»Wir begleiten Familien auf dieser Reise«
Frühförderstelle unterstützt Kinder bis zur Einschulung
Kleine Menschen entwickeln sich in ihrem ganz eigenen Tempo: Während die einen mutig drauflos krabbeln, beobachten andere die Welt lieber aus der Sicherheit ihres Laufstalls. So weit, so normal. Macht ein Kind jedoch keinerlei Anstalten, seine Umgebung zu erkunden, wird es in der Kita zum Einzelgänger oder eckt es mit Spielkameraden an, lohnt es sich, genauer hinzuschauen, ob eine Entwicklungsverzögerung vorliegt. Beratung, Diagnostik und Förderung bietet die neue heilpädagogische Frühförderstelle der Johanniter in Lünen.
»Wir müssen jetzt etwas tun, um negative Folgen zu verhindern«
Das seit Oktober bestehende Angebot richtet sich an Kinder vom Säuglingsalter bis zur Einschulung und wird über den Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) finanziert. »Manche Eltern reagieren erst mal abwehrend«, erzählt Einrichtungsleiterin Janine Hartmann. »Sie sagen: ›Mein Kind ist doch nicht behindert!‹ Wir sagen: Das behauptet auch niemand. Jedoch kann sich eine verzögerte Entwicklung, die nicht behandelt wird, nachteilig auf die Zukunft des Kindes auswirken und sich zu einer Behinderung ausweiten. Die Betroffenen haben daher ein Anrecht auf Förderung. Wir müssen jetzt etwas tun, um spätere negative Folgen zu verhindern oder zu reduzieren.«
»Kinder, die bei uns landen, sind oft sehr laut – oder sehr leise.«
Die Gründe für körperliche, geistige oder emotionale Beeinträchtigungen sind ganz unterschiedlich. Mögliche Ursachen reichen von angeborenen Erkrankungen oder Defiziten infolge einer Frühgeburt über das FAS-Syndrom bis hin zu den gesellschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie. »Es gibt Kinder, denen es nach der Einzelbetreuung zu Hause schwerfällt, in Kita-Gruppen mit 79 anderen Kids zurechtzukommen und Freundschaften zu schließen«, berichtet Janine Hartmann. »Manche stammen auch aus Pflegefamilien, und man weiß gar nicht so genau, was da eigentlich im Argen ist. Das auffällige Verhalten geht übrigens in beide Richtungen: Kinder, die bei uns landen, sind oft sehr laut – oder sehr leise.«
Den Familien entstehen keine Kosten
Wer sich nicht sicher ist, ob sein Kind Unterstützung benötigt, kann einen Termin für eine kostenfreie Erstberatung bei den Johannitern vereinbaren. Wird eine Förderung für sinnvoll erachtet, führt der reguläre Weg über den Kinderarzt und zurück zur Frühförderstelle. Auf Basis des ärztlichen Rezepts erstellen die Expertinnen dann eine Eingangsdiagnostik. »Dazu gehören ein Anamnesegespräch und ein Entwicklungstest, bei dem Bereiche wie Kognition, Motorik, Sprache und soziale Fertigkeiten altersgerecht untersucht werden«, erklärt Janine Hartmann. »Beispielsweise wird geprüft, ob das Baby Geräuschen folgen oder die Hände zusammenführen kann. Ältere erhalten etwa die Aufgabe, Formen und Farben zuzuordnen, eine Bildergeschichte nachzuerzählen oder einen Stift zu führen. Wir fragen aber auch bei den Eltern nach: Wie meldet sich Ihr Sohn am Telefon? Erkennt Ihre Tochter Gefahren im Straßenverkehr?« Auf Grundlage der Ergebnisse werden schließlich die Fördereinheiten durch den LWL bewilligt. Den kleinen Patient*innen und ihren Familien entstehen dabei keine Kosten.
»Es ist immer ein gemeinsamer Weg«
In enger Abstimmung mit den Erziehungsberechtigten entwickeln die Fachkräfte nun einen ganzheitlichen Förderplan, der die individuellen Voraussetzungen des jeweiligen Kindes ebenso berücksichtigt wie den Einfluss des sozialen Umfeldes. »Manchmal werden negative Eigenarten im Elternhaus vorgelebt«, weiß Janine Hartmann. »Ein großes Problem ist der Medienkonsum. Wenn die Kids keine Bücher mehr kennen, aber drei Stunden täglich vor dem Fernseher sitzen, sollte man schon mal fragen dürfen, ob das so richtig ist. In anderen Fällen kann es auch darum gehen, den Eltern dabei zu helfen, die angeborene Behinderung ihres Kindes zu akzeptieren und besser damit klarzukommen. Es ist immer ein gemeinsamer Weg. Wir begleiten die Familien auf dieser Reise.«
Schaukeln, toben, manschen
Für die kleinen Patienten verläuft diese Reise vor allem spielerisch. Mit viel Einfallsreichtum haben die Heilpädagoginnen die Räumlichkeiten der Frühförderstelle in einen bunten Abenteuerspielplatz verwandelt. Verschiedene Schaukeln, Matten, eine Sprossenwand und ein Bällebad laden zum Toben und Klettern ein. Beliebt ist auch der ›Matschraum‹, in dem kleine Gäste nach Herzenslust mit Sand, Knete, Wasserperlen und Schaum manschen können. Wer lieber bastelt, puzzelt oder sich für Strategiespiele begeistert, kommt ebenfalls auf seine Kosten. »Wir schauen, was die Kinder brauchen, wollen und mögen, und planen die Förderstunden drum herum«, so Janine Hartmann. Bei Kindern mit sozialen Schwierigkeiten ist eine Förderung in Kleinstgruppen von drei Patienten oder als mobile Förderung in der Kita möglich.
»Mama, man darf auch mal dreckig sein«
Vor ihrem Wechsel zu den Johannitern hat Janine Hartmann lange in der interdisziplinären Frühförderung gearbeitet. Sie erinnert sich an viele beeindruckende Erfolgsgeschichten: »Einmal haben wir einen Jungen betreut, der sehr kreativ war, durch sein steriles Elternhaus aber eher ausgebremst wurde. Bei uns entdeckte er seine Vorliebe für Wasserfarben und Fingerfarben. Das stärkte sein Selbstvertrauen so weit, dass er zu seiner Mutter marschierte und sagte: ›Es ist nicht schlimm, Mama, man darf auch mal dreckig sein.‹ Mit Sieben konnte er eine normale Regelschule besuchen. Ein anderer Patient war mit zwei Jahren noch keinen Schritt gelaufen, weil ihm zu Hause kein Anreiz geboten wurde. Auch er hat sich durch die Förderung toll entwickelt und wird seinen Weg gehen.«
Johanniter Frühförderstelle
Viktoriastraße 3 · 44532 Lünen · Tel. 0 23 06 / 4 48 66
www.johanniter.de/frühförderung-lünen