Stadtmagazin Witten: Dies und Das

Entspann dich. Um was es jetzt geht.

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Wir sind momentan viel zu Hause. Sehr viel. Meine Familie und ich. Alle Aktivitäten, die den Alltag sonst bestimmten, finden sehr viel weniger statt. Der alte Alltag wurde durch einen neuen ersetzt. So weit, so gut / schlecht / was auch immer. Daher werden wir nicht abgelenkt und können unser Miteinander wie unter einem Mikroskop beobachten. Ein Mikroskop, bei dem wir gleichzeitig Objekt und Mikroskopierender sind. Wir beobachten uns selber dabei, wie wir Dinge tun, machen, uns verhalten.

In den letzten Monaten haben wir alle mehr Zeit zu Hause verbracht als gewöhnlich. Für manch alleinstehenden Menschen war das Stress, denn er war viel zu oft alleine. Für manche Familie war das Stress, denn man/frau war viel zu selten alleine.

In dieser Zeit haben meine zwei Kinder (sieben und vier) vieles mitbekommen, was sie sonst nur ahnen konnten. Dass der Frühstückstisch sich nicht automatisch abräumt und reinigt, sobald man das Haus verlassen hat. Dass sich die Wäsche nicht selbstständig wäscht, zusammenlegt und einräumt, sobald man sie nur lange genug ignoriert. Dass das Haus nicht selbstreinigend ist und, bei vermehrtem Gebrauch wie jetzt, auch schneller schmutzig wird. Das alles wussten sie wahrscheinlich auch schon vorher, haben aber die damit verbundene Arbeit nicht so unmittelbar mitbekommen.

»Dann lass sie doch mitmachen, binde sie ein!«, sagt nun mancher. Mancher, der keine Kinder hat oder dessen Kinder schon lange aus dem Haus sind. Denn der Satz »Darf ich helfen« aus dem Mund eines Vierjährigen lässt bei mir alle Alarmglocken schrillen. Ich weiß, dass sich die Tätigkeit mindestens um die doppelte Zeit strecken wird und ich hinterher mindestens sechs Baustellen bearbeiten werde, die es ohne die freundliche Hilfe nicht gegeben hätte.
Ich liebe meine Kinder. Ich hasse Gesellschaftsspiele und Basteln. Inbrünstig, seit ca. 1985. Trotzdem spiele und bastele ich mit meinen Kindern gerne, gelegentlich. Die momentane Zeit bietet daher viele Möglichkeiten ›Neins‹ zu verteilen. Nein, ich hab’ jetzt keine Zeit für eine Partie Uno. Nein, ich baue jetzt keine Legostadt mit dir. Nein …

Hinter jedem dieser ›Neins‹ steckt ein ›Ja‹. Ja zum Wäschewaschen. Ja zum Hausputz. Ja zum Essen kochen. Ja zum Schreiben von Texten am Computer. Ja zu einer Pause. Das ist oftmals schwer zu akzeptieren. Und es führt immer wieder zu Krisen, Streitereien und Wutausbrüchen. Auf allen Seiten.

Unter unserem momentanen Brennglas kann ich es nicht akzeptieren, wenn das Badezimmer beim Baden komplett unter Wasser gesetzt wird, während ich gerade das Abendessen zubereite. Denn zuvor hatten wir besprochen, dass es cool wäre, wenn das Bad trocken bliebe. Immerhin wollen wir gleich alle zusammen einen Kinderfilm schauen und es wäre ja schade, wenn sich das verzögern würde, weil man (ich) noch das Bad putzen müsse. Großes Verständnis auf Seiten der Kinder. Mehr nicht. Dann brülle ich rum, schimpfe, raufe mir die Haare und lehne jede Hilfe beim Aufwischen kategorisch ab. Ich kann es nicht akzeptieren, wenn die Türen das 682 Mal geknallt werden, trotz vorheriger 681 Gespräche darüber, warum es sinnvoll ist, dies nicht zu tun.

Und daran wachsen wir. Es gibt keinen Raum für Maskeraden, keinen Platz, sich aus dem Weg zu gehen. Wir sind zusammen. Und wir lernen daraus gemeinsam eine Menge. Ich lerne, dass Kinder im Hier und Jetzt leben, jetzt gerade. Sie scheren sich nicht um gleich. Das ist gut. Die Kinder lernen, dass Papa auch mal Ruhe braucht und kein immer-fröhlicher Spielroboter ist. Vielmehr findet er Hausarbeit genauso Scheiße wie sie und ist froh, wenn sie beendet ist. Papa liest auch gerne mal ein Buch, ohne Bilder, nur für sich und Papa ist nicht gewillt, mehrmals am Tag in die selbst erdachte Zirkusschau zu gehen.
Und das ist o. k. Durch Reibung entsteht Wärme, bei uns gerade zurzeit sehr viel Herzenswärme. Wir lernen uns besser kennen denn je. Wir lernen unsere Stärken und Schwächen kennen und lernen, sie zu akzeptieren.

