runde Geburtstage fahre ich nach Lünen. Zuweilen vermisse ich die Menschen, die man lange kennt und gerne häufiger sehen würde.«

Buchtipp

Michael Marten · ›Besuch‹
Satyr · 11,99 Euro

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