Nordstraße 15
Das Haus der Jugend im Wandel der Jahrzehnte
Außen eine antike Straßenlaterne neben der schweren Eingangstür, Säulen, die die Hausfassade schmücken, feine Spitzengardinen hinter den Fensterscheiben, vier Stufen führen zum Eingang, darüber prangt der Schriftzug ›Soedingstiftung‹. Im Innern stehen glänzende Holztische auf dunklem Parkett, Bilder und Kleiderhaken ziehen sich die Wände entlang, daneben ein Klavier mit filigran ausgearbeiteten Kerzenhaltern. So sah das Haus der Jugend noch Mitte der 1930er-Jahre aus.
Bis es letztendlich dazu kam, galt es einen Berg an Bürokratie zu bewältigen. Die Brüder Friedrich und Julius Soeding stifteten Grundstück und Haus aus dem Nachlass ihres Vaters der Stadt Witten im Jahre 1915, mit dem dringenden Anliegen, daraus ein Jugendheim zu schaffen sowie den Familiennamen beizubehalten. Jedoch sollte die Konstitution eines solchen Heimes noch auf sich warten lassen, denn die Genehmigung sämtlicher Pläne zog sich bis in die 1920er-Jahre hin. Noch bis 1925 wurde das Gebäude ausschließlich als Verwaltungsgebäude für Gesundheits- und Jugendamt genutzt, vorübergehend waren dort mitunter eine Mütterberatungsstelle und ein Säuglingsheim untergebracht.
Während das Haus der Jugend endlich den Wünschen der Brüder entsprechend eingerichtet worden war, war der Wandel der Zeiten auch in der Nordstraße zu spüren. Zwischen Kaufleuten, Elektrikern und Malern residierte in der Nummer 16 der jüdische Arzt Dr. Julius Böheimer, welcher in der Nacht der Novemberpogrome 1938, in der des Weiteren auch die nicht fern gelegene Synagoge in Brand gesetzt wurde, zu Nachbarn flüchten musste. In seiner Praxis gegenüber, in der Nordstraße 19, traf zu jener Zeit die Kreisleitung der NSDAP zusammen. Auch das Haus der Jugend wurde in der NS-Zeit zu Zwecken der Hitlerjugend sowie des Bundes Deutscher Mädel genutzt.
Von 1944 an stellte die Stadt den Wohnraum der Soeding Stiftung Familien zur Verfügung, die aufgrund von Bombenangriffen ihr Zuhause verloren hatten. Fünf Jahre später verlangte der Wittener Jugendring, das Haus seinem ursprünglichen Nutzen zurückzuführen. Infolgedessen forderte man die untergebrachten Familien dazu auf, die Räumlichkeiten zu verlassen und anderweitig Wohnungen zu finden, was sich jedoch nachträglich aufgrund der Wohnungsnot als schwierig herausstellte.
Erst im Januar 1955 begannen die Aufbauarbeiten, eine generelle Instandsetzung sowie neue Fassade, da Bombensplitter große Teile zertrümmert hatten. Bereits Ende November desselben Jahres kam es zur Wiedereröffnung und das neu eingerichtete Haus der Jugend erfreute sich kurz darauf schon üppiger Besucherzahlen. Unter der Woche fanden sich primär Vereine zusammen, darunter der Bund Deutscher Pfadfinder, der Jugendfilmclub und der Wittener Jugendchor. Die 1960er waren voraussichtlich die Hochphase der Veranstaltungen, mit rund 690 allein im Jahre 68.
Ganz im Sinne der Soeding-Brüder hat sich das beabsichtigte Jugendheim gehalten. Im Innern schallt laut Musik durch den Treppenaufgang, durchmischt von Kinderlachen, in der oberen Etage flackert Discolicht, Schultaschen und Winterjacken häufen sich an der Garderobe. Im Jugendcafé läuft Fußball, Tee dampft in den Tassen und die Sofas füllen sich langsam aber sicher mit Jugendlichen. Runde Deckenlampen erleuchten eine kleine Bar, den großen Billardtisch und Topfpflanzen auf den Fensterbänken. An manchen Abenden wird hier gekocht, Kuchen gebacken oder Popcorn gemacht. Fotos führen die Treppenstufen nach oben, die meisten zeigen Ausschnitte der Stadt, eines die Gedenktafel der Synagoge. Sie wurden von den Kindern selbst ausgewählt.
Junge Menschen zwischen 12 und 27 können hier mit Problemen allerart Ansprechpartner finden, mitunter Begleitung bei der Jobsuche, Unterstützung mit schwer verständlichen Dokumenten oder Problemen zu Hause. Gelegentlich finden Filmabende und Ausflüge statt, für die die Jugendlichen nicht selbst aufkommen müssen.
Auch die Jüngeren finden ihren Raum in Form des Kindertreffs, wo eine Vielzahl von Freizeitaktivitäten geboten wird. Abgesehen davon sind Bewerbungen von Studierenden im Bereich sozialer Arbeit gerne gesehen, die sich jederzeit beim Jugendamt melden können, um sich dem Team anzuschließen. Der Einrichtung der 1930er-Jahre ähnlich, steht auch heute noch ein dunkel glänzendes Klavier im Jugendcafé, außerdem zieren zwei Straßenlaternen den Eingang zum Gebäude; darüber, wie vor über hundert Jahren versprochen, die Worte ›Soeding Stiftung‹.
Obwohl die Bedingung der Soeding-Brüder, aus dem Grundstück der Nordstraße 15 ein Jugendheim zu errichten, anfänglich über viele Jahre vernachlässigt wurde, scheint es doch so, als ob das Gebäude seinen angestrebten Zweck erfüllt, und das mit warmer Atmosphäre, freundlichem Händeschütteln, hochgelegten Füßen und vertrautem Umgang zwischen Jugendlichen und Mitarbeitenden.
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