Die jetzige Zeit bietet Schätze, die es ohne Corona nie gegeben hätte. Wir dürfen uns aufeinander einlassen, ohne Wenn und Aber. Ohne störende Zoobesuche, Vereinsaktivitäten, Musikschulen und was den Alltag sonst noch ausmacht und zerschneidet. Dadurch können wir beim nächsten Zoobesuch, der nächsten Vereinsaktivität, dem kommenden Musikschulbesuch uns noch mehr darauf verlassen, was wir aneinander haben und die ein oder andere formalisierte Aktivität vielleicht gänzlich abschaffen, denn wir haben es ja gemeinsam gelernt, Zeit miteinander zu verbringen, ohne uns dabei allzu sehr zu stören.
Spannend. Eigentlich bin ich gar nicht anders als ich dachte. Ich lerne aber, dass mein Erziehungskonzept anders aussieht, als ich es mir bisher vorgemacht habe.

Ich wollte noch nie der Freund meiner Kinder sein.
Jetzt lerne ich aber, dass ich es nicht sein darf. ›Freund‹ ist eine Rolle von vielen, die ich ausfüllen möchte. Sie rangiert aber sehr weit hinten. Ich bin Papa. Papas sind nicht immer freundlich und verständnisvoll. Papas haben nicht immer Zeit und Lust zum Spielen. Papas lachen nicht zum x-ten Mal über dieselbe Grimasse.

Papas sind da. Papas zeigen Liebe und Fürsorge. Papas hören zu und erklären ihr Verhalten. Sie schimpfen, zetern und streiten. Danach finden sie das Gespräch und lösen die unguten Gefühle auf. Die Sache bleibt bestehen, wird aber mit Sinn gefüllt. Nicht im Sinne einer Rechtfertigung, aber im Sinne einer Erläuterung warum ich mich gerade verhalten habe, wie ich es habe. Papas sagen, dass sie gerade müde, traurig, wütend oder enttäuscht sind. Papas sind Dialogpartner und beziehen die Kinder ein. Und zwar in alle Entscheidungen, in denen Kinder Entscheidungen treffen können. Vieles entscheidet Papa aber selber. Papas trauen Kindern etwas zu. Ich schlichte schon lange nicht mehr jeden Streit. Sollen sie sich doch die Köppe einhauen. Passiert aber seltsamerweise nie, vorher finden sie eine Lösung oder gehen sich wutentbrannt aus dem Weg.

Papas sind kompromissbereit, Papas geben zu, dass sie etwas nicht wissen oder können. Übrigens: Wenn ich ›Papas‹ schreibe, meine ich mich. Nicht euch. Ihr könnt machen, was ihr wollt oder mir Eure Meinung in die Kommentare schreiben. Das würde Papa freuen!

Ich lerne gerade viel. Meine Kinder lernen gerade viel.
Ist es anstrengend? Ja.
Ist es wertvoll? Ja!

Alles gut und schön. Aber Entspannung sieht anders aus.
Genau. Daher ist es jetzt an der Zeit aktiv zu entspannen. Hört sich komisch an? Im normalen Alltag gehören entspannende Momente instinktiv und ungeplant dazu. Der stille Moment am Computer, während dem man gedankenverloren aus dem Fenster schaut. Ein Mittagessen mit Kolleginnen und Kollegen. Was auch immer.

Vieles davon fällt nun weg. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht: Entspannung kann auch in der neuen Normalität gut gelingen. Mir hilft es oft schon einfach mal durchzuatmen. Ganz aktiv. Einatmen und dabei bis vier zählen, Ausatmen und wieder bis vier zählen. Dabei ganz gezielt alle angespannten Körperregionen erschlaffen lassen − zack, ein Aufwand von 30 Sekunden und schon geht es mir besser.

Meine persönliche Lieblingsmethode zur Entspannung ist es jedoch, der mentalen Anspannung durch ›echte‹ körperliche Anspannung zu begegnen. Nach dem Motto ›Minus und Minus gibt Plus.‹ Hört sich komplizierter an als es ist. Ich spreche vom Laufen, Joggen. Und dazu erzähle ich gerne im nächsten Artikel mehr.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit, bleibt gesund!

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